Partnerschaftliches Zusammenleben: Das Paar in der Familie

Dr. Hans Jellouschek

In diesem Beitrag geht es um das Paar in der Familie. Von grundlegender Bedeutung ist hier die Unterscheidung von Eltern-Ebene und Paar-Ebene. Mann und Frau sind kraft ihrer Entscheidung ein Paar, und – sofern sie gemeinsame Kinder haben – sind sie darüber hinaus für diese gemeinsam Eltern. Beide Ebenen stehen in Beziehung und Wechselwirkung zueinander, wie wir noch genauer sehen werden, haben aber ihre eigenen “Gesetzmäßigkeiten” und Dynamiken, die es gesondert zu betrachten gilt. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Paarebene aufgelöst werden kann (und oft auch aufgelöst wird), die Eltern-Ebene aber immer bestehen bleibt: Die Partner bleiben immer Eltern dieser Kinder.

1. Teil: Eltern und Kinder

1. Klare Generationengrenzen

In früheren Zeiten hatten Kinder oft einen sehr großen Abstand zu den Eltern. Heute sind sie stark ins Zentrum der Aufmerksamkeit und des Interesses der Eltern gerückt – manchmal zu stark, sodass ein “Kind-Zentrismus” entsteht, der nicht kindgemäß ist. Eine klare Grenze um das “Eltern-Subsystem” im Gesamtsystem “Familie” gewährleistet Sicherheit und Geborgenheit, weil die Eltern so ihre Funktion als Eltern wirklich wahrnehmen.

“Klare Grenze” um das Subsystem Eltern heißt nicht, dass sie den Kindern gegenüber immer eine einheitliche Front darstellen müssten, immer und in allen Angelegenheiten einer Meinung sein sollten. Die Unterschiedlichkeit der Eltern gibt dem Kind unterschiedliche Wahlmöglichkeiten und fördert seine Autonomie.

“Klare Grenze” heißt auch nicht, dass die Eltern nicht etwas zurücknehmen könnten, was sie gesagt, oder ändern dürften, was sie angeordnet haben, wenn sie merken, dass es ungerecht oder verletzend war und den Kindern nicht gut tut.

“Klare Grenze” heißt vielmehr:

  • dass die Kinder beide, Vater und Mutter, als Eltern wahrnehmen, weil beide ein spürbares und engagiertes Gegenüber darstellen. “Abwesende Väter” und überengagierte Mütter machen für das Kind das Eltern-Subsystem undeutlich.
  • dass Mann und Frau sich in ihrem Eltern-Sein schätzen – trotz ihrer Unterschiedlichkeit in vielleicht zahlreichen Punkten. Wenn die Kinder diese Achtung der Eltern voreinander spüren, werden für sie Mann und Frau als Eltern deutlich.
  • dass sie gut kooperieren und sich gegenseitig nicht in den Rücken fallen – bei allen Unterschieden, die vorhanden sind und die es für eine gute Kooperation zu akzeptieren gilt. Gut kooperierende Eltern schaffen für die Kinder ein Klima der Sicherheit und geben ihnen Orientierung.

2. Keine geheimen Bündnisse

Die Elternebene wird dadurch stabil, dass die Partner sich voneinander nicht allein gelassen, sondern “im Bündnis miteinander” fühlen. Hier besteht ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Paar- und Elternebene, auf den ich weiter unten zurückkommen werde. Von “geheimen Bündnissen” oder “Koalitionen” spricht man dann, wenn die Generationengrenze dadurch “verletzt” wird, dass zwischen Kind und einem Elternteil eine engere Beziehung besteht als zwischen den Partnern. Vor allem dann, wenn dieses Bündnis gegengeschlechtlich ist – wenn es also in der Familie “Muttersöhne” oder “Vatertöchter” gibt -, ist dies für die Familie destruktiv, und zwar aus folgenden Gründen:

  • Es entsteht eine zu enge Bindung zwischen Sohn und Mutter bzw. Tochter und Vater, welche die Loslösung und damit eine erwachsene Bindung an einen späteren Partner erschwert. Der/die junge Erwachsene ist dann noch mit seiner Mutter, mit ihrem Vater quasi “verheiratet”.
  • Das Kind rückt quasi von der Geschwister- in die Elternebene auf. Dadurch wird die Paarebene gestört, weil einer der Partner sich emotional ausgeschlossen fühlt. Das Kind wird, ohne es zu wollen, zur Störung der Beziehung der Eltern.
  • Aber auch das Verhältnis der Eltern zu den Kindern wird gestört: Manche untergründigen Konflikte oder ständigen Streitereien zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter haben hier ihre tiefste Wurzel: Dem Jungen wird von der Mutter signalisiert, der “besserer Mann”, oder dem Mädchen vom Vater, die “bessere Frau” zu sein; damit werden sie zu Rivalen des gleichgeschlechtlichen Elternteils.
  • Das führt einerseits zu einem teils grandiosen Selbstbild des Kindes, andererseits ist es eine totale Überforderung, denn natürlich kann der Junge und kann das Mädchen den erwachsenen Partner nicht ersetzen.

Freilich: Ein besonders inniges Verhältnis des Jungen zur Mutter oder des Mädchens zum Vater muss noch keine “Koalition” sein. Manchmal und in bestimmten Situationen “kann” eine Mutter eben besser mit dem Sohn als der Vater und der Vater mit der Tochter besser als die Mutter – und beide, Vater einerseits und Mutter andererseits, akzeptieren diese Unterschiede; sie liegen offen zu Tage und bedeuten keinen emotionalen “Ausschluss” des anderen. Auch wenn es zeitweise zwischen einem Elternteil und einem Kind ein Geheimnis gibt, das eine Zeit lang gehütet wird, bis der Heranwachsende zum Beispiel ein bestimmtes Problem gelöst hat, muss das noch kein Hinweis auf eine solche Koalition sein. Destruktiv wird eine Koalition dann, wenn sie – was oft sehr versteckt und wenig bewusst ist – quasi “gegen den anderen” ist, und wenn zwischen dem einen Elternteil und dem Kind insgesamt eine größere Vertrautheit besteht als zwischen den Partnern.

Eine intensive emotionale Beziehung der Eltern auf der Paarebene verhindert am besten solche Koalitionsbildungen und schützt damit die Eltern und Kinder. Außerdem wird Koalitionen dadurch vorgebeugt, dass der Vater eine starke Beziehung zum Jungen, und die Mutter eine starke Beziehung zum Mädchen entwickelt – also die gleichgeschlechtlichen Beziehungen “unter den Männern” und “unter den Frauen” in der Familie gepflegt werden.

3. Zugänglichkeit beider Eltern für die Kinder

Kinder brauchen in der Familie für ein gutes Aufwachsen Zugang zu beiden Eltern. Das haben viele Untersuchungen der letzten Jahre erwiesen.

Besonders krass wird häufig dagegen verstoßen, wenn es in Familien zu Trennungen von Mann und Frau kommt. Immer noch wird vielen getrennt lebenden Vätern der Kontakt zu ihren leiblichen Kindern verwehrt, oder aber – und das geschieht ebenfalls in beschämender Häufigkeit – der getrennt lebende Vater zieht sich von sich aus zurück. Hier findet in eklatanter Weise eine Vermischung von Eltern- und Paarebene statt: Aufgrund der Verletzung auf der Paarebene wird der andere auch auf der Elternebene “ausgeschlossen” oder schließt sich selber aus.

Demgegenüber ist festzuhalten:

  • Eltern bleiben auch nach der Trennung als Paar Eltern ihrer Kinder.
  • Kinder brauchen beide Eltern, auch und besonders im Fall der Trennung des Paares. Die Entwicklung von Trennungs- und Scheidungskindern verläuft im Vergleich zu Kindern aus nicht getrennten Familien keineswegs problematischer, wenn sie regelmäßigen und verlässlichen Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil haben.
  • Natürlich stellen Trennung und Scheidung der Eltern für ein Kind immer eine existenzielle Krise dar, die sich vorübergehend auch in Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten äußern kann. Wenn aber die Eltern vernünftig damit umgehen und trotz der Trennung den Zugang ihrer Kinder zu beiden Elternteilen sichern, holen diese schnell wieder auf und weisen nach einiger Zeit keine Entwicklungsdefizite mehr auf.
  • Abgesehen davon ist es ein existentielles Recht auch des getrennt lebenden Elternteils, sein Vater- oder Muttersein mit seinem leiblichen Kind leben zu dürfen.

Der Zugang des Kindes zu beiden Eltern ist aber nicht nur im Fall von Trennung und Scheidung häufig bedroht. Es gibt auch in vollständigen Familien zahlreiche “abwesende Väter”, die ihre Kinder kaum häufiger als an Wochenenden sehen, an denen sie dann zu müde und gestresst sind, um sich mit ihnen eingehender zu beschäftigen. Obwohl die große Mehrheit der jungen Männer es anders will, wird diese Tendenz durch die heutigen Arbeitsbedingungen – vor allem durch Rationalisierungsdruck und erhöhte Mobilitätsanforderungen durch die Globalisierung – eher noch verstärkt. Viele auch verheiratete Mütter sind heutzutage faktisch “Alleinerziehende”.

Dabei wird durch die Familienforschung und vielfältige therapeutische Erfahrungen immer deutlicher, wie wesentlich für die gute Entwicklung der Kinder die “familiäre Triade” Vater-Mutter-Kind ist. Der präsente Vater verkörpert schon sehr früh für das Kind, dass es immer auch eine “zweite Möglichkeit”, eine zusätzliche Option gibt. Das fördert die Autonomieentwicklung des Kindes enorm, abgesehen davon, dass es für die Entwicklung einer klaren Geschlechtsidentität beim Jungen wie beim Mädchen sehr bedeutsam ist, dass beide in der Familie beide Geschlechter – Mutter und Vater – konkret und “handfest” erleben.

Väter sollten vor allem darauf achten, dass sie, auch wenn sie quantitativ wenig Zeit zuhause verbringen können, qualitativ präsente Väter für ihre Kinder sind. Viele Männer machen so die Erfahrung, dass sie sich besser beim Spiel mit den Kindern regenerieren als passiv vor dem Fernseher.

Der Zugang zu beiden Eltern kann in Familien natürlich auch durch die erwähnten Koalitionsbildungen vor allem gegengeschlechtlicher Art blockiert sein. Darüber haben wir gesprochen, und es sei nochmals darauf hingewiesen, dass Eltern dem immer wieder gegensteuern sollten, indem sie vor allem den Zugang des Jungen zum Vater und den der Tochter zur Mutter fördern und unterstützen.

2. Teil: Die Eltern als Paar

Die Liebe der Partner zueinander garantiert die Generationengrenze und trägt so wesentlich zum Wohlbefinden aller Familienmitglieder bei. Sie wird darüber hinaus immer mehr zum Garanten der Stabilität der Ehe überhaupt.

In früheren Jahrzehnten wurde die Ehe auch durch viele Faktoren zusammengehalten, die mit Liebe nicht viel zu tun hatten: durch weltanschauliche Überzeugungen, durch wirtschaftliche Notwendigkeiten, durch gesellschaftliche Konventionen und Sanktionen. Die Bedeutung dieser Faktoren nimmt immer mehr ab. Das einzige, das immer ausschließlicher den Zusammenhalt einer Ehe garantiert, ist die subjektiv erlebte Qualität der Paarbeziehung, also die lebendige Liebe der Partner zueinander.

Die Erfahrung aber lehrt: Eine Paarbeziehung wird von selber schlechter. Oder anders ausgedrückt: Wie eine Pflanze gewässert und gedüngt werden muss, um am Leben zu bleiben, muss auch eine Paarbeziehung, die auf Dauer angelegt ist, ständig genährt werden, um erhalten zu bleiben, zu wachsen und zu gedeihen. Wodurch wird sie genährt?

1. Gegenseitigkeit herstellen

Grundlegend ist, dass es in einer Beziehung fair zugeht. Wenn sie auf Dauer auf Kosten eines der beiden Partner geht, gerät sie aus der Balance und wird brüchig. Dies betrifft bestimmte Polaritäten, mit denen jedes Paar heutzutage konfrontiert ist und die immer wieder ausbalanciert werden müssen, damit Gegenseitigkeit in der Beziehung konkret erfahren werden kann. Diese Polaritäten sind

  • Autonomie und Bindung
  • Bestimmen und Sich-bestimmen-lassen
  • Geben und Nehmen.

Autonomie und Bindung. Es geht hier um den Ausgleich zwischen den Interessen des Ich und denen des Wir in der Beziehung. Unser Bedürfnis nach “Wurzeln” wird in der Bindung, im “Wir” erfüllt, unser Bedürfnis nach “Flügeln” in der Erfahrung der Autonomie, des persönlichen Freiraums. Beides ist heutigen Paaren sehr wichtig.

Durch das, was die Partner diesbezüglich in ihren Herkunftsfamilien an einseitiger Rollenaufteilung zwischen Vater und Mutter erlebt haben, und auch durch die äußeren Lebensumstände in unserer Gesellschaft, kommt es jedoch häufig und gegen das bewusste Wollen der Partner zu Unausgewogenheiten hinsichtlich dieser Polarität: Der Frau bleibt, auch wenn sie berufstätig ist, für Beziehung, Familie und alle Fürsorgeaufgaben, also für die Bindung zuständig, während der Mann im Beruf sehr viel mehr Möglichkeiten hat, seine Autonomie zu entfalten. So entstehen Polarisierungen, die auf die Dauer die Beziehung gefährden, denn auf der bewussten Ebene sind beide und vor allem die Frauen mit dieser “Schieflage” nicht mehr einverstanden.

Die Balance kann allerdings auch dadurch Schaden erleiden, dass beide zum Beispiel ihre Autonomie so stark betonen, dass sie sich nie wirklich aufeinander und damit auf Bindung einlassen. Oder auch dadurch, dass beide so sehr die Bindung betonen, dass sie sich gegenseitig keinen Freiraum erlauben, also ihre Autonomie behindern und vernachlässigen. Auch diese “Fixierung” jeweils an einem Extrem der Polarität schadet der Beziehung, weil sich das jeweils nicht beachtete Bedürfnis auf Dauer destruktiv in Depressivität, Wut, Lustlosigkeit usw. zu äußeren beginnt.

Bestimmen und Sich-bestimmen-lassen. Hier geht es um die Balance der Macht. Etwas beim anderen bewirken zu können, aber andererseits auch, sich vom anderen beeinflussen zu lassen, darum geht es hier. Wenn nur einer bestimmt, wird der andere in eine überangepasste und unselbständige Position gedrängt, und irgendwann wird er die Übermacht boykottieren, sie unterlaufen und den Mächtigen auf diese Weise Schachmatt setzen.

Eine gute Machtbalance in der Beziehung kann auch dadurch gestört werden, dass beide immer zugleich und hinsichtlich derselben Sache bestimmen wollen und sich so in destruktive Machtkämpfe verstricken – ein Beziehungsmuster, das sehr bald die emotionale Grundlage einer Beziehung zerstört. In beiden Fällen gelingt die Gegenseitigkeit von Bestimmen und Sich-bestimmen-lassen nicht.

Die Machtverteilung zwischen Partnern ist auch eine Frage der vorhandenen Machtressourcen. Wenn alle äußeren Machtressourcen – Geld, Beruf, gesellschaftliche Stellung – beim Mann liegen, fällt es der Frau schwer, sich ebenbürtig zu fühlen. Möglicherweise wird sie ihre spezifischen Machtressourcen – die Beziehung zu den Kindern, ihre stärkere emotionale Kompetenz, ihre körperliche Attraktivität – nutzen, um sie gegen die Übermacht des Mannes auszuspielen.

Es ist darum für den Erhalt der Liebe zwischen den Partner von großer Bedeutung, neben der psychologischen Machtbalance – beide dürfen bestimmen und lassen es zu, sich vom anderen bestimmen zu lassen – auch für eine annähernd gerechte Verteilung der Machtressourcen zu sorgen bzw. sich gegenseitig immer wieder Zugang zu den eigenen Machtressourcen zu verschaffen, beispielsweise durch gegenseitige Information.

Geben und Nehmen. Es geht hier um die Gegenseitigkeit des affektiven Austausches. Wenn nur einer in die Beziehung investiert und der andere nur nimmt, wird sich der eine bald benachteiligt oder ausgebeutet fühlen, während der andere ein immer schlechteres Gewissen bekommt. Solch einseitiges Geben und Nehmen schafft eine Art Eltern-Kind-Verhältnis zwischen den Partnern. Der immer nur Gebende wird quasi zur Mutter/ zum Vater des anderen, und dieser gerät immer mehr in eine Kindposition.

Wenn in einer Beziehung hingegen überhaupt – von beiden Seiten – wenig gegeben wird, dann trocknet sie emotional aus und wird anfällig, zum Beispiel für Außenbeziehungen.

Es braucht in Beziehungen einen “hohen Umsatz von Geben und Nehmen”, denn wenn beide viel geben, bekommen sie auch viel, und das regt sie an, wieder zu geben. So entsteht ein positiv sich verstärkender Kreislauf, der zu einer intensiven Bindung der Partner aneinander beiträgt. Gegenseitiges und intensives Geben und Nehmen hält eine Beziehung auch auf Dauer lebendig.

Gelingt es Partnern, hinsichtlich der drei Polaritäten in einer beweglichen Balance zu bleiben, erfahren sie sich in der Beziehung ebenbürtig. Es entsteht kein “Oben – Unten” zwischen ihnen. Sie stehen sich in Augenhöhe gegenüber, achten sich und fühlen sich geachtet. Das trägt wesentlich dazu bei, dass sich die emotionale Verbundenheit der beiden, also ihre lebendige Liebe zueinander, immer wieder erneuert und vertieft, auch wenn die Beziehung Jahrzehnte dauert.

2. Betonung des Positiven

Negativität zerstört die Liebe. Damit sind hier ständige Kritik, Abwertung, verächtliches Verhalten dem anderen gegenüber und dergleichen gemeint. Der Grund, warum die Auswirkungen davon so destruktiv sind, ist, dass aus negativen Bemerkungen und Verhaltensweisen sich sehr leicht Teufelskreise entwickeln: Man schlägt zurück, und zwar immer ein wenig stärker. Oft gibt es dann keinen Ausweg aus der Spirale als den Abbruch der Interaktion. Aber das verbessert meist nichts, sondern schafft nur einen noch ungünstigeren Ausgangspunkt für die nächste Begegnung.

Wir sind in der Regel geneigt, das Gute und Schöne für selbstverständlicher zu nehmen als das Unangenehme und Problematische. Darum betonen wir dieses mehr, reden mehr darüber, halten uns länger dabei auf. Dadurch aber bekommt das Negative mehr Wirklichkeit für uns als die positiven Dinge des Lebens. In der Beziehung entstehen daraus leicht die geschilderten Negativspiralen.

Dieser Gefahr einer Entwicklung “nach unten” muss darum mit großer Achtsamkeit begegnet werden. Es gilt, dem Positiven gegenüber dem Negativen mehr Gewicht zu verleihen. Das verlangt als erstes, dass wir unsere Wahrnehmung bewusst immer wieder auf das Positive ausrichten. Das allein reicht aber noch nicht. Wir müssen zweitens das Positive auch dem Partner mitteilen – durch Gesten, Blicke und vor allem auch Worte: “Mir hat das gestern sehr gut gefallen, wie du…” – “Ich danke dir dafür, dass du…” – “In diesem Kleid bist du besonders schön!” – “Damit hast du mir wirklich sehr geholfen!”

Das heißt nicht, dass wir alles schönfärben und kritische Punkte unter den Teppich kehren sollen. Es heißt allerdings zu verhindern, dass das Positive nicht mehr zur Geltung kommt. Die Erfahrung zeigt, dass die Zahl der positiven Impulse in einer Beziehung die der negativen erheblich übersteigen muss, damit die Kraft des Negativen, die eine Beziehung bedroht, gebannt wird.

3. Pflege der Intimität

Heutige Paare haben einen unvergleichlich höheren Anspruch an Intimität als das in früheren Generationen der Fall war. Man erwartet ein Höchstmaß an Nähe, Vertrautheit und Innigkeit von der Beziehung – und das in einer Situation, in der das Leben sehr komplex geworden ist und deshalb sehr viel Aufwand zu seiner Bewältigung braucht. Der Beruf des Mannes, der Beruf der Frau, die Erziehung der Kinder, die Schule, das Haus, die Familien-Organisation insgesamt – das alles erfordert Kraft und Zeit und lässt sich mit dem Bedürfnis der Ehepartner nach Intimität schwer unter einen Hut bringen.

Denn auch hier gilt: Intimität stellt sich nicht von selber ein. Intimität braucht Raum, und der eröffnet sich nicht von selbst. Gewiss finden Paare oft keinen Raum für Intimität, weil sie diese aus gewissen Ängsten oder Unfähigkeiten unbewusst vermeiden. Aber häufig sind sie durchaus fähig dazu, haben auch Sehnsucht danach, haben sie auch schon miteinander erlebt, aber sie ist ihnen mit der Zeit im Getriebe des stressigen Alltags verloren gegangen.

Beispiele für solche Räume der Intimität sind: Paare nehmen sich Zeit, sich einander vorzulesen und sich über das Gehörte auszutauschen. Oder: Sie hören und – wenn sie die Fähigkeit dazu haben – machen miteinander Musik. Oder: Sie unternehmen miteinander interessante Dinge und tauschen sich dabei oder danach miteinander darüber aus. Oder auch: Sie haben feste Zeiten in der Woche, in denen sie ungestört sind und sich der Zärtlichkeit, Körperlichkeit, Sexualität ausführlich und ohne Druck widmen.

Im Sturm der ersten Verliebtheit kommt derartiges “von selber” zustande. Im Verlauf einer längeren Beziehung muss man solche Räume für das geistige und sinnliche Genießen schaffen und ausdrücklich einplanen, sonst findet dieses immer seltener statt – und Intimität zwischen den Partnern geht verloren.

Eine Hilfe dafür sind Rituale, die Paare in ihrem Zusammenleben entwickeln und pflegen. Damit sind bestimmte gemeinsame und immer wieder ähnliche oder gleiche Handlungsweisen gemeint, die in einer gewissen Regelmäßigkeit zu bestimmten Zeiten und Anlässen wiederholt werden: Ein Paar feiert jedes Jahr seinen “Verliebungs-Tag”. Oder: In regelmäßigen Abständen gehen sie gemeinsam und ohne Kinder außer Haus essen und trinken als Aperitif ein Glas Sekt auf das, was ihnen in der vergangenen Woche gut gelungen ist. Oder: Am Sylvester-Abend halten sie miteinander Rückblick auf das vergangene Jahr und entwerfen Bilder von dem, was sie im kommenden Jahr verwirklichen wollen. Solche kleinen Rituale, die für beide positiv besetzt sind, Positivität aus der Vergangenheit wieder lebendig machen und positive Bilder für die Zukunft entwerfen, können viel zur “Nahrung” der Intimität in der Beziehung beitragen – je individueller und spezifischer sie für das Paar sind, umso mehr.

Zeiten für sich als Paar zu haben verlangt Organisationstalent und auch die Bereitschaft, Hilfen von außen in Anspruch zu nehmen: Sei es, dass man sich mit anderen in ähnlicher Lebenssituation zusammentut, um sich gegenseitig zu entlasten; sei es, dass man die Großeltern wieder stärker für die Kinder einbezieht; sei es auch, dass man bezahlte Hilfen in Anspruch nimmt, die – vor allem bei Paaren, von denen beide berufstätig sind – im Haushalt und bei den Kindern Aufgaben übernehmen.

Man sollte sich der Gefahr bewusst sein: Wenn Intimität verloren zu gehen beginnt, beschleunigt sich dieser Prozess immer mehr. Denn wenn man die Nähe zum anderen nicht mehr spürt, beginnt man, Gelegenheiten dafür zu vermeiden, weil man nicht mehr recht weiß, wie man sie nutzen soll. Man beginnt einander auszuweichen und entfremdet sich immer mehr. Darum ist es wichtig, diesem sich selbst verstärkenden Prozess von Anfang an gegenzusteuern.

4. Das “Kind im anderen” kennen lernen

Ein wesentliches Element von Intimität zwischen Partnern ist, dass beide “das Kind im anderen” kennen und diesem zugetan sind. Unsere Lebensgeschichte gehört zu unserem Wesen dazu. Wie wir sind und warum wir so sind, das hat mit unserer Kindheit und mit unseren Herkunftsfamilien und ihrem Schicksal zu tun. Das Kind, das wir einmal waren, ist in uns noch da – mit seiner Lebendigkeit, aber auch mit seinen Verwundungen, die es davongetragen hat.

Wir kennen den anderen erst dann “intim”, wenn wir Kontakt zum Kind in ihm bekommen. Sonst bleibt er uns in wesentlichen Teilen fremd oder auch befremdlich. Eine Frau ist irritiert, und manchmal ärgert es sie auch, dass ihr Mann nirgendwo im Leben Ruhe finden kann. Erst als er ihr einmal vom Schicksal seiner Familie erzählt, die ihre Heimat verloren hat und mehrmals fliehen musste, beginnt sie zu ahnen, aus welcher Erfahrung seine Unrast kommt. Sie bekommt Kontakt zu diesem “Kind auf der Flucht”, und das verwandelt ihren Ärger in Mitgefühl und Zuneigung.

“Das Kind im anderen” zu kennen bedeutet, Zugang zu seinem tieferen Wesen zu bekommen. Einfühlung und wechselseitiges Verständnis werden dann möglich, wo vorher Unverständnis war. Gerade die Punkte, an denen Partner immer wieder und immer in ähnlicher Weise “aneinander hochgehen”, sind häufig die “wunden Punkte”, die aus Schicksalserfahrungen früherer Jahre stammen. Wenn Partner sie voneinander kennen lernen, können diese – statt das Paar in “chronische Konflikte” hineinschlittern zu lassen – Anlass für eine tiefere Liebe werden. Darum festigt es eine Beziehung, sich gegenseitig immer wieder aus seiner Kindheit und von seinen Erfahrungen in den Herkunftsfamilien zu erzählen und Interesse daran zu entwickeln.

Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht darum, die Schuld für irgendetwas auf die Eltern zu schieben, und noch weniger geht es darum, dem anderen vorzuhalten: “Kein Wunder, dass du so bist – bei diesen Eltern!” Dieser Umgang mit der eigenen Vergangenheit und der des Partners ist destruktiv. Es geht vielmehr um einen tieferen Zugang zum Wesen des anderen, um Einfühlung und Verständnis. Es geht darum, dass die “inneren Kinder” der beiden sich miteinander verbünden und so wie Hänsel und Gretel im Märchen sich unterstützen, die Gefahren des Lebens gemeinsam zu meistern. Und es geht darum, dieses “innere Kind” im anderen manchmal auch elterlich-tröstend zu versorgen. Wenn dies wechselseitig und nicht einseitig geschieht, nährt es eine Paarbeziehung und kann eine wichtige “korrigierende Erfahrung” werden, ein – jedenfalls partieller – Ausgleich früherer Mangelerfahrungen. Dies schafft eine tiefe Verbundenheit der Partner.

5. Aussöhnung mit der eigenen Herkunft

Die Vergangenheit und die Herkunftsfamilien der Partner spielen aber noch in einem anderen Sinn für das Gedeihen einer Paarbeziehung eine Rolle: Die Liebe zwischen Frau und Mann kann nur gelingen, wenn die beiden auch seelisch erwachsen und autonom geworden sind. Wenn sie noch nicht von ihren Eltern abgelöst sind, sind sie nicht frei füreinander.

Ein Partner, der in allen wichtigen Entscheidungen seine Eltern fragen “muss”, ist noch nicht abgelöst, aber genau so wenig ist es einer, der grundsätzlich im Gegensatz zu seinen Eltern oder einem Elternteil handeln “muss” und in ständigen Konflikten mit ihnen lebt. Dies zweite ist heutzutage der weitaus häufigere Fall. In der Psychologie wird von “Trotz-Autonomie” oder “Gegen-Abhängigkeit” gesprochen. Sie ist genau so schädlich für eine Beziehung wie die erstgenannte Form von Abhängigkeit. Denn der Mann, der noch immer im Hader mit seiner Mutter lebt, überträgt seinen Hass und seine Abwehr auf alles Weibliche und – eventuell nach einer Phase der Idealisierung in der Verliebtheit – auch auf seine Frau. Und die Frau, die immer noch Groll gegen ihren Vater hegt, überträgt diesen genau so – jedenfalls im Laufe der Zeit – auf ihren Mann und alles Männliche.

Ähnlich destruktiv wirkt sich Unausgesöhntheit mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil aus: Der Mann, der innerlich immer noch mit dem Vater kämpft, kann sich selber als Mann nicht wirklich annehmen, und das belastet die Beziehung zu seiner Frau, weil er dadurch als männliches Gegenüber ausfällt. Und ähnlich bei der Frau: Lebt sie noch immer im Zwist mit ihrer Mutter, ist sie auch im Zwiespalt mit sich als Frau, und sie kann deshalb dem Mann keine selbstbewusste Partnerin sein.

Die fortbestehende Abhängigkeit von den eigenen Eltern bindet und gibt nicht frei für die Partnerliebe. Helfen kann hier, sich mit oder ohne Therapie mit der Geschichte der Herkunftsfamilien auseinanderzusetzen, um so das Verhalten, die Grenzen und Einschränkungen der Eltern aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte deutscher Familien hat in den Lebensläufen der Betroffenen tiefe Spuren hinterlassen, und sie zu kennen hilft, zu einer echten Aussöhnung zu kommen. Ablösung ist nicht ohne Aussöhnung möglich. Das ist vor allem ein innerer Prozess. Dazu müssen die Eltern nicht mehr leben, obwohl es natürlich sehr befriedigend ist, wenn es noch zu ihren Lebzeiten geschehen kann.

6. Krisen als Chancen sehen lernen

Krisen in der Paarbeziehung sind normal und nicht an sich schon ein Zeichen, dass mit ihr etwas nicht mehr stimmt. Denn wie jedes soziale System hat das Paar eine Geschichte und durchläuft verschiedene Entwicklungsphasen, die sich stark voneinander unterscheiden (zum Beispiel die Phase des kinderlosen Paares von der des Paares mit kleinen Kindern). So ist immer wieder Neuanpassung erforderlich, die das bestehende Gleichgewicht vorübergehend durcheinander bringt. In diesem Sinn bringt schon der normale Lebenslauf Krisen mit sich – “vorhersehbare” Krisen, für die es Bewältigungsstrategien braucht und die Partner zuweilen stark herausfordern (zum Beispiel beim Übergang von der kinderlosen Phase zur Kinderphase oder beim Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand).

Neben diesen vorhersehbaren Krisen ist aber jedes Paar auch mit unvorhersehbaren Krisen und kritischen Lebensereignissen konfrontiert, die bewältigt werden wollen: Krankheiten, Unfälle, Untreue usw.

Bei vorhersehbaren kritischen Lebensereignissen ist deutlich, dass sie, wenn sie gut bewältigt werden, zur persönlichen Weiterentwicklung und Reifung des Paares beitragen. Anders ist es bei unvorhersehbaren: die unerwarteten Schulschwierigkeiten des Kindes, die Außenbeziehung eines Partners oder eine chronische Erkrankung. Man wünscht nichts sehnlicher, als davon verschont zu bleiben, und wird man davon getroffen, möchte man sie weghaben, um den Zustand von vor der Krise wieder herzustellen. Diese Probleme bringen das Gleichgewicht und die Balance eines Paares manchmal derart durcheinander, dass die Stabilität des Systems akut bedroht ist.

Aber die Erfahrung zeigt: Auch solche Krisen können zu Chancen von Weiterentwicklung werden, sowohl der einzelnen Partner als auch des Paarsystems. Die Schulprobleme des Jungen können den Vater herausfordern, sich mehr um ihn zu kümmern, und durch diese seine vermehrte Präsenz gewinnt nicht nur das Kind, sondern profitieren auch die Paarbeziehung und die ganze Familie. Die Untreue-Krise kann dazu führen, dass das Paar auf sein eigenes “ungelebtes Leben” aufmerksam wird und sich auf den Weg macht, die vernachlässigten Seiten der Beziehung wieder zu verlebendigen. Und die chronische Erkrankung kann dazu führen, dass Partner ganz neue Seiten entwickeln: Der bisher überwiegend nehmende Mann entdeckt seine Fürsorglichkeit und lernt zu geben, und die Frau, die früher für alles verantwortlich war, lernt loszulassen und zu nehmen. Das kann zu einer ganz neuen Begegnung der beiden und zu neuer Intimität führen.

Die Frage, die angesichts vorhersehbarer wie unvorhersehbarer kritischer Lebensereignisse für Paare sehr hilfreich sein kann, lautet: “Wozu könnte dieses Ereignis einmal gut gewesen sein?” Oder: “Zu welcher Entwicklung fordert uns diese Krise heraus?” – “Was ist also die ‘Botschaft’ dieser Krise an mich, an uns?” Paare, die in dieser Haltung Krisen begegnen, haben gute Chancen, sich nicht zu entfremden, sondern neuen Reichtum in ihrer Beziehung zu entdecken – sogar in und durch schwere Lebenskrisen.

In einer intakten, stabilen Familie aufzuwachsen schafft zweifellos für das spätere Leben der Kinder – für ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Lebenszufriedenheit – eine gute Grundlage. Da diese Stabilität heute immer weniger von außen garantiert wird, tun Eltern am meisten dafür, wenn sie sich immer wieder um die Qualität ihrer Paarbeziehung kümmern. Die hier gegebenen Hinweise mögen dafür hilfreich sein.

Literatur

  • Gottman, John M./ Silver, Nan (2000): Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe. 2. Aufl., München
  • Jellouschek, Hans (2002): Bis zuletzt die Liebe. Als Paar im Schatten einer tödlichen Krankheit. Freiburg
  • Jellouschek, Hans (2002): Die Kunst als Paar zu leben. 14. Aufl., Stuttgart
  • Jellouschek, Hans (2003): Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe. 11. Aufl., Freiburg
  • Jellouschek, Hans (2003): Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance. 8. Aufl., München
  • Welter-Enderlin, Rosmarie (1996): Deine Liebe ist nicht meine Liebe. Partnerprobleme und Lösungsmodelle aus systemischer Sicht. Freiburg
  • Welter-Enderlin, Rosmarie (1999): Wie aus Familiengeschichten Zukunft wird. Neue Wege systemischer Therapie und Beratung. Freiburg
  • Willi, Jürg (2002): Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklung durch Paarbeziehungen. Stuttgart

Autor

Hans Jellouschek, Jg. 1939, Lic. phil., Dr. theol., ist Lehrtherapeut für Transaktionsanalyse, Paartherapeut und Autor mehrerer Bücher zu Paar-Themen. In der Fortbildung tätig seit ca. 25 Jahren. Praxis in Ammerbuch, in der Nähe von Tübingen.

Kontakt

Dr. Hans Jellouschek
Baumgartenring 7
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Tel.: 07073/3662

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Erstellt am 14. Mai 2003, zuletzt geändert am 8. März 2010

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