Die nichteheliche Lebensgemeinschaft – eine soziologische Analyse

Prof. Dr. Dr. h.c. Rosemarie Nave-Herz

Rnave-herz

 

 

 

 

Seit den 70er Jahren ist steigt die Tendenz bei Paaren, in Nichtehelichen Lebensgemeinschaften zusammen zu leben. Statistische Untersuchungsergebnisse untermauern diese Entwicklung. Die Autorin geht dieser Tatsache aus soziologischer Sicht auf den Grund und blickt dabei auch auf die Unterschiede zur traditionellen Eheschließung.

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Statistische Übersicht
  3. Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Ehe: Ein soziologischer Vergleich
  4. Eine Mikroanalyse der Nichtehelichen Lebensgemeinschaft

1. Einleitung

Unter einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft wird im folgenden Beitrag eine heterosexuelle Partnerschaft mit gemeinsamem Haushalt, aber ohne formale Eheschließung verstanden. Historisch gesehen, hat es diese Partnerform in unserem Kulturbereich immer gegeben, jedoch in geringem Umfang. Sie war nur in bestimmten Schichten (z. B. in den Armutsschichten im Mittelalter) oder bei bestimmten Personengruppen (z. B. unter Künstlern und Literaten) verbreitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wählten manche Paare diese Lebensform, damit die der Partnerin zustehende Kriegswitwenrente staatlicherseits nicht gestrichen wurde. Für diese Partnerform setzte sich in jener Zeit sogar eine besondere Bezeichnung durch, “Onkel-Ehe” , Ausdruck bzw. Folge des damals noch gültigen Kuppelei-Paragrafen.

Seit Ende der 70-er Jahre nahmen die Nichtehelichen Lebensgemeinschaften in der Bundesrepublik quantitativ stetig und stark zu, und zwar in allen Teilen der Bundesrepublik, aber noch etwas stärker in den neuen Bundesländern und in städtischen Gebieten. Sie sind zu einem Massenphänomen nicht nur in Deutschland, sondern fast überall in Europa geworden.

2. Statistische Übersicht

Nach Angabe des Statistischen Bundesamtes beträgt die Zahl der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Deutschland 2,1 Mill. (1999). Sie hat sich damit in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Bezogen auf die Bevölkerung im Alter von 20 – 39 Jahren leben in Deutschland ca. 10% in einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Schneider et al. 1998: 75; Lauterbach 1999: 283).

Im Auftrage des BMFSFJ wurde im November 2000 erstmalig eine detaillierte Sonderauszählung aufgrund der Mikrozensusdaten des Statistischen Bundesamtes über die Bevölkerung ab 18 Jahren durchgeführt, die mit einem Partner zusammen lebt. Die Daten wurden differenziert nach Elternschaft/Nicht-Elternschaft, nach Rechtsformen (legale Eheschließung oder nicht), nach Geschlecht, Alter, Erwerbstätigkeit und Bildung. Ausgeklammert blieben Wohngemeinschaften (vgl. Schneider et al. 2000: 6ff.).

Diese Differenzierung aller Haushalte nach ihrer Rechtsform zeigt, dass der Anteil Nichtehelicher Lebensgemeinschaften insgesamt, also mit und ohne Kinder, an allen Lebensformen 5,3 % beträgt.


Tab. 1: Verteilung der Lebensformen in Deutschland (ohne Wohngemeinschaften)

Lebensform

Anteil

Alleinlebend

37,5%

ohne Partner mit Kind

5,9%

verheiratet mit Kind/Kindern

26,6%

verheiratet ohne Kind/Kinder

24,7%

NEL mit Kind/Kindern

1,5%

NEL ohne Kind/Kindern

3,8%

NEL = Nichteheliche Lebensgemeinschaft

Quelle: Eigene Zusammenstellung aus den statistischen Daten in Schneider et al., Mainz 2000

Mit dieser Mikrozensusauswertung wurde es vor allem erstmals möglich, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Ehen in sozialstatistischer Hinsicht zuverlässig zu vergleichen. Bedeutsam ist zunächst das höhere Bildungsniveau der in einer Nichtehelichen Partnerschaftsform Lebenden gegenüber den Verheirateten: Über ein niedriges Bildungsniveau verfügen 57% zu 36%.

Ferner gilt für die weit überwiegende Mehrheit der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften (aber nicht im gleichen Maße für die Verheirateten), dass beide Partner einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen bzw. sich in einer Ausbildung befinden, dass sie ledig und kinderlos sind. Das Verhältnis zwischen Nichtverheirateten mit Kindern und Verheirateten mit Kindern beträgt 5% zu 95% (Schneider et al. 2000: 76). Der Anteil von Nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern ist in den jüngeren Altersgruppen höher als in den älteren (vgl. hierzu auch die Daten bei Lauterbach 1999: 298). So beträgt dieser an allen Partnerschaften, die mit Kindern zusammenleben, im Alter zwischen 18 und 29 Jahren noch 16% (84% sind also verheiratet), über 45 Jahren nur noch 2%.

Da es sich bei den genannten Zahlen um Querschnittsdaten handelt, geht aus ihnen nicht hervor, wie viele Nichteheliche Lebensgemeinschaften zu einem späteren Zeitpunkt die Ehe evtl. noch eingehen werden, nämlich kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes oder sobald die formale Ehescheidung eines Partners vorliegt. Nach Hochschätzungen gilt dieser Sachverhalt für ca. 1/3 von ihnen.

Die sehr ungleiche Verteilung zwischen den Nichtehelichen Partnergemeinschaften und den Ehepaaren im Hinblick auf die statistischen Variablen “Alter” und “Mit Kindern zusammenleben” deutet auf sehr unterschiedliche Lebenslagen zwischen beiden Daseinsformen hin. Da die statistischen Daten eine starke quantitative Konzentration der Nichtehelichen Partnergemeinschaften auf die unter 35-Jährigen und Kinderlosen zeigen und da ferner die Eheschließungsquoten in den letzten Jahrzehnten nur unwesentlich abgenommen haben, aber das Heiratsalter sich immer stärker in höhere Altersgruppen verschoben hat (Klein 1999c: 84), ist unter dieser statistischen Perspektive die Nichteheliche Lebensgemeinschaft – in weit überwiegender Mehrzahl – als eine neue Form während der Postadoleszenz, also als eine Phase vor der Eheschließung bzw. vor der “Kinderphase” zu deuten. Diese These soll im Folgenden ebenso durch empirische soziologische Untersuchungsergebnisse belegt werden.

3. Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Ehe: Ein soziologischer Vergleich

Die Verbreitung von Nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist zurückzuführen auf gesamtgesellschaftliche materielle und normative Veränderungen. So wurden z.B. durch die längeren Ausbildungszeiten für immer mehr Jugendliche die Ehe- und Familiengründung in ein immer höheres Lebensalter verschoben. Vor allem gilt dieses für Frauen, nunmehr ebenso für diejenigen in den neuen Bundesländern, deren Eheschließungsalter und das Alter bei Geburt ihres ersten Kindes zu DDR-Zeiten weit niedriger waren als in der (alten) Bundesrepublik.

Vor allem aber nahmen die normativen Zwänge zur Eheschließung ab. So bedürfen z.B. die emotionellen sexuellen Beziehungen heute keiner öffentlich bekundeten Legitimation durch die Eheschließung mehr (erst 1973 wurde der sog. “Kuppelei-Paragraph” abgeschafft; Limbach 1988), und die materiellen und wohnungsmäßigen Bedingungen ermöglichen ein Zusammenleben ohne verheiratet zu sein. Die Ehe hat ihren Monopolanspruch, nämlich das “einzige soziale System mit Spezialisierung auf emotionale Bedürfnislagen” (Luhmann 1982) zu sein, seit ca. 25 Jahren verloren. Nunmehr erfüllt auch die Nichteheliche Lebensgemeinschaft diese Funktion; auch sie wird aufgrund einer emotionalen Beziehung eingegangen. Im übrigen legen hier ebenso die Partner besonderen Wert auf sexuelle Treue und nur geringfügig stärker erklären die Partner ihren Wunsch nach eigener Unabhängigkeit (Meyer/Schulze 1988: 316ff., Schneider et al. 1998; Lauterbach 1999: 283).

In unserer ersten eigenen familienbiografischen Erhebung (Nave-Herz 1984) – deren Ergebnisse von anderen Forschern und Forscherinnen und von späteren eigenen Untersuchungen immer wieder bestätigt wurden (Burkard et al. 1989; Simm 1991; Tölke 1993; Vaskovics/Rupp 1995; Matthias-Bleck 1997; Lauterbach 1999: 303) – zeigte sich, dass heute in Deutschland eine Nichteheliche Lebensgemeinschaft in eine Ehe “überführt” wird, sobald ein Kind geplant wird oder eine Schwangerschaft gegeben ist, also überwiegend im Hinblick auf Kinder. Diese heutige “kindorientierte Ehegründung” und “kindzentrierte Familie” – wie wir es nannten – setzte sich Mitte der 70er Jahre durch, und zwar durch die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz der Lebensform Nichteheliche Lebensgemeinschaft. Heute gibt es also zwei soziale Systeme mit gleicher spezialisierter Leistung; sie unterscheiden sich aber im Gründungsanlass, da überwiegend eine emotionale Partnerbeziehung zur Bildung einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt, dagegen die emotionale kindorientierte Partnerbeziehung zur Eheschließung. Neuere Untersuchungen zeigen sogar die Tendenz der Verkehrung der Reihenfolge: denn bisher galt: “wenn Ehe, dann Kinder” ; und nunmehr hat die normative Argumentation gewonnen: “wenn Kinder, nur dann Ehe” (vgl. Nave-Herz 1997; Matthias-Bleck 1997). Beispielhaft sei die Antwort einer Frau aus einem qualitativen Interview wiedergegeben: “Nur wenn ich Kinder bekomme, dann möchte ich heiraten” ; und ein Mann betonte: “Solange keine Kinder im Spiel sind, sehe ich eigentlich auch keinen Grund zu heiraten” .

Was sich durch die Herausbildung der neuen Lebensform Nichteheliche Lebensgemeinschaft verändert hat, ist vor allem der Ablaufprozess bis zur Ehe- bzw. Familiengründung. Der früher gegebene Sinn- und Verweisungszusammenhang zwischen den einzelnen Entscheidungsakten bis zur Hochzeit ist kaum noch gegeben. Der Verweisungszusammenhang zeigte sich noch vor ca. 30 Jahren in einem rituellen Ablaufprozess: nämlich, dass man nicht plausibel lieben und zugleich die Heiratsabsicht offen lassen konnte; die Liebeserklärung schloss den Heiratsantrag mehr oder weniger mit ein und die Verlobung folgte, die auf Heirat verwies und jene dann auf Kinder, also auf Familiengründung. Damals – so formulierte Tyrell – forderte das Eine das Andere, und wenn einer, nachdem er ernsthaft A gesagt hatte, nicht auch B sagte, so entwertete er zwangsläufig A rückwirkend (Tyrell 1988). Diese zwingenden Verknüpfungen gelten heute nicht mehr.

Aus diesem Grunde ist es auch falsch – wie häufig behauptet wird -, dass die Nichteheliche Lebensgemeinschaft eine neue Form der Verlobung sei. Diese Deutung ist insofern unzutreffend, weil – wie betont – für die Verlobung der Verweisungszusammenhang gilt: wenn Verlobung, dann Ehe. Die Auflösung des Eheversprechens ist zwar möglich, kann aber negative Sanktionen nach sich ziehen. Dagegen weist die Nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht über sich selbst hinaus und wird zumeist auch nicht mit der Absicht eingegangen, eine Dauerbeziehung zu begründen, wenn diese auch hieraus entstehen kann. Sie ist aber nicht unbedingt von Anfang an beabsichtigt. Schon in der ersten für die Bundesrepublik Deutschland repräsentativen Befragung im Auftrage des BMJFG betonten die interviewten Personen auf die Frage, ob sie ihren Partner, mit dem sie unverheiratet zusammenwohnten, heiraten wollten: zu 33%, dass sie dies später beabsichtigten; 38% waren sich noch im unklaren, 28% wollten zwar auch heiraten, aber nicht den Partner, mit dem sie zusammen lebten. Nur 2% waren echte Ehegegner; hier handelte es sich aber überwiegend um ältere und geschiedene (BMJFG 1985). Neuere Untersuchungen zeigen ähnliche Tendenzen (Vaskovics/Rupp 1995; Matthias-Bleck 1997; Schneider et al. 1998: 84).

Der Unterschied zwischen Ehe und Nichtehelicher Lebensgemeinschaft besteht vor allem auch darin, dass die letztere die emotionale Beziehung nicht der eigenen Einschätzung der Dauerhaftigkeit unterwirft und eine solche Absicht deshalb auch nicht öffentlich bekundet. Eine Zeremonie, wie sie mit der Eheschließung verbunden ist, fehlt. Aber Rituale dürfen für die Verfestigung von Beziehungen insofern nicht unterschätzt werden, da ihr Sinn gerade auch darin liegt, dem neuen System innerhalb des gesamten Sozialsystems seine Position zuzuweisen und damit Grenzen symbolisch neu zu ziehen. So werden z.B. durch die Eheschließung soziale Rollen neu definiert: aus der Mutter wird nunmehr auch die Schwiegermutter, aus dem Bruder auch der Schwager usw., mit genau definierten Rechten und Pflichten. Die Unsicherheit in der Anrede zwischen den Nichtehelichen Partnern und zwischen ihnen und den jeweiligen Herkunftsfamilien ist Kennzeichen für den – bisher jedenfalls noch – geringen Institutionalisierungsgrad dieses Systems.

Überhaupt gibt es zumeist keinen genauen Zeitpunkt, von dem man aus bestimmen könnte, ob nunmehr eine Nichteheliche Partnergemeinschaft gegeben ist oder nicht, weil der Systembildungsprozess überwiegend sukzessiv erfolgt (vgl. BMJFG 1985: 89; Meyer/Schulze 1988; Vaskovics/Rupp 1995). So werden z. B. zunächst ein paar persönliche Gegenstände in der Wohnung des Partners deponiert, man hält sich dann vornehmlich nur noch in einer Wohnung auf, bis man sich schließlich fragt, warum man zwei Mal Miete zahlt. Schließlich gibt man eine Wohnung auf. Einen markierten Anfangszeitpunkt gibt es jedoch überwiegend nicht. Höchstens wird – wenn beide Partner ihre Wohnung aufgeben – die Einweihung der neuen Wohnung gefeiert. Das Zusammenziehen ist lediglich eine Konsequenz der bisherigen Beziehung; Absprachen über zukünftige Gestaltung der Partnerschaften werden nur vage und selten getroffen (Vaskovics/Rupp 1995: 45; Burkard et al. 1989: 93ff.; Nave-Herz 1997a: 36ff.). Die Gründung einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist also die schlichte Konsequenz einer emotionellen sexuellen Beziehung und bedarf keiner rationalen Erwägung. Auch fehlt der Austausch von Geschenken, der als symbolischer Akt den Beginn einer Nichtehelichen Partnergemeinschaft markieren würde, was für die Hochzeit weiterhin gilt. Hierdurch wird nochmals der informelle und prozessuale Charakter dieses neuen Systems besonders deutlich.

Die Gründung einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist also an der Gegenwart orientiert, die Eheschließung dagegen an der Zukunft; analog der Differenz der beiden vorgelagerten rituellen Handlungen, der Liebeserklärung, die auf das “Hier” und “Jetzt” verweist, und dem Heiratsantrag, der das “Morgen” thematisiert.

Durch die Entkopplung der Liebeserklärung vom Heiratsantrag – wie es das bürgerliche Ehemodell vorsah – bleibt also die Entscheidung, ob eine spätere Eheschließung erfolgen wird oder nicht, offen. Die empirischen Untersuchungsergebnisse zeigen, dass diesbezügliche Gespräche über eine mögliche Heirat aber weder bei Eingehung einer Nichtehelichen Partnerschaft, noch lange Zeit danach geführt werden, zuweilen sogar völlig vermieden werden (vgl. ausführlicher Nave-Herz 1997a: 37). So wurde selbst bei denjenigen, die schließlich geheiratet haben, viele Jahre lang über eine derartige gemeinsame Entscheidung nicht explizit gesprochen. Das schließt bei manchen Paaren nicht aus, dass man andeutungsweise das Thema schon mehrmals aufgegriffen hat; aber immer so, dass die Rückzugsposition gesichert war. So werden “Anträge” zuweilen durch das Mittel der Ironie, das “Ins-Spaßige-Ziehen” (also mit Distanz) formuliert. Zu vermuten ist, dass man sich die Fortsetzung der jetzigen Qualität der Beziehung wünscht und zu Recht befürchtet, dass eine definitive Entscheidung, vor allem, wenn sie negativ ausfallen würde, Veränderungen schaffen würde und man sie deshalb vermeidet oder entsprechende Absichten nur vage andeutet. Es scheint also heutzutage schwer zu sein, eine Statusveränderung in intimen Beziehungen zu diskutieren sowie zu erreichen. Zumeist muss es Anlässe geben, am häufigsten der Wunsch nach einem Kind oder eine eingetretene Schwangerschaft, die ein ernsthaftes Gespräch über eine mögliche Eheschließung auslösen und die Entscheidung zum Wandel einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft in eine Ehe mit ihrem gegenseitigen Verpflichtungscharakter bedingen.

Es sei nochmals betont, dass die Nichteheliche Lebensgemeinschaft eine Veränderung zur Ehe erfahren kann, aber nicht muss; insofern können manche Nichteheliche Lebensgemeinschaften im Nachhinein, also aus der Retrospektive, dann als Probe-Ehe interpretiert werden. Nach Lauterbach gehen von denen, die das erste Mal in einer Nichtehelichen Partnerschaft leben, zu 50% mit diesem Partner die Ehe ein; und von denen, die eine zweite Nichteheliche Lebensgemeinschaft wählen, sind es nochmals knapp die Hälfte (Lauterbach 1999: 294/302). Aus allen genannten empirischen Befunden wird also deutlich, dass die Nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Ehe keine konkurrierenden Lebensformen darstellen und die Nichteheliche Lebensgemeinschaft eine eigenständige Lebensphase überwiegend vor der Familiengründung darstellt.

Für die relativ sehr wenigen älteren – über 45 Jahre alten – Personen, die in einer Nichtehelichen Partnerschaft leben, wissen wir bisher weder den Grund für die Wahl dieser Lebensform, noch wie viele diese evtl. später in eine Ehe überführen und warum. Empirische Untersuchungen fehlen. Doch ist ihre Anzahl bisher, das sei nochmals betont, sehr gering, wenn sie auch in den letzten Jahren etwas angestiegen ist (vgl. Klein 1999c: 87).

4. Eine Mikroanalyse der Nichtehelichen Lebensgemeinschaft

Die bisher dargestellten empirischen Untersuchungsergebnisse über Nichteheliche Lebensgemeinschaften lassen es nicht erstaunlich erscheinen, dass auf der Paarebene die nichtverheirateten Zusammenlebenden sich nur sehr geringfügig von den Verheirateten unterscheiden. So gibt es keine Differenzen zwischen beiden Partnerschaftsformen in Bezug auf die Altersunterschiede und die überwiegend gegebene bildungsmäßige und konfessionelle Homogamie der Partner (Klein 1999b: 232).

Dagegen scheint die innerfamiliale Arbeitsteilung in Nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Vergleich zu Verheirateten – auf den ersten Blick hin – eher dem Egalitätsprinzip zu entsprechen. Doch zeigen differenziertere empirische Analysen, dass die vorfindbare nichttraditionelle Arbeitsteilung bei nichtverheirateten Paaren, also die stärkere Beteiligung der Männer an der Hausarbeit, nicht an erster Stelle auf die Rechtsform der Partnerschaft zurückzuführen ist, sondern auf die höhere Zahl von erwerbstätigen Partnerinnen in Nichtehelichen Lebensgemeinschaften (Künzler 1999: 235ff.) und auch auf die Kinderlosigkeit dieser Paare. Denn auch für Verheiratete gilt, wie viele Untersuchungen immer wieder gezeigt haben, dass erst nach dem ersten und noch stärker nach dem zweiten Kind sich die traditionellen Familienaufgaben-Modelle wieder durchsetzen (vgl. Rost/Schneider 1995: 188).

Ein weiterer Unterschied zwischen der Nichtehelichen Lebensgemeinschaft und der Ehe besteht in dem höheren Trennungsrisiko der nichtverheirateten Partner gegenüber den Verheirateten. 20% trennen sich bereits nach ca. 2 Jahren. Nach 6 Jahren ist die Hälfte der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften wieder gelöst (Lauterbach 1999: 294). Dagegen endet (nur) jede 3. Ehe in der Bundesrepublik durch Scheidung.

Gleichzeitig – und abschließend – muss betont werden, dass das voreheliche Zusammenleben nicht die spätere Ehestabilität unterstützt; im Gegenteil: das Scheidungsrisiko von Ehen, denen eine Nichteheliche Lebensgemeinschaft vorausgegangen ist, ist höher als bei denjenigen Personen, die sofort die Ehe geschlossen haben. Lediglich Vermutungen über die verursachenden Bedingungen für diesen Sachverhalt beherrschen bisher die wissenschaftliche Diskussion. So z. B. könnten Selektionseffekte die Differenz bedingen. Da Partner, die sich nicht für eine Nichteheliche Lebensgemeinschaft entscheiden, traditionellere Einstellungen zur Ehe haben und damit auch den Institutionencharakter von Ehen stärker betonen, ist eine Auflösung psychisch erschwert. Gezielte empirische Erhebungen, die diesen Tatbestand erklären, wären notwendig.

Rückblickend auf die in diesem Beitrag präsentierten statistischen und empirischen Befunde bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass – abgesehen von einigen Gemeinsamkeiten (z.B. der Emotionalisierung der Binnenstruktur, der Altersdifferenzen sowie der Bildungshomogamie innerhalb der Partnerschaften) – beide Partnerschaftsformen als unterschiedliche eigenständige Systeme sowohl unter der Makro-, als auch unter der Mikro-Perspektive zu bewerten sind. Nichteheliche Lebensgemeinschaften können sich als eine Vorphase zur Ehe und damit zur Familiengründung in der Retrospektive erweisen, aber nur für die Hälfte von ihnen trifft dieser Sachverhalt zu. Die andere Hälfte wählt nach Auflösung ihrer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine zweite, evtl. auch dritte, die dann zur Ehe führen kann; oder es wird anschließend als Lebensform das Alleinleben, eine Wohngemeinschaft u.a.m. gewählt. Eine über 10 Jahre dauernde Nichteheliche Lebensgemeinschaft ist sehr selten anzutreffen (vgl. Trost 1989: 363ff; Lauterbach 1999).
 

Literatur zum Thema des Beitrags

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Autorin

Prof. Dr. Dr. h.c. Rosemarie Nave-Herz
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Institut für Soziologie
Ammerländer Heerstr. 114-118
26129 Oldenburg
 

Erstellt am 26. September 2001, zuletzt geändert am 16. März 2010