Trennung unter demselben Dach: Juristische Aspekte und Erfahrungen des Praktikers
Jan R. Großmann
Die Trennung ist zeitlicher Ausgangspunkt für die Berechnung des gesetzlich vorgeschriebenen Trennungsjahres und damit Voraussetzung für die Ehescheidung.
Im Beitrag wird geschildert, welche Anforderungen die Gerichte an das Getrennleben stellen und welche juristischen und praktischen Probleme damit in der Praxis verbunden sein können, wenn es unter einem Dach erfolgt.
Am Ende des Beitrages werden häufig gestellte Fragen zu Einzelproblemen des Getrenntlebens unter einem Dach beantwortet und Tipps für eine möglichst konfliktfreie Umsetzung gegeben.
I. Rechtliches
Ein entscheidender Einschnitt im deutschen Scheidungsrecht ist die Trennung. Mit der Trennung bezeichnen Juristen die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft von Ehegatten (§ 1567 BGB). Denn die Aufhebung der Lebensgemeinschaft und die Prognose, dass sie nicht mehr wiederhergestellt werden wird, sind für das Familiengericht die Voraussetzungen für eine Ehescheidung. Bedingung für eine Scheidung ist eine Trennungsdauer von mindestens einem Jahr (§§ 1565, 1566 BGB). Weitere Scheidungsvoraussetzungen kennt das deutsche Familienrecht nicht mehr.
Mit der Einhaltung der Trennungsdauer nehmen es die Familiengerichte sehr genau. Das Vorliegen einer Trennung und die Dauer von mindestens einem Jahr werden vom Gericht in der Anhörung der Eheleute im Gerichtstermin überprüft. Ist das Gericht nicht überzeugt, etwa weil abweichende Trennungszeitpunkte oder eine ernsthafte Unterbrechung der Trennung angegeben werden, wird es die Ehe nicht scheiden.
Im Regelfall leben die Ehegatten vor der Trennung zusammen in der so genannten Ehewohnung. Gemeint ist hiermit sowohl ein gemietetes Haus oder Appartement als auch eine Eigentumswohnung oder das Haus eines oder beider Ehegatten. Auf die Eigentums- oder Mietverhältnisse oder die Beschaffenheit der Wohnung kommt es aber nicht an.
Oftmals ist die Trennung der Eheleute offenkundig und unproblematisch, weil häufig die Trennung mit dem Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung einhergeht. In diesen Fällen ist der Trennungswille klar erkennbar (gemeint sind also nicht berufs- oder krankheitsbedingte Trennungen, Reisen oder Gefängnisaufenthalte). Dagegen kann das Getrenntleben beispielsweise durch fortgesetzte gemeinsame Freizeitgestaltung, Reisen oder Geschlechtsverkehr oder etwa den Kindern zuliebe aufrechterhaltenen äußeren Schein auch im Falle einer räumlichen Trennung zumindest zweifelhaft werden. Allerdings bestimmt das Gesetz ausdrücklich, dass kurzfristige Versöhnungsversuche (maximal drei Monate Dauer) für das Getrenntleben unschädlich sind.
In anderen Fällen fallen Trennung und Auszug nicht zusammen oder es liegt überhaupt keine räumliche Trennung vor. Das Gesetz verlangt aber nicht, dass die Eheleute in verschiedenen Wohnungen leben müssen. Ein Getrenntleben in einer Wohnung ist also zulässig.
Um das Getrenntleben unter einem Dach jedoch von dem früheren Zusammenleben zu unterscheiden, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden:
- Die häusliche Gemeinschaft muss soweit als möglich aufgehoben sein. Dazu sollten die Ehegatten die Ehewohnung aufteilen und festlegen, welche Räume dem Ehemann und welche der Ehefrau zur alleinigen Nutzung zustehen sollen – dies möglichst schriftlich. Räume, die Versorgung und Hygiene dienen (Küche, Bad, Waschküche, Vorratsräume), können weiter gemeinsam genutzt werden, da sie meist nur einmal in der Wohnung vorhanden sind.Gemeinsame Nutzung bedeutet jedoch nicht zeitgleiche Nutzung. Hier kann eine Art Stundenplan hilfreich sein, der Zeiten festlegt, zu denen der jeweilige Ehegatte den Raum nutzen darf. Durchgangsräume wie etwa ein Flur können ebenfalls weiterhin beiden Eheleuten zur Verfügung stehen.
- Wechselseitige Versorgungsleistungen haben zu unterbleiben. Unter Versorgungsleistungen fallen Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Waschen, Einkaufen ebenso wie Reparaturen oder Ämtergänge und Erledigungen. Putzt ein Ehegatte notgedrungen weiter Bad und Küche, weil der andere sich nicht kümmert, so hindert dies ein Getrenntleben nicht.
- Die eheliche Lebensgemeinschaft kennzeichnende Gemeinsamkeiten müssen beendet sein. Die persönlichen Beziehungen der Eheleute sollten auf ein Mindestmaß reduziert sein.Zwar müssen Eheleute sich bei dem Getrenntleben unter einem Dach nicht zwanghaft aus dem Wege gehen. Gespräche und die Einhaltung höflicher Umgangsformen sind wünschenswert und unschädlich. Jedoch sprechen gemeinsam eingenommene Mahlzeiten ebenso gegen ein Getrenntleben wie Pflege und Fürsorge im Krankheitsfall oder Teilnahme an Familienfeiern oder ähnlichen (öffentlichen) Anlässen.
Werden diese Grundsätze eingehalten, können die Eheleute auch bis zum Scheidungsurteil unter einem Dach getrennt leben.
II. Praktisches
Rechtliche Zulässigkeit ist das Eine, Praktikabilität das Andere: Zunächst muss ein Getrenntleben vom Zuschnitt und der Größe der Ehewohnung her überhaupt durchführbar sein. In einer Einraumwohnung wird sich ein Getrenntleben ebenso wenig umsetzen lassen wie in einer Wohnung, die nur aus Durchgangszimmern besteht. Ideal sind Wohnungen, die sich beispielweise in Einfamilienhäusern über zwei Etagen erstrecken. Bei weniger günstigen Verhältnissen ist etwas Kreativität und guter Wille bei der Aufteilung vonnöten – Eigenschaften, die bei einer nicht ganz friedlichen Trennung jedoch schnell verloren gehen.
Neben der “technischen” Durchführbarkeit muss sich jeder trennungswillige Ehegatte, der vor der Frage steht, ob er ausziehen oder unter einem Dach getrennt leben will, über Folgendes ganz klar sein: In der Praxis trennen sich die Eheleute überwiegend nicht friedlich und einvernehmlich, sondern weil es schwerwiegende Konflikte oder unüberbrückbare Differenzen zwischen ihnen gibt. Es liegt in der menschlichen Natur, dass solche Zerwürfnisse emotional ausgetragen werden und es schwer fällt, sachliche oder rationale Überlegungen getrennt von verletzten Gefühlen oder Antipathie anzustellen. Immer wieder ist daher zu beobachten, dass nach einer Trennung aus geringfügigen Anlässen massive Streitigkeiten entstehen und im schlimmsten Fall einer oder beide Eheleute dem anderen sogar Schaden zufügen wollen. Damit ist an sich jegliche Basis für ein Getrenntleben unter einem Dach entfallen.
Oft ist auch nur ein Ehegatte trennungswillig, während der andere das Zusammenleben fortsetzen möchte. Bei Getrenntleben unter einem Dach bietet sich ihm die Möglichkeit, die Trennung zu ignorieren oder das Getrenntleben zu bestreiten. Im ersten Fall wird es sehr bald zum Konflikt kommen, wenn der Wunsch zum Getrenntleben nicht respektiert wird. Hier sind möglicherweise sehr deutliche Worte vonnöten, um den Trennungswillen zu untermauern. Darüber kann es leicht zu einer Eskalation kommen. Der zweite Fall ist juristisch noch gefährlicher: Der Unwillige könnte erst vor Gericht das Vorliegen einer Trennung und damit die Scheidungsvoraussetzungen bestreiten. Dann aber fällt der Beweis des Getrenntlebens sehr schwer, weil Außenstehende nicht regelmäßig Zeugen der Lebensumstände der Eheleute im häuslichen Bereich waren.
In den oben beschriebenen Fällen ist ein Getrenntleben unter einem Dach nicht ratsam. In der ersten Variante kann die psychische Belastung schnell ein Ausmaß annehmen, das die Lebensqualität massiv herabsetzt. Bekundet der andere Ehegatte hingegen, die Trennung nicht zu akzeptieren und verhält sich ansonsten ruhig, so riskiert man, dass vor Gericht das Getrenntleben nicht bewiesen werden kann.
Es soll hier nicht außer Acht bleiben, dass oft die finanziellen Umstände ein Getrenntleben unter einem Dach gebieten. Zwei Haushalte sind teurer als einer. Gleichzeitig wird das zur Verfügung stehende Familieneinkommen im Regelfall nach der Trennung geringer – spätestens dann, wenn wegen des dauerhaften Getrenntlebens die günstige Steuerklassenkombination III/V nicht mehr zur Verfügung steht.
Bevor jedoch die finanzielle Situation zum ausschlaggebenden Grund für ein belastendes oder gar gefährliches Getrenntleben unter ein Dach wird, sollte man sich über den wirtschaftlichen Spielraum genau informieren. Meist bestehen Unterhaltsansprüche gegen den anderen Ehegatten, die eben gerade dazu dienen sollen, dem wirtschaftlich schwächeren Ehegatten ein Getrenntleben zu ermöglichen. Hier sollte frühzeitig ein Fachmann, am besten ein Fachanwalt für Familienrecht, mit der Ermittlung der Unterhaltshöhe beauftragt werden.
Bestehen keine Unterhaltsansprüche oder reichen diese nicht für den eigenen Lebensunterhalt aus, sollte man sich beim zuständigen Sozialamt über die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) oder über Wohngeld informieren. Das Sozialamt ist auch der Ansprechpartner, wenn die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen längere Zeit dauert, etwa weil die Gegenseite die Zahlung verweigert.
III. Häufig gestellte Fragen
Ich bin alleiniger Mieter/ Eigentümer der Wohnung/ des Hauses, in dem wir leben. Kann ich von meinen Ehegatten nicht einfach verlangen, dass er/sie auszieht?
Bei bestehender Ehe ist dies nicht so einfach, weil beide Ehegatten das Recht haben, in der Ehewohnung zu leben. Ausnahmen sind denkbar, wenn die berechtigten Interessen einer Seite oder der gemeinsamen minderjährigen Kinder die Belange des anderen so stark überwiegen, dass sie eine Zuweisung der Ehewohnung an eine Seite gebieten. Die Gerichte tun sich in der Praxis damit jedoch schwer und ziehen eine Aufteilung der Wohnung als milderes Mittel vor. Der Eigentümer kann in solchen Fällen vom anderen eine Nutzungsentschädigung oder eine Berücksichtigung der Wohnungsnutzung beim Unterhalt verlangen.
Ich will in der Ehewohnung getrennt leben, mein Ehegatte sieht das jedoch nicht ein und verhält sich weiter so, als ob wir zusammenleben. Was kann ich tun?
Ausziehen ist hier immer die pragmatischere, schnellere und nervenschonendere Variante. Nur wenn ein Auszug nicht möglich ist, sollte ein Antrag auf Aufteilung der Ehewohnung und Zuweisung eines Teils zur alleinigen Nutzung bei Gericht gestellt werden. Eine Alleinzuweisung wird nur in den oben genannten Ausnahmefällen möglich sein. Respektiert der andere auch die gerichtliche Aufteilung nicht, so kann dies entweder ein Grund für die Alleinzuweisung sein oder er kann durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes dazu angehalten werden.
Wir leben in der Ehewohnung getrennt. Die Situation ist angespannt, die Stimmung schlecht. Bei einem Streit hat mich mein Ehegatte geschlagen. Wie kann ich mich schützen?
Hier hätte ein Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung an einen Ehegatten wohl Aussicht auf Erfolg. Da die Gegenseite meist den tätlichen Angriff bestreiten wird, muss allerdings der Nachweis gelingen, dass es ihn tatsächlich gegeben hat. Bei einem Angriff sollte immer die Polizei herbeigerufen und zeitnah ein Arzt aufgesucht werden, um die Verletzungen zu dokumentieren.
Wir leben in der Ehewohnung getrennt. Wer bezahlt die Miete?
Derjenige, der im Mietvertrag steht. Sind dies beide Ehegatten, schulden auch beide die Miete jeweils zur Hälfte. Anders kann die Frage beispielsweise im Fall einer Alleinverdienerehe zu beurteilen sein oder wenn die Mietzahlungen bereits bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt wurden. Ähnliches gilt auch, wenn es um die Raten für die Hypothek vom gemeinsamen Haus geht.
Wir leben in der Ehewohnung getrennt. Mein Ehegatte bekommt jetzt Besuch von ihrem Liebhaber/ seiner Geliebten. Muss ich das dulden?
Nein. Hier kann durch einen Antrag bei Gericht dem/der Neuen der Besuch untersagt werden.
IV. Fazit
Das Getrenntleben unter einem Dach ist nur selten anzuraten. Selbst wenn die räumlichen Voraussetzungen gegeben sind, stellt es doch immer eine erhebliche psychische Belastung für alle Beteiligten dar. Auch birgt es gewisse Risiken für den reibungslosen Ablauf des Scheidungsverfahrens. Die Finanzen allein sollten nicht das ausschlaggebende Argument für eine Trennung in der Ehewohnung sein.
Bitte bedenken Sie: Das Getrenntleben unter einem Dach ist immer nur eine Durchgangsphase; in der Praxis zieht meist ein Ehegatte schon deutlich vor der Ehescheidung aus der Ehewohnung aus. Mit der Ehescheidung muss ohnehin eine abschließende Regelung getroffen werden, wer nachehelich die Ehewohnung weiter bewohnen soll. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Getrenntleben unter einem Dach kein Zustand, für dessen Erhaltung viel Energie aufgewendet werden sollte.
Autor
Jan R. Großmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht
Kanzlei für Familien- und Erbrecht
Parkallee 28
28209 Bremen
Tel.: 0421/348570
Erstellt am 10. September 2004, zuletzt geändert am 10. März 2015