Nach der Trennung: Wie werde ich mit meinen Gefühlen fertig?
Dr. Doris Wolf
Eine Trennung ist schmerzlich und führt gewöhnlich zu einer seelischen und körperlichen Krise. Betroffene durchlaufen einen Prozess von 4 Phasen, bis sie wieder in eine innere Balance gelangen. Auch wenn Betroffene nach der Trennung zunächst den Eindruck haben, nie mehr glücklich sein zu können, wenn die die Partnerschaft nicht weiterführen können, haben sie viele Möglichkeiten, ihre Gefühle zu beeinflussen. Ihr Partner kommt nicht mehr zurück, die Lebensfreude kann es schon.
“Ich verlasse dich” – es gibt wenige Worte, die weniger fassbar für uns sind als diese drei. Wenn sie von unserem Partner geäußert werden, gleichgültig, ob behutsam, aus einer Wut heraus oder in Form einer SMS oder eines Zettels, den er lieblos hinterlassen hat, dann stürzen wir in eine Trennungskrise. Dann beginnt für uns ein langer Weg bis zur Bewältigung dieser Krise. Nur wer schon während der bestehenden Partnerschaft Trauerarbeit geleistet und sich innerlich von seinem Partner verabschiedet hat, gerät nach der Trennung nicht in emotionale Schwierigkeiten.
Phasen der Trennung
Alle Menschen durchlaufen verschiedene Phasen nach dem Trennungsschock. Selbst unser Partner, von dem die Trennung ausging, erlebt diese Phasen. Doch er hat einen zeitlichen Vorsprung. Er hat meist schon während der Zeit der Partnerschaft begonnen, die Liebe in Freundschaft umzuwandeln und sich abzulösen. Für uns, die wir verlassen wurden, war der Zeitpunkt zur Trennung noch nicht gekommen, und so sind wir gefühlsmäßig nicht auf die Trennung vorbereitet.
Die Phasen, die wir nach dem Ende einer Partnerschaft durchlaufen, sind vergleichbar mit den Phasen, die auch beim Verlust eines Menschen durch Tod erlebt werden. Die verschiedenen Phasen sind gekennzeichnet durch Störungen in vier Bereichen: in Gedanken, Gefühlen, Verhalten und körperlichen Reaktionen. Es lassen sich vier Phasen unterscheiden.
Phase I: Nicht-Wahrhaben-Wollen: Schock und Verleugnung
Die erste Phase ist gekennzeichnet durch Verleugnung und Ignorieren der endgültigen Trennung. Häufig sind Gefühle des Schocks und der Betäubung da. Wir verhalten uns wie Roboter oder glauben, alles sei wie ein böser Traum, aus dem wir nach einiger Zeit nur zu erwachen brauchen, und alles sei wieder in Ordnung. In dieser Phase betteln wir auch um eine zweite Chance für die Partnerschaft.
Phase II: Aufbrechende Gefühle
Diese Phase ist gekennzeichnet durch Orientierungslosigkeit und Stimmungsschwankungen. Gefühle der Verzweiflung, Wut, Angst und Selbstzweifel wechseln sich ab. Daneben treten körperliche Beschwerden auf wie Schlaf-, Merkfähigkeits-, Konzentrations- und Appetitstörungen sowie innere Unruhe.
Phase III: Neuorientierung
Die dritte Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass wir unser Leben wieder aktiver in die Hand nehmen und eine Zukunftsperspektive sehen. Grüblerische Gedanken an die beendete Partnerschaft, Hass und Sehnsucht treten nur noch selten auf.
Phase IV: Neues Lebenskonzept
Wir haben wieder ein inneres Gleichgewicht erreicht. Wir haben uns ein neues Lebenskonzept und neues Selbstvertrauen erarbeitet und sind uns unserer Wünsche und Vorlieben stärker als während der Partnerschaft bewusst. Wir können uns frei für ein Leben als Single/ Alleinerziehende oder für eine neue Partnerschaft entscheiden.
Auch wenn die einzelnen Phasen sich nicht immer eindeutig voneinander trennen lassen, nicht immer in dieser Reihenfolge gradlinig verlaufen und es immer einmal wieder Rückfälle in eine frühere Phase gibt, so ist das Wissen darum dennoch wichtig für uns: Wir sind nicht so stark verunsichert von unseren Gefühls- und Körperreaktionen (viele glauben nämlich, verrückt oder seelisch krank zu sein, verurteilen sich für ihre Reaktionen), und wir sehen, dass es ein Leben “danach” gibt und Hoffnung besteht, dass es uns wieder besser gehen wird.
Abhängig von unserer Persönlichkeit, unserem Alter, unserem Lebenskonzept, dem Ausmaß der Veränderungen und der Unterstützung von außen müssen wir uns meist jedoch auf einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren einstellen, bis wir ein neues Lebenskonzept und ein neues inneres Gleichgewicht erreicht haben. Fest steht, je besser wir unsere Trennung verarbeiten, uns mit der neuen Situation arrangieren und die Vergangenheit ruhen lassen, um so besser geht es uns seelisch und körperlich, um so besser können wir mit unserem Expartner kommunizieren und Lösungen für die durch die Trennung auf uns zukommenden Probleme finden, um so besser können wir unsere Kinder beim Umgang mit der Trennung unterstützen und weiterhin unsere Elternrolle ausfüllen.
Was können Sie für sich tun, um Ihr inneres Gleichgewicht wieder zu finden?
Akzeptieren Sie Ihre Gefühle für den Augenblick
Bitte verlangen Sie nicht von sich, so zu “funktionieren” , als ob nichts geschehen wäre. Es ist absolut normal, dass Sie im Augenblick aus dem Gleichgewicht sind. Sie müssen sich wütend fühlen, weil Sie denken: “Mein Partner darf mich nicht verlassen. Ich habe ihm so viel gegeben. Das ist unfair. Er hat mir Liebe bis ans Lebensende versprochen. Er darf die Kinder nicht im Stich lassen bzw. mitnehmen. Er muss mir noch eine zweite Chance geben” . Sie müssen an sich zweifeln, wenn Sie denken: “Mein Partner liebt mich nicht mehr. Ich bin nicht liebenswert. Ich kann keinen Partner halten” . Sie müssen traurig, einsam und verzweifelt sein bei den Gedanken: “Nie mehr werde ich glücklich sein. Ich kann ohne meinen Partner nicht leben. Es ist alles aus” . Sie müssen Schuldgefühle verspüren bei den Gedanken: “Ich hätte mehr für meinen Partner tun sollen, mich liebevoller, verständnisvoller etc. verhalten sollen” . Ihr Körper muss mit Essstörungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Unruhe, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen usw. reagieren, weil Sie ihm signalisieren, dass Sie sich in “ernster Gefahr” befinden und Ihr gesamtes Lebenskonzept bedroht ist.
Ihre Gefühle und Körperreaktionen sind dem Augenblick absolut angemessen. Sie sind die Folge Ihrer Erwartungen, Wünsche und Erfahrungen aus der Vergangenheit. Sie sind das Ergebnis davon, wie Sie die Situation im Augenblick bewerten. Keine Angst, Sie sind auch jetzt in Kontrolle Ihrer Gefühle – auch wenn es Ihnen vielleicht gar nicht so erscheint. Deshalb können Sie auch für die Zukunft Ihre Einstellungen ändern und sich auch dann, wenn Ihr Partner nie mehr zurückkommt, wieder am Leben erfreuen. Doch für den Augenblick müssen Sie akzeptieren, dass Sie sich verlassen, verletzt und hilflos fühlen.
Drücken Sie Ihre Gefühle aus
Ihr Gefühle sind schmerzhaft, und es ist gut, wenn Sie sie ausdrücken. Per Willenskraft können Sie diese nicht verbieten. Wenn Sie sie zulassen, werden Sie die Kontrolle nicht über sich verlieren. Sie werden auch wieder aufhören können zu weinen. Schreiben Sie Ihre Gefühle in ein Tagebuch, tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen im Internet aus, sprechen Sie mit Freunden oder mit Ihren Eltern, gehen Sie in eine Selbsthilfegruppe, nehmen Sie Kontakt mit einem Psychotherapeuten oder einer Beratungsstelle auf. Erlauben Sie sich zu weinen und sich zu bedauern. Alle Wege sind in Ordnung, so lange Sie niemanden und sich selbst nicht gefährden.
Hören Sie Musik, bei der Sie sich berührt und bewegt fühlen. Schreiben Sie Gedichte oder drücken Sie Ihre Gefühle in selbst gemalten Bildern aus. Besuchen Sie den Gottesdienst oder gehen Sie in die Natur. Bitte greifen Sie nicht zu Alkohol oder Beruhigungsmitteln. Das hilft nur kurzfristig, betäubt Sie, aber die Gefühle kommen nach Nachlassen der Wirkung zurück. Außerdem sind Sie gefährdet, in die Sucht abzurutschen, wenn Sie sich angewöhnen, Ihre Gefühle zu betäuben.
Akzeptieren Sie Ihr Verhalten für den Augenblick
Es mag sein, dass Sie sich im Augenblick kaum wiedererkennen. Sie waren es vielleicht bisher von sich gewohnt, kaum Fehler zu machen, verständnisvoll und gelassen zu sein, maßvoll zu essen, zuverlässig zu sein, auf Ihr Aussehen zu achten usw. – und nun verhalten Sie sich genau gegenteilig. Verurteilen Sie sich nicht dafür, sondern akzeptieren Sie, dass Sie nicht “perfekt” sind. Sie sind kein Roboter, sondern reagieren auf die momentane Situation. Teilen Sie dem Chef oder den Kollegen mit, dass Sie sich in einer Trennungsphase befinden. Geben Sie sich “mildernde” Umstände und drosseln Sie Ihre Erwartungen an sich.
Leben Sie nur für einen Tag
Wenn Sie sich ganz kraftlos fühlen, vielleicht sogar an Selbstmord denken, dann entscheiden Sie sich, jeweils nur für einen Tag zu leben. Dieser ist überschaubar, und Ihre Kraft reicht hierfür aus.
Behandeln Sie sich liebevoll
Auch wenn es Ihnen noch so schwer fällt, versuchen Sie, auf einigermaßen gesunde Ernährung zu achten. Ihr Körper braucht dies gerade in einer solchen Stresssituation. Trinken Sie mindestens 2 l Flüssigkeit (Mineralwasser, Kräuter- oder Früchtetee) pro Tag. Essen Sie viel Obst, Gemüse, Vollkorn- und Milchprodukte. Verzichten Sie auf das Rauchen. Versuchen Sie, körperliche Bewegung in den Alltag einzubauen. Diese hilft Ihnen dabei, sowohl Anspannung und Wut abzubauen als auch Depressionen zu überwinden.
Ziehen Sie Bilanz
Die folgenden Fragen helfen Ihnen dabei, die Trennung zu verstehen. An einer Trennung sind meist beide Partner beteiligt. Am besten schreiben Sie Ihre Antworten nieder:
- Was war in unserer Partnerschaft in der letzten Zeit verwirklicht?
- Hatten wir Vertrauen zueinander?
- War ich bereit, den Partner so zu akzeptieren, wie er ist?
- Habe ich mich von meinem Partner akzeptiert gefühlt?
- Hatten wir gemeinsame Interessen, Hobbys und Lebenseinstellungen?
- Konnten wir über Konflikte und unterschiedliche Meinungen reden?
- Konnte ich mich persönlich entfalten?
- Hatten wir gemeinsame Freunde?
- Einigten wir uns bei unterschiedlichen Ansichten auf Kompromisse?
- Konnte ich mich auf den Partner verlassen?
- Erlaubten wir uns gegenseitig Zeit, für uns alleine zu sein?
- Wenn wir ärgerlich aufeinander waren, sprachen wir darüber, versteckten wir den Ärger oder versuchten wir, uns gegenseitig zu verletzen?
- Fühlte ich mich den überwiegenden Teil der Zeit in der Partnerschaft wohl?
Verändern Sie Ihre Sichtweise
Wann immer Sie sich beim Hadern mit Gedanken wie “Mein Partner darf nicht… Das ist gemein” ertappen, ersetzen Sie diesen durch den Gedanken: “Ich bin bereit zu akzeptieren, dass mein Partner mich verlassen hat. Ich bin bereit zu akzeptieren, dass mein Partner sich so verhalten hat” . Zu Anfangs wird sich alles in Ihnen dagegen sperren, und Sie werden sich fühlen, als ob Sie sich belügen, doch mit weiterer Wiederholung und zunehmender Übung werden Sie auch innere Zustimmung verspüren.
Ziel dabei ist es nicht, dass Sie das Verhalten Ihres Partners gut heißen. Es geht lediglich darum, die Realität zu akzeptieren. Sie können die Vergangenheit nicht mehr ungeschehen machen. Auch wenn es Sie schmerzt, hat Ihr Partner das Recht, sich nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen zu verhalten. Sie sind deshalb nicht sein Opfer. Sie können lernen, Ihre Erwartungen an ihn loszulassen. Lenken Sie Ihren Blick auf Ihre Zukunft, statt mit der Vergangenheit zu hadern: Wie soll mein weiteres Leben aussehen? Welche neuen Perspektiven kann ich finden? Was kann ich jetzt für mich tun?
Wann immer Sie sich Vorwürfe machen, in der Partnerschaft etwas falsch gemacht zu haben, setzen Sie den Gedanken dagegen: “Ich bin bereit, mir zu verzeihen. Ich habe getan, was mir zum damaligen Zeitpunkt richtig erschien und was mir möglich war” .
Wann immer Sie denken, in Ihrem Leben würden Sie nie mehr Liebe und Glück erleben können und dass Sie nie mehr einen Partner finden werden, ersetzen Sie diese Gedanken durch folgende hilfreiche Einstellung: “Ich bin liebenswert, so wie ich bin. Die Tatsache, dass sich mein Partner getrennt hat, hat nichts damit zu tun, dass ich nicht liebenswert bin. Er hat sich getrennt, weil seine Erwartungen und das, wie ich bin, nicht mehr zusammengepasst haben.” Suchen Sie bewusst nach den Chancen, die eine Trennung möglicherweise für Sie bringt: Was haben Sie dem Partner zuliebe aufgegeben oder zurückgestellt? Mit welchen Freunden wollten Sie schon immer einmal wieder Kontakt aufnehmen?
Wann immer Ihnen Gedanken bewusst werden, mit denen Sie sich Angst machen wie etwa: “Ich schaffe das nicht alleine. Es wäre schrecklich, wenn… Das kann ich nicht ertragen” , unterbrechen Sie diese und ersetzen Sie durch Mut machende Gedanken: Erinnern Sie sich daran, was Sie bisher schon alles geschafft haben. Suchen Sie Kontakt zu Menschen, die ebenfalls eine Trennung hinter sich gebracht haben und Ihnen ein positives Modell sein können. Fragen Sie sich, welche Beratungsstelle, welcher Experte Sie unterstützen kann und wo und wie Sie sich das nötige Wissen oder Können erwerben können. Was andere geschafft haben, das können Sie auch!
Geben Sie sich Zeit
Sich auf die neue Situation als allein erziehender bzw. allein lebender Mensch einzustellen, benötigt Zeit. Sie müssen ganz viele neue Rollen lernen, auf die Sie meist nicht gut vorbereitet sind, weil Sie nicht mit einer Trennung gerechnet haben. Sie müssen viele Verluste verkraften und sich neu arrangieren:
- den Verlust des Partners,
- den Verlust gemeinsamer Zukunftspläne,
- den Verlust der Rolle als Ehefrau oder Ehemann,
- den Verlust als Liebhaber,
- den Verlust des Status als Paar,
- möglicherweise den Verlust der Kinder,
- den Verlust eines Hauses/ einer Wohnung,
- den finanziellen Verlust sowie
- den Verlust von Freunden.
Zunächst einmal wissen Sie nur, was Ihnen fehlt. Sie müssen jetzt Energie daran setzen und gezielt ein Gegenmodell entwickeln: Was soll an dessen Stelle treten? Wie sehe ich aus ohne…? Wo kann ich stattdessen meine Zufriedenheit her bekommen?
Doch Sie besitzen bereits jetzt alle Fähigkeiten, ein neues Lebensmodell zu entwickeln. Ich wünsche Ihnen dabei viel Kraft und Erfolg.
Anmerkung
Wenn Sie gerne intensiver an sich arbeiten möchten und weitere konkrete Übungen und Hilfestellungen wünschen, schauen Sie in meinen Ratgeber “Wenn der Partner geht. Wege zur Bewältigung von Trennung und Scheidung” , erschienen im PAL-Verlag, Mannheim. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.
Autorin
Dr. Doris Wolf ist Psychologische Psychotherapeutin in freier Praxis und Autorin zahlreicher Lebenshilfe-Bücher.
Kontakt
Dr. Doris Wolf
Praxis für Psychotherapie
Am oberen Luisenpark 33
68165 Mannheim
Tel.: 0621/415740
Erstellt am 9. August 2004, zuletzt geändert am 4. September 2014