Mütter in Wut: Wie kann ich meine Wut nur in den Griff bekommen?
Bettina Hertel
Ina verliert die Fassung, vor zehn Minuten wollte sie mit ihrer Tochter zum Arzt losgehen. Die Tochter weigert sich, ihre Jacke anzuziehen. Ina schreit ihre Tochter an, schüttelt sie ein paar mal grob, steckt das kreischende Kind in die Jacke und verlässt mit wutverzerrtem Gesicht das Haus. Erst vor der Arztpraxis beruhigt sie sich wieder und bekommt ein furchtbar schlechtes Gewissen. Bin ich eine schlechte Mutter? Wie kann ich meine Wut nur in den Griff bekommen?
Mütter sind häufig mehrfach belastet, fühlen sich überfordert und darin verunsichert, wie sie ihr Kind richtig erziehen sollen. Sie fühlen sich bei Auseinandersetzungen mit ihrem Kind hilflos und sind frustriert über das, was nicht gelingt. Und dies wiederum steigert die Wut. Wut, die durch Überforderung und Verunsicherung ausgelöst wird, trägt die Botschaft in sich: “Ich strenge mich doch so an, ich weiß nicht, warum ich es nicht schaffe, mein Kind so zu erziehen, wie ich es gerne möchte!”
Wut kann aber auch ihren Grund in Unzufriedenheit mit der Lebenssituation haben. Vielleicht hat sich eine Frau nach einiger Zeit Berufstätigkeit entschieden, einige Jahre ganz der Erziehung und Pflege ihrer Kinder zu widmen. Irgendwann merkt sie, dass sie unausgefüllt und schnell reizbar ist, dass sie permanent gegen ihre Wut ankämpfen muss. Diese Wut trägt die Botschaft in sich: “Die Hausarbeit und Kindererziehung füllt mich nicht aus, ich brauche eine Aufgabe außerhalb der Familie, so halte ich das nicht aus.”
In manchen Fällen hat die Wut aufs Kind auch tiefliegende persönliche Gründe. Wenn ich bei meinem Kind Eigenschaften wahrnehme, die ich bei mir selbst nicht akzeptiere, oder wenn das Kind mit seinem Verhalten alte Verhaltensmuster aus der eigenen Erziehung wachruft, kann dies auch ein Hinweis sein, dass ich mir für die Bearbeitung meiner Wut professionelle Hilfe suchen sollte.
Dürfen Mütter Wut auf ihre Kinder haben?
Wut auf das eigene Kind ist ein Tabu in der Erziehung: Darüber wird nicht gesprochen, es wird sogar verschwiegen. Viele junge Mütter, die ich in meinen Fortbildungsveranstaltungen kennen gelernt habe, sind froh, einmal über ihre Wut sprechen zu können und zu erfahren, dass es anderen auch nicht anders geht. Das Gespräch über diese Gefühle und gegenseitiges Verständnis helfen, zur eigenen Wut eine andere Einstellung zu bekommen und versöhnlicher mit ihr umzugehen.
Häufig entstehen Wut und Aggression, wenn Mütter über viele Stunden und Tage mit ihrem Kind alleine sind und sich zunehmend isoliert fühlen. In solchen Situationen sollte man für Abwechslung sorgen, zum Beispiel mit anderen Müttern Kontakt aufnehmen, an Mutter-Kind-Gruppen teilnehmen oder sich mit Freundinnen verabreden.
Wenn eine Mutter feststellt, dass sie dauerhaft aggressive Gefühle ihrem Kind gegenüber verspürt, können tiefer liegende Ursachen verantwortlich sein. Vielleicht sieht die Mutter in ihrem Kind Charakterzüge oder Eigenschaften, die sie bei sich selbst ablehnt. In solchen Fällen ist es notwendig und hilfreich, sich fachliche Hilfe in einer Erziehungsberatungsstelle oder psychotherapeutischen Praxis zu suchen.
Erste Hilfe bei Wutanfällen
Wenn die Mutter vor Wut platzen möchte ist die Beratungsstelle in der Regel nicht griffbereit. Es fehlt vielen an fachlicher Hilfe und kompetenter Unterstützung. Vielleicht wäre sie auch in diesem Moment nutzlos.
Als hilfreich hat sich in vielen Fällen erwiesen:
- Aus dem Raum gehen, Abstand gewinnen: hilfreich kann es sein, ein kleines Kind in den Kinderwagen zu packen und gemeinsam erst einmal eine Runde um den Block zu drehen.
- Mit weichen Gegenständen schmeißen, eine Kissenschlacht veranstalten.
- Sich ans offene Fenster stellen und ganz bewusst ein- und ausatmen. Aggressionen erschweren klares Denken, Sauerstoff fördert die Durchblutung des Gehirns und auch die Fähigkeit, ruhig und überlegt zu handeln.
- Wenn es nicht mehr anders geht, als das Kind anzuschreien: möglichst das Verhalten beschimpfen, nicht das Kind (nicht: “Du bist unmöglich” sondern: “Was du machst, ist unmöglich” ).
- Wenn Sie merken, dass Sie Ihr Kind schlagen möchten, ist das vielleicht zu verhindern, wenn Sie Ihr Kind anfassen. Körperlicher Kontakt kann gegebenenfalls Spannung lösen.
- Die meisten Mütter sagen, dass sie ihr Kind auch einmal geschlagen haben. Dies ist sicher kein gewünschtes Verhalten, aber es kommt vor. Wenn Sie jedoch merken, dass Sie Ihr Kind häufig schlagen, dann sollten Sie eine Erziehungsberatung aufsuchen.
- Entschuldigen Sie sich nach einem Wutausbruch bei Ihrem Kind möglichst bald für das, was Ihnen leid tut, erklären Sie Ihrem Kind noch einmal mit einfachen Worten, was passiert ist und warum Sie so wütend wurden.
- Erwarten Sie nicht, dass Ihr Kind Sie von Ihren Schuldgefühlen entlastet. Hilfreich ist es, wenn Ihnen ein Vorfall nachgeht, mit dem Partner oder mit einer Freundin darüber zu sprechen.
Wut ist ein Tabu in der Erziehung und Mütter fühlen sich häufig schuldig, wenn ihnen doch einmal der Kragen platzt. Wut ist aber auch ein Gefühl, das in vielen Situationen befreiend wirken kann. Wenn die Wut mich dazu bringt, endlich mal zu äußern, was mich seit Wochen stört, wenn die Wut mir hilft, auszudrücken, was ich mich sonst nicht zu sagen traue, kann sie ein Kraft sein, die meiner persönlichen Entwicklung gut tut, auch wenn sie im Umfeld vielleicht zunächst Furcht und Unverständnis auslöst.
“Ich bin endlich einmal wütend geworden” kann ein Satz sein, der markiert, welchen wichtigen persönlichen Entwicklungsschritt ich ohne meine Wut vielleicht nie vollzogen hätte.
Literatur
- Harriet Goldhor Lerner: Wohin mit meiner Wut? Neue Beziehungsmuster für Frauen, Frankfurt 2001.
- Cornelia Nack: Wenn Eltern aus der Haut fahren; Von der Unmöglichkeit, immer liebevoll, geduldig und ausgeglichen zu sein, Hamburg 2001.
Autorin
Bettina Hertel ist Theologin und Psychologin. Sie war für Mutter-Kind-Gruppen und Frauenarbeit tätig und arbeitet seit Ende 2012 in der Seniorenarbeit und –bildung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Kontakt
Bettina Hertel
LAGES (Ev. Senioren in Württemberg),
Evangelische Erwachsenen- und Familienbildung in Württemberg EAEW
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Erstellt am 29. Januar 2003, zuletzt geändert am 5. Juni 2013