Paarbeziehung und Freundschaften

Dr. Insa Schöningh

In dauerhaften Paarbeziehungen, insbesondere aber durch die Eheschließung, wird man Teil der Familie des jeweils anderen. Aber wie steht es eigentlich mit den Freunden und Freundinnen des Mannes oder der Frau? Fast jeder Erwachsene hat welche, und – so müssen wir annehmen – sie verschwinden mit der Eheschließung ebenso wenig wie die Verwandtschaft. Eigentlich sollte man annehmen, der Partner wird ebenso wie bei der Verwandtschaft auch Teil des Freundeskreises des jeweils anderen.

Verwandtschaft und Freundschaft

Seine Schwiegermutter kann man sich nicht aussuchen, seine Freunde schon. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Verwandtschaft, aber nicht der einzige. Zwar lässt sich der Intensitätsgrad des Verhältnisses mit Verwandten selbst bestimmen, aber bevor eine derartige Entscheidung getroffen werden kann, gibt es bereits eine Geschichte mit ihnen, die die Beteiligten verbindet und die – offen oder verborgen – fortwirkt. Aus familiären Bindungen lässt sich schlecht entweichen; selbst im Falle des Kontaktabbruchs beeinflusst sie uns durch die mit ihr verbundene Geschichte. Außerdem bietet Familie – meistens – ein verlässlicheres Gefüge von Unterstützung in prekären Lebenssituationen, als dies Freunde tun. Dies gilt vor allem für sehr beanspruchende Unterstützung wie z.B. bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Gerade durch die verwandtschaftliche Bindung entsteht ein System von Anspruch und Verpflichtung, wie es mit Freunden erst durch besondere Intensität und längere Dauer der Freundschaft entstehen kann.

Freunde und Freundinnen sind meistens Angehörige der gleichen Generation und mit vergleichbaren Möglichkeiten und Einschränkungen konfrontiert wie man selbst; sie teilen unsere Norm- und Wertvorstellungen. Das unterscheidet sie von Verwandten, für die das zwar auch zutreffen kann, aber häufig nicht der Fall sein wird. Als frei gewählte soziale Beziehungen sind Freunde und Freundinnen in jedem Fall nur in das Belieben des jeweiligen Individuums bzw. des Paares gestellt. Der Aufbau eines Freundeskreises kann somit ein Teil der herzustellenden Gemeinsamkeit in der Beziehung sein. Meistens lernt man sie sogar früher kennen als etwaige zukünftige Schwiegereltern. Nicht selten entwickeln sich Paarbeziehungen innerhalb eines gemeinsamen Bekanntenkreises.

Freundinnen und Freunde begleiten den Prozess des Kennenlernens des Partners/ der Partnerin, sind Vertraute für die Höhen und Tiefen dieses Unterfangens. Gleichzeitig haben sie, was die Aufmerksamkeit ihnen selbst gegenüber angeht, eher Nachteile zu erleiden. Zeit, die vorher mit Freunden verbracht wurde, wird jetzt dem neuen Partner gewidmet. Vieles, was vorher mit Freunden geteilt wurde, wird fortan gemeinsam mit der neuen Partnerin unternommen. Dass auch der Freundeskreis eine zu kreierende Gemeinsamkeit ist, wird den Beteiligten weitaus weniger bewusst sein als beispielsweise, ob sie Kinder wollen oder wie die Wohnung eingerichtet werden soll.

Der Verlust der “subjektiven Illusion”

In einem berühmt gewordenen Aufsatz von 1964 haben die Soziologen Peter Berger und Hansfried Kellner dargestellt, dass mit der Eheschließung – bzw., so muss man heute ergänzen, mit dem Eingehen einer verbindlichen Paarbeziehung – zwei individuelle Sichtweisen mehr und mehr zu einer gemeinsamen Sichtweise verschmelzen, ohne – und das ist das Entscheidende – dass diese als gemeinsame tatsächlich wahrgenommen wird. Beide Teile haben subjektiv den Eindruck, sie haben weiterhin ihre individuelle Sicht der Dinge, nur jetzt unter Einbezug des anderen. Diesen Vorgang bezeichnen Berger und Kellner als” subjektive Illusion “.

Je weniger klar und eindeutig die jeweiligen Erwartungen von Frauen an Männer und von Männern an Frauen sind und je mehr Möglichkeiten zulässig sind, umso größer ist bei diesem Vorgang die Gefahr des Nicht-Gelingens. Welche emotionalen Qualitäten vom jeweils anderen erwartet werden, in welcher Weise mit Schwierigkeiten umgegangen wird, aber auch die Frage des alltäglichen Arrangements ist nicht mehr durch allgemein akzeptierte Konventionen festgelegt. Diese Unklarheiten sind Ausdruck sich verändernder Vorstellungen von weiblichen und männlichen Rollen in der Gesellschaft.

Die Kehrseite der erweiterten Möglichkeiten, das gemeinsame Leben nach eigenen Vorstellungen und Vorlieben gestalten zu können, ist dass man dies auch tun muss. Der Rückgriff auf bestehende Geschlechtsrollen klappt nur in dem Fall, in dem beide Beteiligten sich darüber – ausgesprochen oder nicht – einig sind. Das ist zunehmend weniger der Fall. Drei verschiedene Beispiele aus einer Untersuchung über den Umgang mit Freundschaft in der Ehe sollen dies nun verdeutlichen.

Peter ist eifersüchtig auf die Freundinnen seiner Frau Susanne. Sie haben seiner Wahrnehmung oder auch nur Phantasie nach engeren Kontakt mit seiner Frau als er selbst. Die Vermutung, eine ihrer Freundinnen sei eine Lesbe, zeigt, dass er sich auch der sexuellen Treue seiner Frau ihm gegenüber unsicher ist.

Bei Tanja und Holger geht es auch um die Freundinnen der Frau. Für Holger ist es selbstverständlich, dass Tanjas Freunde zu gemeinsamen Freunden werden. Für Tanja dagegen ist das keinesfalls selbstverständlich. Sie empfindet den Versuch ihres Mannes, an der Geselligkeit mit ihren Freunden teilzunehmen, als unangemessenes Eindringen in ihren persönlichen Lebensbereich. Ob sie Vermittlungs- und Integrationsversuche unternommen hat, wissen wir nicht; jedenfalls findet Tanja, dass ihr Mann nicht zu ihren Freundschaften passt.

Bei Kathrin und Volker liegt das Problem wieder anders: Es gibt keine gemeinsamen und auch keine individuellen Freundschaften. Kathrin fehlt eine Freundin sehr, Volker dagegen ist ganz zufrieden. Nun könnte man einwenden, dass die fehlenden Freundschaften ja vielleicht durch gute verwandtschaftliche Beziehungen kompensiert würden. Das ist jedoch nicht der Fall. Volker befriedigt sein Bedürfnis nach sozialem Austausch im Arbeitsleben, während Kathrin sich als Hausfrau und Mutter sehr isoliert fühlt.

Bei aller Unterschiedlichkeit ist allen drei Beispielen gemeinsam, dass Freundschaft ein konfliktträchtiger Bereich des gemeinsamen Lebens ist. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass die kaum wahrgenommene Selbstverständlichkeit” Frauen sind für das Soziale zuständig “inzwischen zumindest für Frauen keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Sie berufen sich unausgesprochen auf ein modernes Frauenbild, in dem Selbstständigkeit und eigene Lebensbereiche einen hohen Stellenwert haben, während ihre Männer sich ebenso unausgesprochen auf ein traditionelles Frauenbild, geprägt von klaren Zuständigkeiten für Männer und Frauen, verlassen.

Frauenfreundschaften – Männerfreundschaften

Untersuchungen über das Freundschaftsverhalten von Paaren gibt es in Deutschland überhaupt nicht. In anderen Ländern finden sich nur sehr wenige und zum Teil auch sehr veraltete Studien. Freundschaft ist sowohl zeitlich als auch kulturell ein sehr veränderliches Phänomen, und insofern sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen nur mit Vorsicht zu verwenden.

Auffällig an den auf keinen Konsens zu bringenden Forschungsergebnissen ist, dass ältere Untersuchungen den größeren Anteil bei der Etablierung und Aufrechterhaltung eines Freundeskreises bei den Männern sehen, während neuere Studien (seit ca. 1975) entweder mehr Aktivität von den Frauen ausgehen sehen oder beide Geschlechter für gleich aktiv halten.

Zum unterschiedlichen Freundschaftsverhalten der Geschlechter gibt es schon etwas mehr Untersuchungen. Zu der oben bereits referierten höheren diesbezüglichen Aktivität der Männer in älteren Studien passt die in den 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts vertretene These, dass eigentlich nur Männer ernsthafte Freundschaften unterhalten. Hingegen handele es sich bei so genannten Frauenfreundschaften doch wohl eher um Zeitvertreib zum Klatschen.

Heute dagegen zeigt sich ein fast gegensätzliches Bild: So werden besondere Qualitäten der Frauenfreundschaften beschrieben, z.B. ähnliche Empfindungen zu haben und sich verstanden zu fühlen. Mit Freundinnen kann man über Ängste und Befürchtungen reden. Nicht zuletzt sind Unterstützungssysteme in belastenden Lebenssituationen ebenfalls weiblich. Bindung und Intimität werden deutlich höher in Frauen- als in Männerfreundschaften bewertet (Auhagen 1991). Frauen sind ihre Freundschaften wichtiger als Männern. In einer US-amerikanischen Untersuchung konnten drei Viertel der befragten allein lebenden Frauen mindestens eine” beste Freundin “benennen; das restliche Viertel beklagte das Fehlen einer solchen Freundin. Bei den allein lebenden Männern war es fast umgekehrt: Zwei Drittel konnten keinen besten Freund benennen, und er fehlte ihnen auch nicht. Bei denjenigen mit” bestem Freund “handelte es sich häufig um eine Frau (Rubin 1985).

Verena Mayr-Kleffel fand ausgeprägte Schichtunterschiede hinsichtlich der Anzahl der Freundinnen, insbesondere wenn es um” Geselligkeit “geht. Zwar lässt sich in allen von ihr untersuchten Gruppen (Unterschicht, untere, mittlere und obere Mittelschicht) ein ungefähr gleich großer Anteil Verwandter finden, aber bei Freundinnen und Bekannten gibt es große Unterschiede in aufsteigender Reihenfolge (von” Unterschicht “bis” obere Mittelschicht “). Das heißt, vor allem jüngere und schichthöhere Frauen können stärker auf Freundinnen zurückgreifen.

Freundschaft bedeutet, so kann man vorsichtig schließen, für Frauen und Männer etwas sehr Unterschiedliches. Während es für Letztere hauptsächlich gemeinsames Tun ist, steht bei Ersteren der Ausdruck von Verbundenheit – sich jemand anvertrauen zu können – im Vordergrund.

Die Rolle Anderer in Paarbeziehungen

Wichtige Weichenstellungen bezüglich des Umgangs mit Freundschaften geschehen bereits zu Beginn der Paarbildung, also meistens schon vor einer Heirat. Das Paar muss als solches von den für es bedeutsamen Anderen akzeptiert werden. Das beginnt mit der eigentlich trivialen Tatsache, dass der jeweilige Partner vom Freundes- und Verwandtenkreis des anderen angenommen werden muss bzw. umgekehrt die Freunde, Freundinnen und Verwandten des anderen akzeptiert werden müssen. Das mag in vielen Fällen problemlos sein, in anderen mag es nach anfänglichen Bedenken doch zu einer gegenseitigen Akzeptanz und schließlich vielleicht sogar zu einem freundschaftlichen Verhältnis kommen – aber manchmal eben auch nicht. Das ist dann eine Belastungsprobe für das Paar, auf die es unterschiedlich reagieren kann: Entweder sie trennen sich, weil die Bindungen an Verwandte und/oder Freundeskreis stärker sind als die an den neuen Partner, oder sie lockern oder brechen diese Beziehungen ab.

Die Paarkonstitution ist ohne die Einbeziehung von Außenperspektiven nicht denkbar;” Objektivierung “nennen das Berger und Kellner. Objektivierung ist die Wahrnehmung als Paar durch für das Paar bedeutsame Andere, also meistens Freunde und Verwandte. Das bedeutet, dass die wahrscheinliche Lösung für nicht mehr” passende “Freundschaften die Wahrnehmung wäre, sie hätten sich verändert und es gäbe weniger Gemeinsamkeiten als früher, woraufhin die Freundschaft abgebrochen wird. Die geglückte Herstellung einer gemeinsamen Sichtweise wäre also eine entsprechende Sortierung des Freundeskreises. Das muss nicht so sein – ebenso ist es denkbar, dass jeder die Freunde und Freundinnen des anderen äußerst sympathisch findet und es keinen Anlass für Umstrukturierungen gibt. Häufig finden sich Paare ja auch gerade durch einen gemeinsamen Freundeskreis.

Wie an den oben skizzierten Beispielen dreier Paare zu sehen ist, hängt dieser Prozess mit zahlreichen Erwartungen und Vorstellungen – nicht nur denen des Paares – zusammen: Wird z.B. erwartet, dass Freundschaften gemeinsam gepflegt werden, oder nicht? Fühlt sich der zurückgelassene Partner ausgeschlossen, wenn der andere sich mit Freunden trifft? Oder ist er gar eifersüchtig auf eine tatsächliche oder vermutete enge persönliche Bindung an eine dritte Person?

Bindung und Einbindung

In diesem wichtigen Bereich des Zusammenlebens zu zweit lauern einige Klippen, die weitgehend unsichtbar sind, weil Freundschaften im Allgemeinen nicht zu den” verhandelbaren “Teilen der Ehe oder Paarbeziehung gehören, sondern sich” irgendwie “ergeben. Anders als früher stiften auch familiäre Bindungen nicht unbedingt Zusammenhalt, denn auch für die Angehörigen ist es keine Schande mehr, wenn die Tochter oder der Sohn geschieden ist. Diese Diskriminierung Geschiedener war neben der ökonomischen Abhängigkeit der Frau lange Zeit ein wirksamer” Kitt “für Ehen. Man kann wenig oder gar keinen Kontakt zur Herkunfts- oder Schwiegerfamilie pflegen oder auch einfach nur geographisch weit von ihnen entfernt wohnen. Aber auch wenn dies alles nicht der Fall ist, liegt die Ausgestaltung der Ehe viel stärker im Belieben oder Vermögen des Paares als dem” einbezogener Dritter “.

Das ist Chance und Achillesferse moderner Beziehungen zugleich: Sie bieten mehr Freiheit, bedürfen aber auch größerer Anstrengung. Die Stabilität durch die Institution als solche und durch die Einbindung in zwei Familienverbände nimmt mehr und mehr ab. Trotzdem ist eine Existenz als Ehe oder Paarbeziehung aus sich selbst heraus nur schwerlich denk- und machbar.

Auch eine Ehe benötigt außer einer inneren Bindung auch eine über das formale Band Ehe hinausgehende äußere Ein-Bindung. Die Bestätigung als Paar durch bedeutsame Andere ist eine Notwendigkeit für die Kontinuität der Ehe. Früher wurde ein Teil dieses Zusammenhalts durch religiöse Orientierung vermittelt, ein anderer Teil durch die stärkere Einbeziehung in die Herkunfts- und Schwiegerfamilie. Beide Bereiche nehmen in Bezug auf die Bindungskraft für die Ehe stark ab, so dass Freundschaften als frei gewählte soziale Beziehungen eine zunehmend wichtigere verbindende Bedeutung erlangen.

Persönliche soziale Beziehungen übernehmen eine wesentliche Vermittlungsrolle zwischen dem Paar und der Gesellschaft. Mehr noch, Freunde und Freundinnen sind ebenso wie Verwandte Teil des Ehesystems und gestalten den Konstruktionsprozess Ehe entscheidend mit.

Literatur

  • Auhagen, Ann Elisabeth: Freundschaft im Alltag. Eine Untersuchung mit dem Doppeltagebuch. Bern u.a.: Huber 1991
  • Berger, Peter/ Kellner, Hansfried: Die Ehe und die Konstruktion der Wirklichkeit. Soziale Welt 1964, 16 (3), S. 220-235
  • Mayr-Kleffel, Verena: Frauen und ihre sozialen Netzwerke. Auf der Suche nach einer verlorenen Ressource. Opladen: Leske + Budrich 1991
  • Rubin, Lillian: Just Friends. New York a.o.: Harper & Row 1985
  • Schöningh, Insa: Ehen und ihre Freundschaften. Niemand heiratet für sich allein. Opladen: Leske + Budrich 1996
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Autorin

Dr. Insa Schöningh
Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen
Bundesgeschäftsstelle
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10117 Berlin

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Erstellt am 9. November 2004, zuletzt geändert am 7. April 2010