Partnerkonflikte wegen Kindern

Jörg Fengler

Fengler

 

 

 

 

Kinder zu haben, so heißt es, sei ein “Kinder-Segen” . Durch Kinder wird die Partnerschaft zur Familie. Kinder und Enkel sind oft das Glück des Alters. Die geordnete Generationenfolge gilt in vielen Ländern als Garant für Glück und materielle Sicherheit.

Und doch ist das Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern auch voller Auseinandersetzungen. Viele Konflikte zwischen den Partnern entzünden sich an den Kindern und deren Erziehung oder werden über die Kinder zwischen den Erwachsenen verhandelt. Von diesen Konflikten handelt der folgende Beitrag. Ich werde die Thematik chronologisch angehen und einige Hinweise für das konstruktive Gespräch zwischen den Partnern geben.

1. Schwangerschaft

Wenn sich in einer Partnerschaft Nachwuchs ankündigt, kann dies Freude oder auch Schrecken, Wut und Vorwurf zur Folge haben. Das Kind war nicht oder noch nicht “geplant” . Der Mann drängt vielleicht zur Abtreibung, oder beide einigen sich darauf; später melden sich dann in manchen Fällen Schuldgefühle.

Die Partner sehen sich unter Umständen in ihren beruflichen und finanziellen Plänen behindert. Oder der Mann fühlt sich von der Frau “hereingelegt” .

Die Schwangerschaft ist manchmal Ergebnis eines so genannten “Seitensprungs” , bei dem an gemeinsamen Nachwuchs und dauerhafte Partnerschaft nicht gedacht war. In dörflicher und kleinstädtischer Umgebung ist voreheliche Schwangerschaft nach wie vor Anlass zu nachbarschaftlicher Neugier und Tratsch. Der Status der allein erziehenden Mutter findet nach wie vor keine selbstverständliche Akzeptanz.

2. Niederkunft, Geburt und Zusammenleben

Eine Frau, die die Niederkunft ohne Unterstützung durch den Vater des Kindes durchstehen muss, trägt ihm dies unter Umständen lebenslang nach und hält es ihm immer wieder vor. In einem konservativen Umfeld heiraten die Partner vielleicht widerwillig und ohne Enthusiasmus, weil das Kind unterwegs ist.

Später erwartet der Mann dann eventuell, die Frau solle ihm “dankbar” dafür sein und seine Untreue dulden. Oder er macht die Frau dafür verantwortlich, dass ihm durch die erzwungene Ehe berufliche Chancen entgangen seien, die er als mobiler Single angeblich hätte nutzen können.

3. Beziehungen der Eltern zum Kind

An das Kind richten sich nach der Geburt neben der Freude möglicherweise Ärger und Enttäuschung. Es erscheint als das leibhaftige tägliche Symbol der entgangenen eigenen Lebenschancen und muss dafür büßen.

Mütter berichten manchmal, dass es ihnen – mit oder ohne konflikthafte Schwangerschaft – schwer fällt, dem Kind so viel Nähe und Zuwendung entgegenzubringen, wie es dem gesellschaftlichen Ideal einer “liebenden Mutter” entspricht. Demgemäß kann der Kommentar nahestehender Menschen, eine Frau sei keine “gute” Mutter, zu einem extremen Druckmittel werden.

Das Geschlecht des Kindes ist von Bedeutung. Die Bevorzugung von Jungen ist in Mitteleuropa zum Glück im Abnehmen begriffen. Dennoch: Wenn die Eltern sich einen Jungen wünschen und es wird ein Mädchen, so hält der Mann dies der Frau vielleicht als ihr Versagen vor, wiewohl die Entscheidung über das Geschlecht im männlichen Samen fällt.

Wenn beide Eltern über das Geschlecht ihres Kindes enttäuscht sind, versuchen sie manchmal, das Kind so zu erziehen, wie sie sich das gewünschte Geschlecht vorstellen, also Jungen zart und zaghaft, Mädchen wild und stark. Dann wächst das Kind mit einem geheimen Auftrag auf, anders zu sein und zu werden, als es ist.

4. Divergenzen und Konvergenzen in elterlichen Erziehungs-Vorstellungen

Unterschiedliche Auffassungen von Erziehung bestehen nahezu regelhaft zwischen den Eltern. Sie neigen dazu, in der Erziehung ihrer Kinder ihre eigene Erziehung wiederholen oder gegen sie opponieren zu wollen.

Da sie ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet sehr früh gemacht haben, betrachten sie sie meist nicht als mögliche Varianten, sondern als unverrückbare Wahrheiten. Entsprechend schwer fällt es ihnen, sie der gelassenen gemeinsamen Erörterung auszusetzen und zu gemeinsamen Neuentscheidungen zu finden.

Solche subjektiven Gewissheiten hat fast jeder Mensch über viele Bereiche der Erziehung:

  • Wach- und Schlafzeiten
  • Ordnung und Sauberkeit
  • Zimmergestaltung
  • Spielen und Spielzeug
  • Schenken, Hergeben und Behalten
  • Höflichkeits- und Gehorsamsverpflichtung
  • Belohnung und Bestrafung
  • Verschwiegenheit und Redelust
  • Feiern von Festen
  • Eltern-, Kind- und Geschwisterrollen
  • Körperliche Nähe
  • Übernahme von Pflichten und häuslichen Aufgaben
  • Verbindlichkeit von Kindergarten- und Schulbesuch
  • Fernsehkonsum
  • Verhältnis zur Leistung
  • Qualität der Hausaufgaben-Erstellung
  • Ehrlichkeit, Lügen und Stehlen
  • Bedeutung der Verwandtschaft
  • An- und Abwesenheit sowie Pünktlichkeit
  • Funktion kindlicher Freundschaften
  • Durchlässigkeit der familiären Wohnungsgrenzen
  • Umgang mit Geld
  • Zeitpunkt und Gegenstände größerer Anschaffungen
  • Wahl der geeigneten Schulformen
  • Mithilfe bei der Bewältigung schulischer Anforderungen
  • Verhältnis zu Sexualität, Genussmitteln und Drogen
  • Interesse an Fremdem und Fremden
  • Hilfestellung bei der Berufswahl

Diese wie auch viele andere Themen müssen in der Partnerschaft nach Möglichkeit während der ersten zwei Lebensjahre des ersten Kindes einer Klärung zugeführt werden. Andernfalls wird es zwischen den Eltern immer wieder zu Auseinandersetzungen kommen. Es ist nur eine begrenzte Hilfe, einzelne dieser Fragen an denjenigen Partner zu übergeben, der mit dem Kind in dieser Hinsicht den meisten Kontakt hat, das heißt also meistens an die Mutter. Denn Kinder spüren sehr wohl, ob die Eltern an einem Strang ziehen, und versuchen, Differenzen zwischen ihnen zu ihrem Vorteil zu nutzen.

5. Streit in Gegenwart der Kinder

Generell lautet eine schwer zu beantwortende Frage: Sollen Eltern in Gegenwart ihrer Kinder streiten oder nicht? Dafür spricht vielleicht, dass die Kinder Missstimmung und Gereiztheit ohnehin bemerken und dass ein sofortiger Widerspruch oft helfen soll, einen ansonsten vorgeblich eintretenden Missstand abzuwenden. Dem ist entgegenzuhalten, dass Kinder sich während des elterlichen Streits meist sehr unwohl fühlen und oft hilflos versuchen zu schlichten, was ihre Kräfte überfordert.

Eine klare Aufgabenverteilung zwischen den Eltern, die jedem von ihnen einräumt, in der Zeit, die er oder sie mit den Kindern verbringt, die volle Verantwortung für das Geschehen zu übernehmen, macht manche Auseinandersetzung überflüssig. Eine kurze Verständigung über Ort und Zeitpunkt, wo die Eltern sich dem strittigen Thema in Ruhe und unter vier Augen widmen können, wird oft eine weitere Hilfe sein.

6. Konfliktdynamik der Partnerschaft

Manchmal gibt es unterschwellige Partnerkonflikte, die auf der Ebene der Kindererziehung verhandelt werden, aber in erster Linie zwischen den Eltern selbst schwelen.

Manche Partner stehen miteinander in einer permanenten Auseinandersetzung um die Macht und benutzen dabei ihre Kinder, um ihren Argumenten Nachdruck zu verleihen:

  • Wer hat wie ein Löwe um das Kind gekämpft, als der andere noch für Abtreibung plädierte?
  • Wer von beiden liebt die Kinder heute mehr?
  • Wer verbringt mehr Zeit mit ihnen?
  • Wer erzieht sie konsequenter zu Pazifisten?
  • Wer unterstützt sie mehr bei schulischen Belangen?
  • Wer bemüht sich mehr um Gerechtigkeit?
  • Wer wird schneller ungeduldig und schlägt auch einmal zu?
  • Wer hat beruflich mehr Opfer gebracht und der Kinder wegen auf mehr Chancen verzichtet?
  • Von wem von beiden hat das Kind die schlechten Eigenschaften geerbt(!)?
  • An wem von beiden hängen die Kinder mehr?
  • Mit wem von beiden hat das Kind im äußeren Erscheinungsbild mehr Ähnlichkeiten usw. usw.

Für die Kinder ist das eine Situation, aus der sie nur schwer unbeschädigt herauskommen. Denn entweder versuchen sie, die Eltern zu versöhnen – das misslingt in der Regel. Oder sie geben einer Seite Recht – dann ist die andere enttäuscht. Viele Kinder ziehen sich von beiden Eltern zurück und ziehen früh aus.

7. Rollenzuweisungen an Kinder

Manchmal versuchen Eltern, ihre Kinder in eine Rolle einzuweisen, der das Kind dann versucht, gerecht zu werden. Es soll z.B. als Substitut für einen Aspekt des eigenen elterlichen Selbst eintreten, als idealisiertes oder als abgelehntes Kind oder als Bundesgenosse in der Auseinandersetzung mit dem Partner, insbesondere in Situationen von Trennung und Scheidung. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Rollenzuweisungen, dass sie dem Kind als etwas Fremdes übergestülpt werden, also dessen eigenem Wesen und Wollen nicht entsprechen (Richter, H. E. 1968: Eltern, Kind und Neurose).

Manche Kinder werden von einem eigenen Elternteil missbraucht. Die Rolle des anderen Elternteils bleibt dabei oft undeutlich: nicht zur Kenntnis nehmend, duldend, untätig, um die Aufrechterhaltung der eigenen Partnerschaft bemüht. Klärung wie auch Abgrenzung und Trennung ist in diesen Fällen oft erst viele Jahre später möglich, nach Eintreten von Volljährigkeit und Auszug, in einer eigenen Partnerschaft und mit fachlicher Hilfe.

Im Falle von Trennung und Scheidung wird das Kind besonders gern in die Rolle des umstrittenen Bundesgenossen eingeführt. Die Eltern streiten darüber, bei wem das Kind es besser hat. Aber dem Kind geht es dabei schlechter. Über Kinder kann man in diesem Zusammenhang sagen: Auch wenn sie unter dem Dauerstreit der Eltern leiden, so ziehen sie doch in aller Regel eine Trennung der Eltern als Lösung des Problems nicht in Betracht und sind totunglücklich, wenn die Eltern diesen Schritt vollziehen.

8. Familiäre Inszenierungen

Ähnlich wie bei den Rollenzuweisungen verhält es sich in den Fällen, in denen eine Familie in bestimmter Weise rigide inszeniert wird: ängstlich, paranoid, hysterisch, depressiv, zwanghaft oder auf andere Weise einseitig in einem bestimmten eingeschränkten Weltbild. Die Initiative geht hier in der Regel von Vater oder Mutter aus, die die restlichen Mitglieder der Familie in dieses Szenario hineinziehen. Wenn sich der Partner oder die Kinder widersetzen, so gilt dies bereits als Bestätigung für die Richtigkeit der bestehenden Gefährdung von Seiten der Außenwelt und als Bestätigung für die Notwendigkeit, diesen neurotischen Stil zu wählen. Der Druck, die gewählte Methode der Gefahrenabwehr beizubehalten, nimmt entsprechend zu.

9. Regeln für die partnerschaftliche Konfliktklärung

Trotz dieser Fülle möglicher Konflikte, die im Zuge der Kindererziehung in der Partnerschaft der Eltern auftreten können, erleben viele Menschen ihr Familienleben als überwiegend glücklich. Bei der Besprechung konflikthafter Themen erweisen sich oft folgende Regeln als hilfreich:

  1. Wählen Sie für das Gespräch eine Zeit, in der Sie Ruhe haben und es wahrscheinlich frei von Störungen führen können. Gehen Sie während des Gesprächs nicht an das Telefon.

  2. Oder wählen Sie einen Spaziergang in der Natur. Im Gehen bespricht sich manches leichter.

  3. Vereinbaren Sie die Dauer, die das Gespräch haben soll. Überschreiten Sie diese Zeit dann nicht, oder nur im Konsens. Wenn Ihr Partner eine Pause im Gespräch wünscht, verzichten Sie darauf, ihn als konfliktscheu oder ausweichend zu bezeichnen.

  4. Verständigen Sie sich über das Thema, das Sie besprechen wollen. Bleiben Sie dann bei diesem Thema. Kehren Sie nach Abschweifungen rasch wieder zu diesem Thema zurück. Es gilt: Immer nur ein Thema behandeln – erst danach ein zweites, aber nie zwei Themen gleichzeitig.

  5. Beziehen Sie sich auf aktuelle Ereignisse.

  6. Sprechen Sie kurz. Stellen Sie sich dann neugierig auf das ein, was der Partner sagt, und versuchen Sie, es zu verstehen.

  7. Hören Sie dem Partner so gut zu, wie Sie sich seine Aufmerksamkeit für Ihre Ausführungen wünschen.

  8. Bringen Sie den Ausführungen Ihres Partners genau so viel Wohlwollen entgegen wie Ihren eigenen.

  9. Wechseln Sie zwischen prinzipiellen und konkreten Aspekten des Themas mehrfach hin und her.

  10. Sprechen Sie mehr über Ziele und Lösungen als über Ursachen und Probleme.

  11. Betonen Sie solche Gesichtspunkte, bei denen Sie beide die gleiche Auffassung haben.

  12. Wenn die Stimmung gereizt wird: Halten Sie einen Augenblick lang inne. Treten Sie ein wenig von der Situation zurück. Geben Sie Ihrem Partner und sich selbst einige Minuten lang Zeit, wieder zu dem ernsthaften Bemühen zurückzufinden, dass Sie zuvor erlebten.

  13. Begegnen Sie einander mit Humor. Das ist zu unterscheiden von Belustigung über den anderen und auch von Sarkasmus.

  14. Danken Sie ihrem Partner am Ende des Gesprächs für seine Bereitschaft, mit Ihnen über das Thema zu sprechen.

  15. Manchmal ist es richtig, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (Erziehungsberatung, Gesprächskreise für Paare, Seminar über Erziehungsfragen, Familientherapie usw.). Machen Sie davon Gebrauch, wenn Sie erwarten, dass es Ihnen vielleicht gut tun wird.

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Autor

Prof. Dr. Jörg Fengler ist Professor der Heilpädagogischen Psychologie an der Universität Köln mit den Schwerpunkten in Forschung und Lehre: Klinische und Pädagogische Psychologie, Supervision, Sucht-Prophylaxe, Burnout-Prophylaxe und Evaluation psychosozialer Interventionen. Er ist Psychotherapeut, Gruppendynamik-Trainer, Supervisor und Lehrsupervisor.

Buchveröffentlichungen

1974 (mit Däumling, Nellessen, Svensson): Angewandte Gruppendynamik, Stuttgart: Klett
1975 Verhaltensänderung in Gruppenprozessen, Heidelberg: Quelle & Meyer
1980 Selbstkontrolle in Gruppen, Stuttgart: Kohlhammer
1989 Hörgeschädigte Menschen, Stuttgart: Kohlhammer
1994 Süchtige und Tüchtige, Begegnung und Arbeit mit Abhängigen, München: Pfeiffer
1996 Konkurrenz und Kooperation in Gruppe, Team und Partnerschaft, München: Pfeiffer
1998 Helfen macht müde. Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation, München: Pfeiffer, 5. überarb. u. erw. Auflage
1998 Feedback geben. Strategien und Übungen, Weinheim: Beltz
1999 (mit Jansen) Handbuch der Heilpädagogischen Psychologie, Stuttgart: Kohlhammer, 3. Aufl.
2001 Praxis der Suchtprävention, Landsberg: Ecomed Verlag

Kontakt

Prof. Dr. Jörg Fengler
Universität zu Köln
Heilpädagogische Fakultät
Seminar für Heilpädagogische Psychologie und Psychiatrie
Frangenheimstraße 4
50931 Köln

Tel.: 0228/645333

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Erstellt am 11. Juni 2001, zuletzt geändert am 8. März 2010