Tipps für den Kinderschuhkauf

Univ. em. Prof. Dr. Elisabeth Groll-Knapp & Dr. Wieland Kinz & Dr. Christian Klein

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Wie viel Spielraum sollten Kinderfüße eigentlich in den Schuhen haben? Und wie überprüft man das am besten?

Eigentlich – so denkt man sich – sollte das ganz einfach sein. Kinder spüren, ob die Schuhe passen und außerdem werden in den Schuhgeschäften die Füße vermessen. Meistens überprüft die Verkäuferin zusätzlich, ob zwischen Zehen und Schuhspitze noch ein Daumen Platz hat. Da müsste doch alles passen – so denkt man sich.

Eine österreichische Forschungsgruppe untersucht quer durch Europa, ob Kinder passende Schuhe tragen. Die Ergebnisse sind niederschmetternd. Denn die Realität sieht anders aus:

  • Etwa 2/3 der Kindergartenkinder in Österreich tragen zu kurze Schuhe. Das sind gut 220.000 Kinder. Bei fast 10% sind die Schuhe mehr als zwei Größen zu kurz. Spitzenwert: Kinder mit fünf Größen zu kurzen Schuhen.
  • Bei den Hausschuhen sieht es noch schlechter aus: Mehr als 80% der Kinder tragen zu kurze.

Hausschuhe für Kinder: Notwendig oder nicht?

Univ. em. Prof. Dr. Elisabeth Groll-Knapp

Den Stein ins Rollen brachten einige Mütter: Sie waren vom Kindergarten aufgefordert worden, ihren Kindern Hausschuhe zu kaufen. Das müsse so sein, weil das schon immer so im Kindergarten gewesen sei und außerdem würden die Hausschuhe vor Verletzungen schützen. Zuhause liefen die Kleinen aber nur barfuss oder in Socken umher und darum wollten die Mütter es genau wissen: Sind Hausschuhe notwendig oder nicht?

Wenn es um Passformuntersuchungen von Kinderschuhen geht, sind Hausschuhe ausgesprochene Mauerblümchen. Bis vor kurzem kamen sie in keiner einzigen Studie vor.

So viel sei jetzt schon verraten: Die Mütter hatten Recht mit ihrer Skepsis.

Für eine österreichweite Studie haben wir Füße und Hausschuhe von über 800 Kindergartenkindern vermessen und mit einem Feuchte-Messfühler das Klima im Schuhinnenraum ermittelt.

Zwei Aspekte standen auf der Hausschuh-Themenliste:

  • Tragen Österreichs Kindergarten-Kinder passende Hausschuhe?
  • Wie sind die tragehygienischen Bedingungen der Hausschuhe?

Die Ergebnisse waren für uns alle verblüffend:

  • Knapp 90% der Kinder trugen zu kurze Hausschuhe. Fast ein Viertel der Kinder hatte sogar Hausschuhe, die mehr als zwei Größen zu kurz waren!
  • Die Feuchtigkeit in den Hausschuhen war viel zu hoch: Gegen Mittag standen die meisten Kinder regelrecht im Wasser.
  • Wir befragten die Eltern wie wichtig ihnen passende Straßen- und Hausschuhe bei ihren Kindern sind: Für 89,5% der Eltern sind passende Straßenschuhe sehr wichtig, bei den Hausschuhen sind es nur 62,5%. Dabei werden Hausschuhe in diesem Altersbereich viel länger als Straßenschuhe getragen und können die Füße daher viel deutlicher schädigen.

Meine Tipps:

Inzwischen empfehlen wir Kindergärten und Müttern, ganz auf Hausschuhe zu verzichten und allenfalls Anti-Rutsch-Socken zu verwenden.

Zahlreiche Kindergärten, die inzwischen umgestellt haben (z.B. im Burgenland und in Liechtenstein), berichten uns von den Vorteilen:

  • Die Passform lässt sich leicht kontrollieren. Man sieht sofort, ob die Socken zu eng oder zu kurz sind. Tipp: Auch in Socken sollten Zehen einige Millimeter Spielraum haben.

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Abb.: Auch Socken sollten passen! Empfehlung: Einige Millimeter Spielraum vor den Zehen.

  • Im Verhältnis zu Füßen von Erwachsenen schwitzen Kinderfüße mehr: Sie haben gleich viele Schweißdrüsen, aber eine viel kleinere Oberfläche. Barfußgehen ist deshalb das Beste, weil die Feuchtigkeit dabei sofort verdunsten kann. Wenn Schuhe und Socken an den Füßen sind, sollte man auf optimale Atmungsaktivität achten: Bei Sportbekleidung haben sich moderne Funktionsmaterialien längst durchgesetzt. Eine Mischung aus Naturfasern (z.B. Baumwolle oder Wolle) und synthetischen Fasern (wie z.B. Polyamid oder Polyester) ist auch für Kindersocken optimal. Das hat den Vorteil, dass die Socken rasch trocknen können.
  • Die Anti-Rutsch Socken können am Ende der Woche zum Waschen mit nach Hause genommen werden.
  • Und zu guter Letzt: Kinder haben Spaß mit den bunten Socken!

Spüren Kinder, ob die Schuhe passen?

Dr. Wieland Kinz

Die kleine Anna strahlt. An ihren Füßen leuchten zwei funkelnagelneue, rote Schuhe, die sie anprobieren darf. Was die 6jährige nicht weiß: Der Schuh am linken Fuß passt perfekt und hat 12 mm Spielraum, der Schuh am rechten aber ist 6 mm kürzer als ihr Fuß. Stolz stapft sie durch den Testparcours und gibt danach bereitwillig Auskunft: Die Schuhe gefallen ihr sehr gut und ihrer Meinung nach passen sie perfekt. Die Idee für die „Schuhteststraße“ entstand bei Kinderfußmesstagen, die wir regelmäßig mit Krankenkassen veranstalten: Dabei haben Eltern die Möglichkeit, die Passform der Kinderschuhe von uns untersuchen zu lassen. Immer wieder stellten wir erstaunt fest, dass einige Kinder vier und fünf Größen zu kurze Schuhe trugen. Um in diese Schühchen überhaupt reinzukommen, müssen sie ihre kleinen Füße wie Fäuste zusammenballen. Und jedes Mal, wenn wir die Kinder fragen, wie die Schuhe passen, erhalten wir dieselbe Antwort: „Das sind meine Lieblingsschuhe, die passen mir perfekt!“ So wie Anna geht es einem Großteil unserer jungen Testkandidaten: Kinder spüren nicht, dass ihre Schuhe längst zu kurz sind. Deshalb sollte die Passform von Kinderschuhen regelmäßig kontrolliert werden.

Meine Tipps:

1. Papp-Schablone

Beide Füße auf einen Karton stellen, Umriss nachzeichnen, an der längsten Zehe 12-17 mm dazufügen und 2-Finger breiten Streifen ausschneiden. Streifen in den Schuh stecken und überprüfen, ob er flachliegt (Schuh passt) oder sich aufbiegt (Schuh ist zu kurz).

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 Streifen passt: Schuh passt!

 

 

 

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 Streifen biegt sich auf: Schuh zu kurz!
 

 

 

2. Fuß- und Schuhmessgerät plus12

Ein handliches Messgerät für Eltern, um die Füße und die Innenlänge der Schuhe zu messen. Praktisch: Beim Füßemessen wird automatisch ein Spielraum von 12 mm dazugerechnet.

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Innenlänge Schuh messen

 

 

Fuß messen

 

 

3. Fuß auf die Einlagesohle stellen

Bei etwa der Hälfte aller Kinderschuhe kann man die Einlagesohle aus dem Schuh nehmen und so testen, ob die Schuhe passen.Aber Achtung:

  • Überprüfen Sie zuerst, ob die Einlagesohle dieselbe Länge wie der Schuh hat. Bei manchen Modellen rollt sie sich in der Schuhspitze auf, bei anderen lässt sie sich im Schuh hin und her schieben. Nur Einlagesohlen, die der Innenlänge des Schuhes entsprechen, können für einen Passformtest verwendet werden.
  • Ein häufiger Fehler: Beim Überprüfen, ob vor der längsten Zehe noch mindestens 12 mm Spielraum sind, wird der Fuß fast immer bis an den hinteren Rand der Einlagesohle gestellt. Im Schuh steht der Fuß aber mindestens 1 cm vor dem hinteren Rand.

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Abb.: Profis stellen den Fuß ca.1 cm vor den hinteren Rand der Einlagesohle, um die Passform der Schuhe zu überprüfen.

Kinderfüße oder Kinderschuhe – wer ist stärker?

Dr. Christian Klein

Ein Blick in die Geschichtsbücher genügt, um spannende erste Eindrücke zu bekommen: In Frankreich ist man im 18. Jahrhundert überzeugt, dass zu kurze Schuhe die Füße schädigen. Aber das Diktat der Mode ist wichtiger und so werden Trainingspläne entwickelt, um junge Mädchen langsam an die Strapazen von Damenschuhen zu gewöhnen. Im 19. Jahrhundert bringt eine Analyse der Krankheitstage im deutschen Militärdienst zutage, dass Fußprobleme für riesige Ausfälle sorgen. Auf der Suche nach möglichen Ursachen geht man bis zu den Kleinsten zurück und fordert für Kinder 12 mm Spielraum in den Schuhen. Im 20. Jahrhundert belegen zahlreiche Studien, dass mehr als die Hälfte der Kinder zu kurze Schuhe trägt.

Aber können zu kurze Kinderschuhe die kleinen Füße tatsächlich schädigen? Eine Analyse der Fachliteratur zeigte, dass diese Fragestellung nie wissenschaftlich bearbeitet wurde. 2001 haben wir deshalb im Auftrag des österreichischen Bundesministeriums untersucht, wie sich zu kurze Schuhe auf die Füße von Kindergartenkindern auswirken.So eindeutige Ergebnisse hätten wir nicht erwartet: Die Fußformen der Kinder waren je nach Passform der Schuhe unterschiedlich. Kinder mit zu kurzen Schuhen hatten deutlich häufiger eine verbogene Großzehe (Hallux valgus). In der statistischen Berechnung zeigte sich der eindeutige Zusammenhang: Je kürzer die Schuhe, desto schiefer die Großzehe! So konnten wir als erste Forschungsgruppe zeigen, dass zu kurze Kinderschuhe tatsächlich zu Fußschäden führen.

Im Zweikampf Schuh gegen Kinderfuß unterliegen die kleinen Füßchen eindeutig.

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Auswirkung zu kurzer Kinderschuhe:
Die große Zehe ist verbogen.

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So sollten Kinderfüße aussehen:
Die große Zehe ist gerade.

Damit bekommt die Wichtigkeit passender Kinderschuhe eine ganz neue Bedeutung: Schuhproduzenten und Schuhhändler haben nun auch einen eindeutigen Gesundheitsauftrag zu erfüllen.

Ein Blick in die Praxis zeigt, dass es noch einiges zu tun gibt: Unsere Untersuchungen belegen, dass rund 97% der Kinderschuhe Mogelpackungen sind. Wo z.B. Schuhgröße 30 draufsteht, ist meistens nur die Innenlänge eines 28ers „drinnen“. Deshalb sollte immer die Innenlänge von Kinderschuhen gemessen werden. Das wird viel zu selten gemacht. 2011 haben 3843 Eltern aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein an unserer online-Befragung teilgenommen: Nur 32% der SchuhverkäuferInnen messen bislang die Innenlängen von Kinderschuhen.

Meine Tipps

  • Barfußgehen ist das Beste für kleine Füße.
  • Je weicher und beweglicher Kinderschuhe sind, desto mehr können sich die Füße bewegen und desto besser wird die Muskulatur trainiert.
  • Passende Kinderschuhe sind 12-17 mm länger als die Füße und liegen um den Ballen und die Ferse herum gut an. Beim Kauf deshalb immer die Innenlänge messen (im online-shop immer nach der Innenlänge fragen).
  • Die korrekte Innenlänge ist das wichtigste Maß: Sind die Schuhe um den Ballen und die Ferse zu weit oder zu eng, sollte man ein anderes Modell nehmen. Schuhe sind Massenware und nicht jeder Schuh passt auf jeden Fuß.

Literaturtipps

  • Kinz Wieland (2005): Kinderfüße-Kinderschuhe: Alles Wissenswerte rund um kleine Füße und Schuhe. Überraschende Details zur Entwicklung von Kinderfüßen und praktische Tipps für den Kinderschuhkauf. 3., neubearb. Auflage (August 2005) ISBN 3-00-005879-63.
  • Bloß Maren (2008): Kinderfüße richtig pflegen. Neuer Merkur Verlag; 1., Auflage (September 2008)
  • Larsen Christian und Miescher Bea (2009): Lustige Fußgymnastik für Kinder. Trias; 1., Auflage (22. April 2009)

Linktipps

Forschungsteam „Kinderfüße-Kinderschuhe“: Praktische Tipps für den Schuhkauf und spannende Hintergrundinformationen für gesunde Kinderfüße.

AutorInnen

  • Univ. em. Prof. Dr. Elisabeth Groll-Knapp war Institutsvorstand an der Medizinischen Universität Wien (Institut für Umwelthygiene, Zentrum Public Health) und beschäftigt sich mit dem Forschungsthema „Kinderfüße-Kinderschuhe“ seit dem Jahr 2000. 2009 veröffentlichte sie die weltweit erste Publikation zur Schädlichkeit von zu kurzen Kinderschuhen.
  • Dr. Wieland Kinz ist Sportwissenschaftler und war bereits während des Studiums über einige Untersuchungen zur Passform von Kinderschuhen so verwundert, dass er das Thema zuerst in seiner Diplomarbeit und dann in seiner Dissertation bearbeitete. 2004 entwickelte er gemeinsam mit dem Forschungsteam „Kinderfüße-Kinderschuhe“ das erste schuhgrößen- und markenunabhängige Messgerät für Eltern: Das plus12.
  • Dr. Christian Klein ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Mit dem Forschungsteam „Kinderfüße-Kinderschuhe“ untersucht er regelmäßig kleine Füße und untersucht die Auswirkungen zu kurzer Schuhe.

Erstellt am 23. April 2012, zuletzt geändert am 23. April 2012

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