Mit einem Partner aus einer anderen Kultur leben
Dr. Elisabeth Reif
Interkulturelle Partnerschaften führen oft zu einer Erweiterung des Weltbildes und stellen eine Quelle persönlichen Wachstums dar. Andererseits haben die Betroffenen auch oft mit Problemen zu kämpfen. Der Artikel beschreibt einige der Problemfelder, die keinesfalls nur in möglichen kulturellen Unterschieden bestehen. Oft sind es gesetzliche Bestimmungen des Ausländerrechts oder auch die Reaktion von Angehörigen, die den Alltag belasten. Häufige Konfliktfelder sind aber auch unterschiedliche Vorstellungen über Sexualität, Partnerschaft, Geschlechterrollen sowie der Umgang mit der Herkunftsfamilie.
Interkulturelle Ehen und Partnerschaften sind in Zeiten der Globalisierung keine Seltenheit mehr. Solche Partnerschaften stellen eine intellektuelle und emotionale Herausforderung dar. Die Partner in einer solchen Beziehung, die sich tiefer aufeinander einlassen, sind häufig kleineren bis größeren narzisstischen Kränkungen ausgesetzt, da fast immer die eigene gewohnte Art zu leben, zu denken, zu handeln etc. in Frage gestellt wird. Die Unterschiede in den Weltbildern müssen kognitiv verarbeitet und verstanden werden; die Kränkungen müssen emotional verarbeitet werden. Oft führt eine solche interkulturelle Partnerschaft überhaupt erst zur Fähigkeit, kulturelle Unterschiede wahrzunehmen und sich daher auch der eigenen kulturellen Prägung bewusst zu werden, die man vorher vielleicht mit der menschlichen “Natur” verwechselt hat. Wenn es in meinem Artikel vordergründig um typische Probleme in interkulturellen Beziehungen geht, so will ich aber auch auf die Selbstreflexion und Selbsterkenntnis hinweisen, die durch solche Partnerschaften meist in Gang gesetzt werden.
Im Folgenden möchte ich kurz darstellen, was unter “Kultur” überhaupt verstanden werden kann, um anschließend häufige Problemfelder interkultureller Partnerschaften aufzuzeigen. Es gibt zum einen typische Konfliktfelder, die gar nichts mit unterschiedlichen Kulturen im engeren Sinne zu tun haben, wie z.B.
- Kommunikationsprobleme
- Alltagsrassismus
- Probleme mit der Ausländergesetzgebung
- Machtkonflikte
Zum anderen gibt es Konfliktfelder, die mit kulturellen Unterschieden zusammenhängen.
Was bedeutet “Kultur”?
Unter ”Kultur“ wird im anthropologischen Sinne ein System von Bedeutungen verstanden, also Normen, Werte, Glaubenssysteme, Ideologien, Symbole etc. In der Vergangenheit wurde die Homogenität von ”Kultur“ viel zu sehr betont. Mit dem neueren kritischen Kulturbegriff wird hingegen versucht, auch auf die innere Widersprüchlichkeit von Kultur hinzuweisen. Die heutzutage übliche Vermischung und gegenseitige Durchdringung mit anderen Kulturen hat zur Folge, dass die Unterschiede zwischen Menschen innerhalb derselben Kultur größer sein können als zwischen verschiedener Kulturen – dies insbesondere deswegen, weil die Menschen aufgrund unterschiedlicher sozialer Kriterien andere Sozialisationserfahrungen machen. Diese werden nicht nur von der Kultur bestimmt, sondern z.B. auch von der sozialen Schicht, der Muttersprache, dem Geschlecht, der regionalen Herkunft (Stadt – Land), dem Beruf etc.
Diese Überlegungen sind deshalb so wichtig, weil eine große Gefahr darin besteht, Menschen von vornherein bestimmte Verhaltensweisen, Wertvorstellungen oder Glaubenssysteme zuzuschreiben, weil sie aus bestimmten Ländern kommen. Damit würde man nur wieder Vorurteile und Stereotypen produzieren. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss es klar sein, dass es niemals möglich ist, Voraussagen über Individuen zu machen, nur weil wir vielleicht wissen, aus welcher ”Kultur“ sie stammen. Alle nachfolgenden Ausführungen über mögliche Kulturunterschiede müssen also in diesem Sinne als grobe Verallgemeinerungen verstanden werden. Die oben genannten sozialen Kriterien, aufgrund derer Menschen ihre Sozialisationserfahrungen machen, bedingen jeweils andere Subkulturen, an denen die Individuen in unterschiedlichem Ausmaß Anteil haben.
Probleme interkultureller Partnerschaften, die nichts mit Kultur in engerem Sinne zu tun haben
Den meisten interkulturellen Paaren macht die Ausländergesetzgebung zu schaffen (Wittemann 2010; Verband binationaler Ehen und Partnerschaften 2012). Die Gesetzeslage führt beim ausländischen Partner oft zu Problemen mit der Aufenthaltsgenehmigung und der Arbeitsbewilligung. Will das Paar zusammenbleiben, ist es oft dazu gezwungen, schnell zu heiraten und zusammen zu ziehen. Für den deutschen bzw. österreichischen Partner führt das oft zu dem Gefühl, um die Annäherungsphase bzw. um eine längere Kennenlernphase betrogen worden zu sein.
Weiters haben solche Paare häufig Probleme mit Alltagsrassismus vor allem dann, wenn der andere ”kulturelle“ Hintergrund eines Partners auch äußerlich sichtbar ist (Bielinski 2011). Rassistische Bemerkungen schmerzen, insbesondere dann, wenn sie von eigenen Freunden oder Verwandten geäußert werden.
Darüber hinaus zählen Kommunikationsprobleme zu häufigen Konfliktursachen (vgl. Kumbier/Schulz v. Thun 2006). Auch wenn die Partner in einer gemeinsamen Sprache sprechen, können sich Missverständnisse dadurch ergeben, dass sie die ”gemeinsame”, aber (für einen oder beide Partner) fremde Sprache unwillkürlich durch die” Brille “ihrer Muttersprache sprechen. Wie Linguisten festgestellt haben, beeinflusst unsere Sprache auch unsere Wahrnehmung. So wird z.B. die Wahrnehmung von feineren Farbunterschieden dadurch geschärft, dass in einer Sprache auch differenzierte Begriffe dafür vorhanden sind, die eine solche Unterscheidung erleichtern. Probleme ergeben sich bei der Übersetzung eines Begriffes in eine andere Sprache, in der kein angemessenes Wort dafür vorhanden ist oder beispielsweise nur eine viel ”gröbere“ Bezeichnung.
In interkulturellen Partnerschaften ist es sehr hilfreich, über solche möglichen Missverständnisse Bescheid zu wissen, weil man sonst leicht dazu tendiert, dem anderen Partner Dummheit, Ignoranz oder gar böse Absichten zu unterstellen. Das Erlernen der fremden Sprache des anderen Partners führt auch zum besseren Kennenlernen der Kultur; es kann also beiden Partnern einer solchen Partnerschaft nur empfohlen werden. Wenn man sich hingegen darauf einigt, in der Muttersprache eines der beiden Partner zu sprechen, ergeben sich dadurch asymmetrische Machtverhältnisse.
Machtkonflikte spielen in diesen Partnerschaften ebenfalls meist eine Rolle. Solche Konflikte werden oft über die Kindererziehung ausgetragen, wenn die Eltern ihren Kindern unterschiedliche Werte, Sprachen oder Religionen vermitteln wollen. Die Kinder geraten dadurch leicht in Loyalitätskonflikte.
In Beziehungskonstellationen zwischen ausländischen Männern (z.B. aus Afrika oder Lateinamerika) und deutschen bzw. österreichischen Frauen sind die Männer oft mit einer Umkehrung ihrer traditionellen Geschlechtsrollenvorstellungen konfrontiert. Die Männer haben in Österreich bzw. Deutschland häufig Schwierigkeiten, gute Jobs zu finden – sei es aufgrund der für Ausländer ungünstigeren Gesetzeslage, weil ihre Zeugnisse aus den Heimatländern nicht anerkannt werden, oder weil mangelnde Deutschkenntnisse sie oft zwingen, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Die deutsche/ österreichische Frau hat meist die weit bessere Chance am heimischen Arbeitsmarkt. Es kann sein, dass sie neben den Heimvorteilen auch noch die bessere Ausbildung hat und daher wesentlich mehr verdient als der ausländische Mann. Dieser Umstand zehrt bei Männern mit konträren Geschlechtsrollenvorstellungen am Selbstwertgefühl. Dazu kommt möglicherweise noch die Konfrontation mit Ausländerfeindlichkeit. Manche Männer reagieren darauf, indem sie sich in anderen Bereichen ihr ”verlorenes Stück Männlichkeit“ wieder zurückholen und sich extrem ”männlich“ verhalten (Reif, 1996).
Die kulturelle Macht der Sexualität
Die Rolle, die der Sexualität von der Kultur zugeschrieben wird, hat für interkulturelle Partnerschaften oft eine große Bedeutung. Sie spiegelt die soziale Konstruktion kultureller Theorien über die menschliche ”Natur“. Auch im Westen wurde etwa in der Psychoanalyse dem Sexuellen eine gewaltige Kraft zugeschrieben.
Unterschiedliche Kulturen unterscheiden sich stark in der Einschätzung der menschlichen Fähigkeit zur Selbstdisziplin. So berichtet Edward Hall beispielsweise, dass man es früher in den meisten Ländern Lateinamerikas für unmöglich hielt, dass ein Mann seine sexuelle Begierde in Zaum halten könnte, falls er mit einer Frau alleine im Raum wäre. Aber auch der Frau wurde schlicht die Fähigkeit abgesprochen, einem Mann sexuell zu widerstehen, wenn sie mit ihm alleine wäre. Daher seien präventive Vorsichtsmaßnahmen notwendig, um das zu verhindern (Hall, 1990).
Eine ähnlich starke Bedeutung wird der Sexualität in islamischen Ländern zugeschrieben. Auch dort ist man der allgemeinen Überzeugung, dass ein Mann und eine Frau, die nicht miteinander verwandt sind, Geschlechtsverkehr haben werden, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet. Die Begründung dafür ist ähnlich wie in Lateinamerika: Der Sexualtrieb beider Geschlechter wird als so mächtig betrachtet, dass es ihnen unmöglich ist, ihm zu widerstehen.
Die präventiven Vorsichtsmaßnahmen, die in islamischen Ländern getroffen werden, bestehen in der Geschlechtertrennung. Entweder wird sie dadurch herbeigeführt, dass Frauen keinen Zugang zur ”öffentlichen Sphäre“ haben, oder durch getrennte öffentliche Einrichtungen für Männer und Frauen, Buben und Mädchen. Je nach ”islamischer“ oder ”westlich-moderner“ Ausrichtung der jeweiligen Regierungen ist die Geschlechtertrennung in Ländern mit einer islamischen Bevölkerungsmehrheit in unterschiedlichem Ausmaß realisiert.
Für interkulturelle Partnerschaften spielen die kulturellen Ideologien über die Macht des Sexuellen eine große Rolle. Die höhere Tendenz von Männern aus islamischen oder lateinamerikanischen Ländern zur Eifersucht ist hinlänglich bekannt. Von westlichen Ehefrauen oder Partnerinnen, die es mit der Beziehung ernst meinen und treu sind, wird erwartet, dass sie es auch vermeiden, mit anderen Männern alleine zu sein. Tun sie das nicht, steht das Vertrauen in der Paarbeziehung auf dem Spiel. Männer, die aus islamischen Ländern in den Westen kommen, haben darüber hinaus oft Phantasien über die extreme Promiskuität europäischer Frauen. Da helfen dann oft keine Beteuerungen: ”Es ist ja eh nichts passiert…“ Diesen interkulturellen Paarkonflikten liegen also völlig gegensätzliche Annahmen über die menschliche Natur und die Macht des Sexuellen zugrunde.
Aus der Tradition der Geschlechtertrennung rührt auch die Tatsache, dass es für viele Menschen aus islamischen Ländern als unhöflich gilt, wenn ein Mann und eine Frau – die nicht miteinander verwandt sind – in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen, sich an den Händen halten oder gar küssen. Solche Zärtlichkeiten sind aber z.B. zwischen Männern in der Öffentlichkeit häufig (aber auch zwischen Frauen), sodass diese Verhaltensweisen von Menschen aus dem Westen oft irrtümlicherweise mit Homosexualität assoziiert werden.
Die Vermeidung von zwischengeschlechtlichen Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit bzw. in der Gegenwart anderer Personen findet sich aber nicht nur in islamischen Ländern, auch in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern werden solche als Beleidigung aufgefasst. Kommt ein Partner einer interkulturellen Partnerschaft aus einem dieser Länder, kann es also sein, dass er bzw. sie nicht gewohnt ist, Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit oder auch in Gegenwart von Freunden oder Familienangehörigen auszutauschen. Der andere Partner kann sich davon zurückgestoßen fühlen oder auch das Gefühl bekommen, dass der Partner nicht wirklich ”zu ihm steht“.
Individualismus versus Kollektivismus/Familarismus
Zu Kulturkonflikten im engeren Sinne zählen etwa Konflikte über divergierende Wertvorstellungen. Die Wertedimension, entlang derer sich Kulturen unterscheiden und die bislang am besten empirisch untersucht ist, ist die Individualismus/ Kollektivismus-Dimension. Vereinfacht gesagt bedeutet Individualismus, dass die Freiheit des Individuums und die individuelle Selbstverwirklichung hoch bewertet werden, während hingegen Kollektivismus bedeutet, dass die Interessen der Gruppe, in die das Individuum eingebettet ist (z.B. Großfamilie, Sippe oder Klan) im Vordergrund stehen. Hier wird versucht, die Harmonie in der Gruppe aufrechtzuerhalten, selbst wenn dafür auch individuelle Interessen zurückgesteckt werden müssen.
Während Menschen aus individualistischeren Kulturen gewohnt sind, Verantwortung für sich selbst und die engste Kernfamilie zu übernehmen, fühlen sich Menschen in kollektivistischeren Kulturen für eine größere Anzahl von Menschen mitverantwortlich, lassen sich selbst mehr von Familienangehörigen beeinflussen (z.B. bei der Berufswahl oder bei der Wahl des Ehepartners), neigen aber ihrerseits auch stärker dazu, Einfluss auf andere auszuüben.
Solche unterschiedlichen Verantwortungs- und Verpflichtungsbereiche können in interkulturellen Partnerschaften leicht zu Konflikten führen. Der ausländische Partner aus einem asiatischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Land fühlt sich unter Umständen verpflichtet, seine Familie im Heimatland zu unterstützen und regelmäßig Geld nach Hause zu schicken. Hat das Paar selbst wenig Geld zur Verfügung, ist dies häufig Auslöser von Konflikten. Der österreichische bzw. deutsche Partner steuert möglicherweise finanziell mehr für das Zusammenleben bei und kann sich dadurch leicht betrogen fühlen.
Welche Rolle spielt darüber hinaus die Familie für die Gestaltung der gemeinsamen Freizeit, z.B. im Urlaub? Wie oft fährt man” nach Hause “zur Familie des ausländischen Partners? Welche Geschenke müssen mitgebracht werden? Was erwarten Familienangehörige, die nach Deutschland/ Österreich auf Besuch kommen? Konflikte entzünden sich häufig an den Themen: ”finanzielle Unterstützung der Familie“, ”Geschenkeinkauf anlässlich einer Heimreise“ oder etwa auch an ”Besuch von Familienangehörigen in Österreich/ Deutschland“.
Romantische oder pragmatische Vorstellung von Ehe und Partnerschaft?
In individualistischen Kulturen besteht das Ideal der romantischen Liebe und Zweisamkeit des Paares. Es wird als ideal angesehen, dass die Ehepartner viel Zeit gemeinsam verbringen, sei es zu zweit oder gemeinsam mit ihren Kindern. In vielen afrikanischen oder arabischen Kulturen hat aber das Paar nicht diese große – und so romantische – Bedeutung. Die Ehepartner verbringen oft gar nicht so viel Zeit miteinander; ihre Lebensbereiche sind stärker voneinander getrennt. Häufig empfinden sie sich gegenseitig auch nicht als wichtigste Bezugspersonen. Darüber hinaus sind sie in ein weit gespanntes Beziehungsnetz von Verwandten und Freunden eingebettet.
In Konstellationen zwischen deutschen bzw. österreichischen Frauen und Männern aus dem afrikanischen oder arabischen Raum führt es bei den Frauen oft zu einer herben Enttäuschung, wenn der Mann nicht genauso viel Bedürfnis nach Zweisamkeit hat wie sie, in seiner Freizeit gewohnt ist, lange fortzubleiben ohne Bescheid zu sagen, und vielleicht sogar das Wochenende lieber mit seinen Freunden verbringt.
Das idealisierte Liebespaar im Westen findet im islamischen Raum eine konträre Entsprechung: Dort ist es die Mutter-Sohn-Beziehung, die idealisiert wird, nicht die Paarbeziehung zwischen den Ehepartnern. Auch aus der Sicht von arabischen Frauen hat die Mutter des Mannes oft einen störenden Einfluss auf die Ehebeziehung ihres Sohnes (Mernissi, 1987). Dieses Muster ist auch in Europa verbreitet ist und betrifft auch oft MigrantInnen der ersten und auch zweiten Generation.
In vielen außereuropäischen Kulturen ist die Ehe keine Privatangelegenheit der beiden Partner. Die weit auf der Erde verbreitete Praxis, dass Ehepartner von ihren Eltern vermittelt werden und sie sich selbst vor der Ehe gar nicht oder nur flüchtig kennen lernen können, spiegelt eine Form des Kollektivismus wider. Ehe hat in solchen Gesellschaften vor allem mit den Beziehungen der beiden Familien zu tun, die ihre Kinder vermitteln. Wenn sich die Ehepartner anschließend nicht gut verstehen und eine Scheidung droht, fühlen sich auch eben diese Familien mitverantwortlich – schließlich haben sie ja die Ehepartner für die jungen Leute ausgesucht. Und so kann die Scheidung zu einer kollektiven Familienangelegenheit werden, die in solchen Gesellschaften meistens so lange wie möglich zu verhindern versucht wird. Wenn dies nicht möglich ist, wird die Scheidung oft von Familienangehörigen ”ausgehandelt“.
Naturgemäß ist auch die Vorstellung von ”Liebe“ eine ganz andere: In Gesellschaften, in denen Ehen häufig vermittelt werden, glaubt man nicht an Liebe ”vor“ der Ehe oder gar an ”Liebe auf den ersten Blick“. Wie soll man einen Menschen auch lieben können, den man noch gar nicht so gut kennt? Dieser Theorie zufolge kommt die Liebe nicht vor, sondern nach der Eheschließung. Liebe wächst dieser Auffassung nach erst allmählich, wenn sich die Ehepartner aneinander gewöhnt haben und sich gut kennen.
Geschlechterrollen
Unterschiedliche kulturelle Bedeutungssysteme beinhalten auch unterschiedliche soziale Rollen. Naturgemäß sind für interkulturelle Partnerschaften die Geschlechterrollen am ausschlaggebendsten. In Europa haben die letzten Jahrzehnte große Veränderungen der Geschlechterrollen mit sich gebracht. Während in Westeuropa nach wie vor der Trend zur Gleichstellung und -berechtigung der Geschlechter besteht, findet in vielen osteuropäischen Ländern eine konservative Wende statt.
Frauen waren im Kommunismus meist voll berufstätig, wurden aber in der Hausarbeit oft nicht von ihren Partnern unterstützt und litten daher unter starker Doppelbelastung. Jetzt sehnen sie sich oft nach der traditionellen Hausfrauenrolle, die ihnen zumindest die Doppelbelastung erspart. Auch aufgrund knapper werdender Arbeitsplätze in Osteuropa wird daher in vielen Familien wieder bevorzugt, dass der Mann arbeiten geht und die Frau zu Hause bleibt. Oft bleibt dies aber nur eine Idealvorstellung, da viele Familien von einem Einkommen allein gar nicht leben können. Tendenziell ist es jedoch möglich, dass Frauen, die von Ost- nach Westeuropa kommen, traditionellere Wunschvorstellungen bezüglich ihrer Rolle in der Partnerschaft bzw. Familie haben als ihre Geschlechtsgenossinnen vor Ort.
Veränderungen der Geschlechterrollen bringen nicht nur neue Freiheiten, sondern auch Verunsicherungen für beide Geschlechter mit sich. Spezifische Konstellationen in interkulturellen Partnerschaften können diesen gesellschaftlichen Veränderungen entweder entgegenwirken oder sie verstärken. Sowohl Männer als auch Frauen, die durch diese sozialen Veränderungen verunsichert sind, können in interkulturellen Partnerschaften – oft unbewusst – Beziehungskonstellationen suchen, die den traditionelleren Geschlechterrollen entsprechen. Dementsprechende Erwartungen, die Menschen aus anderen Kulturen entgegengebracht werden, können freilich auch enttäuscht werden.
Unglücklicherweise wird von manchen Heiratsagenturen, die in dem internationalen Frauenhandel involviert sind, gezielt auf solche Verunsicherungen durch Veränderungen in den Geschlechterrollen gesetzt: ”Asiatische“ Frauen werden beispielsweise als besonders anschmiegsam, unterwürfig und kindlich gepriesen; deutschen und österreichischen Männern werden Ehen mit ihnen empfohlen, ”weil sie völlig problemlos und noch nicht so emanzipiert sind wie europäische Frauen…“. Hier wird die Gefahr der Stereotypierung kultureller Unterschiede deutlich, die in diesem Falle bereits rassistische Ausmaße annimmt. Solche Ehen sind darüber hinaus – möglicherweise gerade aufgrund der mit diesen Klischees geschürten Erwartungen seitens der Männer – oft alles andere als problemlos.
Hilfe und Beratung für Partner
Zur Bearbeitung von Problemen bieten sich Selbsthilfegruppen und Beratung an, wie sie z.B. vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften, IAF, in Deutschland und von der Fraueninitiative bikulturelle Ehen und Lebensgemeinschaften, FIBEL, in Österreich angeboten wird. Bei diesen und ähnlichen Organisationen ist meist auch eine Rechtsberatung möglich.
Im Falle von Konflikten in der Partnerschaft ist häufig eine Mediation sinnvoll. Oft sind schon einige wenige Sitzungen bei Familienmediatoren, die auf interkulturelle Mediation spezialisiert sind, eine Hilfe.
Falls Sie oder Ihr Partner Opfer von rassistischen Beschimpfungen oder sogar Gewalt sind, können Sie auch eine Beratung für Rassismusopfer in Anspruch nehmen. Eine solche wird in Österreich etwa vom Verein ZARA angeboten, in Deutschland in CIVITAS-Beratungsstellen.
Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften in Deutschland als auch der Verein FIBEL in Österreich betreiben auf den Seiten „Bücher und Broschüren“ bzw. „Downloads“ ein umfassendes Archiv mit Publikationen, die zum Teil kostenlos heruntergeladen werden und käuflich erworben werden können.
Literatur
- Alber, J.L/Ossipow, L/Outemzabet, V./Waldis B. (2000) Grenzüberschreitend heiraten. Freiburg: Universitätsverlag
- Al-Sultan, L./Rieck, J.(1994). Ehen über Grenzen. München: Piper
- Beer, B. (1996). Deutsch-philippinische Ehen. Interethnische Heiraten und Migration von Frauen. Berlin: Reimer
- Bielinski, J. (2011) Bikulturelle Partnerschaften in Deutschland. Stuttgart: ibidem Verlag
- Curvello, T.L. (2012) Psychologische Beratung bikultureller Paare und Familien. Frankfurt: Brandes und Apsel
- Englert, A. (1993). Die Liebe kommt mit der Zeit: Interkulturelles Zusammenleben am Beispiel deutsch-ghanaischer Ehen in der BRD. Münster: LIT Verlag
- Hall, E. T. (1990; orig. 1981). The Silent Language. New York: Anchor Books
- Hecht el-Minshawi, B. (1988).”Wir suchen, wovon wir träumen“. Zur Motivation deutscher Frauen, einen Partner aus dem islamischen Kulturkreis zu wählen. Frankfurt: Nexus
- Kumbier, D./Schulz von Thun (Hg.), 2006, Interkulturelle Kommunikation, Reinbek: Rowohlt
- Larcher, D. (2000). Die Liebe in den Zeiten der Globalisierung. Konstruktion und Dekonstruktion von Fremdheit in interkulturellen Paarbeziehungen. Klagenfurt: Drava
- Mernissi, F. (1987). Geschlecht, Ideologie und Islam. Frauenbuchhandlung München
- Parsian, D. (2008) Ehen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Österreich. Abschlussthese zur Erlangung der Bezeichnung Akademischer Orientalist. Online verfügbar unter: http://www.verein-fibel.at/files/Abschluss_ Parsian_Ehen_Musl_NichtMus.pdf (21.5.2008).
- Pusitz, H./ Reif, E. (Hg.) (1996). Interkulturelle Partnerschaften. Frankfurt: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation
- Reif, E. (1996). Verstehen und Mißverstehen in interkulturellen Partnerschaften. In: Pusitz, H./ Reif, E. (Hg.) Interkulturelle Partnerschaften. Frankfurt: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 31-46
- Thode-Arora, H. (1999). Interethnische Ehen. Theoretische und methodische Grundlagen ihrer Erforschung. Berlin: Reimer
- Urech, Ch./Schiess, I./Stucki, V (2005) Binational? Genial! Der Ratgeber für Binationale Paare mit Kindern. Atlantis Verlag
- Verband binationaler Familien und Partnerschaften (2012) Binationaler Alltag in Deutschland: Ratgeber für Ausländerrecht und Internationales Familienrecht. Frankfurt: Brandes und Apsel
- Wittemann, S.C. (2010) Binationale Ehen von ÖsterreicherInnen mit Drittstaatsangehörigen im Lichte der Judikatur des EGMR, VfGH und VwGH zu Artikel 8 EMRK .Diplomarbeit Universität Wien
Autorin
Mag., Dr. Elisabeth Reif, geb. 1962 in Wien, Psychologin, Ethnologin und freiberufliche Mediatorin, Lehrbeauftragte an unterschiedlichen Fachhochschulen in Österreich zum Thema Interkulturelle/transkulturelle Kommunikation; Frühere Tätigkeiten beim Wiener Integrationsfonds (Interkulturelle Paarberatungsstelle), bei beim Südwind NÖ Süd (interkulturelle Bildungsarbeit) bei der Gesellschaft für bedrohte Völker – Österreich (Antirassismusarbeit). Derzeitige Arbeitsschwerpunkte: Interkulturelle/Transkulturelle Kommunikation und Mediation.
Kontakt
Dr. Elisabeth Reif
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Erstellt am 14. September 2004, zuletzt geändert am 30. Juli 2015