Funktionelle Ernährung nur mit Functional Food?
Dipl.oec.troph. Marita Zinnecker
Functional Food – ein Trend in unserer Zeit?
Aktueller Trend in der Bevölkerung: Gesundheit essen statt gesund leben. Der Verbraucher heute hat zwar ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein, andererseits aber auch den Wunsch nach einer bequemen, unkomplizierten Ernährungsweise. So ist die Bereitschaft, liebgewonnene, evtl. ungünstige Gewohnheiten zu verändern, oftmals kaum oder gar nicht vorhanden. Lebensmittel sollen nicht mehr nur Energie und Nährstoffe liefern, sondern dem Bedürfnis vieler Verbraucher nach Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit Rechnung tragen.
Moderne Nahrungsmittel müssen schnell verfügbar sein und einen Zusatznutzen liefern. Die steigende Nachfrage und damit das explodierende Angebot hinsichtlich maßgeschneiderter Produkte ist daher nicht überraschend. Der Konsum von Nahrungsmittel mit den verschiedensten Anreicherungen soll, so der Wunsch des Verbrauchers, ungesunde Lebens- und Ernährungsgewohnheiten wettmachen (bestes Beispiel Rauchervitamine als Alibi).
Ein umfangreiches Angebot an Industriekost mit Gesundheitsanspruch – Functional Food – füllt langsam aber sicher auch die deutschen Regale. Inzwischen gibt es fast zu jeder der sieben Lebensmittelgruppen im Ernährungskreis zusätzlich ein Angebot an funktionellen Produkten.
Hauptzielgruppen für Functional Food sind:
- Frauen: bestes Beispiel ist der “Lady-laib” in Großbritannien mit pflanzlichen Hormonen für die Frau ab 40;
- Eltern: Kinderprodukte mit peppiger Aufmachung und Vitamin- bzw. Mineralstoffanreicherung boomen;
- Jugendliche: Beispiel: Energy Drinks, die Power und Coolness versprechen;
- stressgeplagte “Manager”: Omegabrot mit speziellen Fettsäuren, die vor Herzinfarkt schützen sollen;
- ältere Menschen: fühlen sich von Slogans wie” unterstützt körpereigene Abwehrkräfte “oder” leistet einen aktiven Beitrag zum Wohlbefinden “stark angesprochen.
Functional Food – Ausgewählte Produktbereiche
Pro- und Präbiotika
Wegbereiter für Functional Food und immer noch sehr populär sind die probiotischen Milchprodukte. Sie enthalten speziell gezüchtete Bakterienstämme, die besser als herkömmliche Milchsäurebakterien die Magenpassage überstehen und die Immunabwehr im Darm unterstützen sollen. Inzwischen werden probiotischen Milchprodukten häufig noch Präbiotika zugesetzt. Dies sind bestimmte unverdauliche Kohlenhydrate, sog. Oligosaccharide wie Inulin und Oligofructose, die im Dickdarm das Wachstum der probiotischen Bakterien fördern sollen.
Probiotische Milchsäurebakterien und präbiotische Substanzen werden mittlerweile vielen Produkten zugesetzt – vom Frühstücksbrötchen über Joghurt und Saft bis hin zur Tütensuppe oder dem Schlankheitsdrink lässt das Sortiment keine Wünsche offen.
Milchprodukte und vor allem Sauermilchprodukte sollten in einer vollwertigen Ernährung nicht fehlen. Aber auch herkömmliche Sauermilchprodukte haben nachgewiesenermaßen bei regelmäßigem Verzehr eine positive Wirkung auf die Darmflora und das Immunsystem. Probiotisches in Form von Sauermilchprodukten kann ergänzend dann sinnvoll sein, wenn die Darmflora durch Infektionen, eine Antibiotikatherapie oder eine Krebsbehandlung gestört ist. Täglich Sauermilchprodukte wie Joghurt, Dickmilch oder Buttermilch löffeln – möglichst naturbelassen – ist sehr wünschenswert. Es muss beim gesunden Menschen nicht unbedingt der Griff zum Probiotischen sein. Und übrigens ist probiotisch nicht gleich probiotisch. Die Art der Bakterie und insbesondere ihre Anzahl ist produktabhängig!
Salami, Müsli und Getränke mit speziellen probiotischen Milchsäurebakterien anzureichern, erscheint in einer ausgewogenen Ernährung als wenig sinnvoll.
Lebensmittel mit Zusatz von Omega-3-Fettsäuren
Seit entdeckt wurde, dass Eskimos ein geringeres Herzinfarktrisiko haben, gelten Fischöle als besonders wertvoll. Sie zeichnen sich durch einen besonders hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren aus. In besonders hohen Dosen verbessern diese die Fließeigenschaft des Blutes und beugen Gefäßkrankheiten vor. Omega-3-Fettsäuren sind reichlich enthalten in Kaltwasserfischen (Makrele, Lachs und Hering), in Weizenkeim-, Lein-, Raps- und Sojaöl.
Die durchschnittliche Zufuhr in Deutschland liegt, wegen des vor allem im Süden geringen Fischverzehrs, weit unterhalb der Empfehlung. Findige Hersteller haben prompt reagiert. Das Angebot: Omega-3-Brot, Omega-Eier und Erfrischungsgetränke, die mit Fettsäuren angereichert sind. Aber warum von Natur aus eher fettarme Lebensmittel mit Fettsäuren anreichern? Wäre es nicht evtl. naheliegender und einfacher, regelmäßig Rapsöl zu verwenden und 1 bis 2 mal pro Woche Fisch in unseren Speiseplan einzubauen?
Functional Drinks – Erfrischungsgetränke mit Zusatznutzen
Diese Produktkategorie hat als Zielgruppe hauptsächlich kaufkräftige, aktive und erlebnishungrige Jugendliche und junge Erwachsene. Insbesondere Energy-Drinks sind als Muntermacher in Freizeit und Beruf gefragt. Sie werden wegen ihrer belebenden Wirkung getrunken. Substanzen wie Coffein und Guarana sollen das Durchhaltevermögen in langen Technonächten stärken. Andere Zutaten – wie Taurin, Glucuronolacton, Kreatin und Inosit – sind als eher harmlos einzustufen. Sie können vom Körper selbst gebildet werden und sind auch in” normalen “Lebensmitteln enthalten.
Durchaus kritisch zu betrachten: Die aufputschende Wirkung insbesondere von Coffein kann für Kinder, Jugendliche und empfindliche Erwachsene problematisch sein. Werden diese Getränke zusammen mit Alkohol getrunken, wie es in Discos oft als besonderer Mix üblich ist, kann es zu gefährlichen Fehleinschätzungen bis hin zum Kreislaufzusammenbruch kommen. Als Durstlöscher in größeren Mengen sind sie, nicht zuletzt wegen des hohen Zuckergehaltes, ungeeignet und auf Dauer viel zu teuer.
Sogenannte ACE-Getränke sind mit Vitaminen aufgepeppte Drinks mit unterschiedlichsten Fruchtsaftanteilen. Sie bestehen vorwiegend aus Mischungen von Orangen- und Karottensaft und werden mit ß-Carotin (Provitamin A) und den antioxidativ wirkenden Vitaminen C und E angereichert. Die Zusätze sind je nach Produkt relativ hoch. Dabei sind bei den Vitaminen C und E nach derzeitigem Stand keine nachteiligen Wirkungen zu erwarten, bei ß-Carotin aber nicht auszuschließen. Ungünstig ist zudem oftmals der Gehalt an zugesetztem Zucker.
Die schmackhafte Alternative: Greifen Sie zu bei Obst und Gemüse! Fünfmal täglich sollte der Genuss von Obst und Gemüse auf dem Speiseplan stehen, um die vielfältigen Wirkungen durch die verschiedenen Vitamine, Spurenelemente, sekundären Pflanzenstoffe und Ballaststoffe optimal zu nutzen.
Wellness-Drinks mit Zutaten wie Kräuterextrakt, Grünteeauszug, Fettsäuren aus Fischöl, Vitaminen und Milchsäurebakterien versprechen, das individuelle Wohlbefinden zu steigern. Ob die Zusätze tatsächlich wirken, hängt von ihrer Menge ab. Kräuterauszüge mit dem Ziel einer pharmakologischen Wirkung sind in Lebensmitteln eher fehl am Platze.
Iso- oder Sports-Drinks werden zum Ausgleich von Nährstoffverlusten nach dem Sport angeboten. Anforderungen an Durstlöscher für Sportler sind abhängig von der Belastungsintensität und -dauer. In erster Linie muss der Verlust an Flüssigkeit und erst an zweiter Stelle der Verlust an Mineralstoffen ersetzt werden. Für Freizeitsportler oder bei starker körperlicher Arbeit bieten Sportgetränke keine besonderen Vorteile. Ein preiswertes und schmackhaftes funktionelles Sportgetränke ist eine Apfelsaftschorle – Mischungsverhältnis ein Teil Saft auf drei bis fünf Teile Mineralwasser, je nach Belastung.
Functional Food in der vollwertigen Ernährung
Ob dem Verbraucher ein Produkt als herkömmliches Lebensmittel oder Functional Food nahegebracht wird, ist oftmals nur eine Sache des Marketings. Ein gutes Beispiel hierfür sind auf dem Markt befindliche ACE-Tiefkühl-Gemüsemischungen. Bei ihnen werden verschiedene Gemüse so kombiniert, dass der Vitamingehalt besonders hoch ist. Ähnlich wird bei ballaststoffreichen Gemüsemischungen vorgegangen – sie enthalten eben die eher ballaststoffreichen Gemüsesorten. Auch könnte ein einfacher Apfel auf Grund seines Pektingehaltes in der Schale als cholesterinsenkend oder eine Tomate wegen ihres roten Farbstoffes Lycopin als krebshemmend verkauft werden. Und jede Scheibe Vollkornbrot wirkt auf Grund ihres Ballaststoffgehaltes präbiotisch.
Angereicherte Lebensmittel dürfen keinesfalls zu dem Trugschluss führen, dass herkömmliche Grundnahrungsmittel nicht funktionell sind und somit ihre Gehalte an Nähr- und Wirkstoffen für eine vollwertige Ernährung nicht ausreichen. Eine rechtliche Regelung, die sicherstellt, dass Functional Food dem Verbraucher tatsächlich etwas besonderes über die übliche Nährstoffversorgung hinaus bietet, wäre dringend erforderlich.
Produkte aus der Kategorie” Functional Food “können immer nur einen Bruchteil aller lebenswichtigen Nähr- und Wirkstoffe liefern. Sie haben gegebenenfalls dann ihren Platz, wenn einzelne Lebensmittelgruppen wie z.B. Gemüse oder Milchprodukte abgelehnt werden oder auf Grund einer Nahrungsmittelunverträglichkeit gemieden werden müssen. Bei der Auswahl ist ein kritischer Blick auf die Zutatenliste und – sofern vorhanden – auf die Nährwertangaben sehr hilfreich. Denn oftmals verfolgen Anreicherungen von Produkten keinen logischen Plan und erscheinen in der Zusammensetzung und Menge rein willkürlich.
Fazit
Essen und Trinken mit Köpfchen ist gefragt, um eine abwechslungsreiche funktionelle Ernährung umzusetzen. Die drei Grundregeln lauten:
- reichlich pflanzliche Lebensmittel, also Gemüse, Obst und Getreideprodukte,
- mäßig tierische Lebensmittel wie Milchprodukte, Fleisch, Fisch und Ei,
- sparsam fettreiche Lebensmittel.
Diese Kost liefert alle notwendigen Nähr- und Wirkstoffe, ist vielfältig und schmackhaft. Die Angebote an Functional Food aus den verschiedenen Lebensmittelgruppen können je nach individueller Ernährungssituation gegebenenfalls eine sinnvolle Ergänzung sein.
Quelle
Treffpunkt Ernährung 1999 im Europäischen Patentamt München
Autorin
LHDin Dipl.oec.troph. Marita Zinnecker
Tel. 08341 9002 – 60
Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kaufbeuren
Heinzelmannstraße 14, 87600 Kaufbeuren
Tel. 08341 9002-0,
Erstellt am 7. Juni 2001, zuletzt geändert am 20. September 2011