Beikost: Die gesunde Ernährung im 1. Lebensjahr
Prof. Dr. Mathilde Kersting
Unter Beikost werden alle Lebensmittel der Säuglingsernährung, außer Muttermilch und Säuglingsmilchnahrung, verstanden. Hinsichtlich Einsatzzeiten und Zusammensetzung der Beikost gelten dieselben Empfehlungen für gestillte und mit industrieller Säuglingsmilchnahrung ernährte Säuglinge. Dies erleichtert die Ernährungsberatung erheblich.
Der Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr
Abbildung 1: Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr, entwickelt vom Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund
Altersabschnitte der Ernährung im 1. Lebensjahr
In der Ernährung im 1. Lebensjahr werden 3 Abschnitte unterschieden.
In den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten ist ausschließliche Milchernährung (Muttermilch, industrielle Säuglingsmilchnahrung) empfehlenswert. Beikostgabe vor dem 5. Lebensmonat und Vielfalt der Lebensmittel in der Beikost erhöhen das Risiko für die Entwicklung einer Allergie. Ab dem 5. bis spätestens 7. Lebensmonat kann der wachsende Energie- und Nährstoffbedarf des Säuglings mit Milch allein nicht mehr gedeckt werden. In diesem Alter erlischt der Saug- und Schluckreflex. Der Säugling kann mit Unterstützung aufrecht sitzen und seine Kopfhaltung kontrollieren, d. h. er kann vom Löffel essen.
Ab dem 5. bis 7. Monat wird mit der Einführung von Beikost begonnen. Monat für Monat wird eine Milchmahlzeit durch eine Breimahlzeit abgelöst. Nacheinander werden eingeführt: ein Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei, ein Milch-Getreide-Brei und ein Getreide-Obst-Brei. Die Reihenfolge und Zusammensetzung der Beikostmahlzeiten ist unabhängig davon, in welchem Lebensmonat mit der Beikost begonnen wird. Mit 6 bis 8 Monaten beginnt die Entwicklung von Kaubewegungen beim Säugling. Die Beikostbreie können dann in gröberer Struktur gegeben werden. Gegen Ende des 1. Lebensjahres kann das Kind selbständig Nahrung zum Munde führen und eine Tasse halten.
Gegen Ende des 1. Lebensjahres sollte der Säuglings nach und nach an leicht kaubare Familienkost gewöhnt werden. Nach dem 1. Lebensjahr bieten spezielle Säuglings- oder Kleinkindernahrungsmittel keine Vorteile mehr für das Kind.
Die Lebensmittel in den Beikostmahlzeiten
Für eine gesunde Ernährung des Säuglings werden nur wenige, nährstoffreiche Lebensmittel in gut aufeinander abgestimmten Mahlzeiten benötigt. Abbildung 2 gibt eine Übersicht über die Lebensmittel in der Beikost am Beispiel der Selbstzubereitung.
Erster Brei |
Zweiter Brei |
Dritter Brei |
Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei |
Milch-Getreide-Brei |
Getreide-Obst Brei |
Selbstzubereitung |
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90 – 100 g Gemüse 40 ̵1; 60 g Kartoffeln 30 ̵1; 35 g Obstsaft 20 ̵1; 30 g Fleisch 8 – 10 g Öl |
200 g Milch 20 g Getreideflocken 20 g Obstsaft, -püree |
20 g Getreideflocken 90 g Wasser 100 g Obst 5 g Butter |
oder industriell hergestellte Beikostmahlzeiten |
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Baby-Junior-Menü |
Milchfertigbrei |
Getreide-Obst Brei |
Gläschen |
Trockenprodukte, Gläschen |
Gläschen |
Abbildung 2: Übersicht über die Lebensmittel in den verschiedenen Mahlzeiten der Beikost
Der Beginn der Beikost mit einem fleischhaltigen Gemüse-Kartoffel-Brei dient in erster Linie der Eisenversorgung des Säuglings. Dies hat verschiedene Gründe. Die fetalen Eisenspeicher sind ab dem 5. bis spätestens 7. Lebensmonat weitgehend erschöpft. Der Eisenbedarf ist aufgrund des Wachstumsbedarfs relativ hoch. Die Bioverfügbarkeit von Hämeisen ist wesentlich höher als von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln. Zusätzlich verbessert Fleisch die Bioverfügbarkeit des pflanzlichen Eisens in einer Mahlzeit. Fleisch, vor allem Rindfleisch, liefert außerdem gut verfügbares Zink.
Als erstes Gemüse haben sich Karotten bewährt. Bei Unverträglichkeit gegenüber Karotten, über die gelegentlich berichtet wird, können andere nährstoffreiche Gemüse, z. B. Blumenkohl, Fenchel oder Brokkoli, gegeben werden.
Als Fettzusatz ist Rapsöl empfehlenswert. Rapsöl vereinigt in sich die präventivmedizinischen Vorteile von Olivenöl (hoher Gehalt an Ölsäure) und Sojaöl (ausgewogenes Verhältnis von omega-3- und omega-6-Fettsäuren) und enthält relativ wenig gesättigte Fettsäuren.
Der Milch-Getreide-Brei dient vor allem der Calciumversorgung. Gegen die geringen Mengen von Kuhvollmilch (ca. 200 ml) in diesem Brei bestehen im Rahmen des “Ernährungsplans̶1; bei gesunden Säuglingen nach Rücksprache mit dem Kinderarzt keine Bedenken. Beobachtungen von erhöhten okkulten Blutverlusten im Stuhl bei Säuglingen in den USA, die mit Kuhvollmilch anstatt Säuglingsmilchnahrung ernährt wurden, lassen sich nicht auf die Ernährungsgewohnheiten mit Milchbrei in Deutschland übertragen.
Der Milch-Getreide-Brei sollte einen Zusatz von Vitamin C in Form von Obstsaft oder -püree enthalten. Vitamin C verbessert die Bioverfügbarkeit des Eisens aus Vollkorngetreide erheblich. Besonders reich an Eisen sind Haferflocken.
Der Getreide-Obst-Brei sollte milchfrei sein. Milch vermindert die Eisenresorption aus einer Mahlzeit. Da die Versorgung des Säuglings mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren durch die anderen Mahlzeiten (Muttermilch bzw. Säuglingsmilchnahrung, Rapsöl) gewährleistet wird, kann der Fettzusatz zum Getreide-Obst-Brei zur Geschmacksverbesserung in Form von Butter gegeben werden.
Neben der Beikost und den verbleibenden Milchmahlzeiten benötigt der Säugling bei Einführung der Familienkost zur Deckung des Wasserbedarfs zusätzlich Getränke. Im Rahmen des “Ernährungsplans” liegt der Bedarf bei etwa 1 Tasse Wasser (ca. 200 ml) pro Tag. Empfehlenswert sind Leitungswasser, Mineralwasser und ungesüßter Kräuter- oder Früchtetee.
Das Baukastensystem der Nährstoffe in der Beikost
Im “Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr̶1; liefern die einzelnen Beikostmahlzeiten sowie die Milchmahlzeit je etwa ¼ des Tagesenergiebedarfs. Demgegenüber ist die Bedeutung der Mahlzeiten für die Zufuhr der verschiedenen Nährstoffe sehr unterschiedlich (Abbildung 3). So ist die Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Mahlzeit vor allem wichtig für die Versorgung mit Vitaminen, die Milch-Getreide-Mahlzeit für die Versorgung mit Mineralstoffen. Die Getreide-Obst-Mahlzeit ergänzt die Nährstoffprofile der anderen Mahlzeiten.
Abbildung 3: Anteile der einzelnen Mahlzeiten an der Tageszufuhr von Energie und Nährstoffen:
das Baukastensystem der Beikost
In der Beikost ergänzen sich die verschiedenen Mahlzeiten zu einer ausgewogenen Tagesernährung entsprechend den Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr.
Ausnahmen sind Eisen und Jod. Bei Selbstzubereitung der Beikost bleibt die Eisenzufuhr um etwa 20% unter der Empfehlung. Die Zusammenstellung der Beikostmahlzeiten im “Ernährungsplan̶1; fördert die Bioverfügbarkeit von Eisen aber erheblich.
In Bezug auf die Jodzufuhr sind Säuglinge, die nicht mit industriell hergestellter Säuglingsnahrung ernährt werden, nach wie vor benachteiligt. Bei Selbstzubereitung der Beikost erreicht die Jodzufuhr nur etwa 50% der Empfehlung. Dies beruht darauf, dass bislang kein reines, zuckerfreies, jodangereichertes Vollkorngetreide für die Selbstherstellung vollwertiger Getreide-Mahlzeiten für Säuglinge angeboten wird. Bei Verwendung jodangereicherter industriell hergestellter Beikost könnten 150 % der Empfehlung erreicht werden.
Selbstzubereitete und industriell hergestellte Beikost
Im “Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr̶1; ist selbstzubereitete oder industriell hergestellte Beikost möglich. Die Mutter sollte über die jeweiligen Vor- und Nachteile von selbstzubereiteter und industriell hergestellter Beikost unterrichtet werden. Dann kann sie nach eigener Abwägung ihre Entscheidung treffen.
Industriell hergestellte Beikost ist praktisch frei von Pestizidrückständen und bietet somit einen zusätzlichen Sicherheitsstandard gegenüber den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs. Aber auch letztere werden von der staatlichen Lebensmittelüberwachung kontrolliert. Sie sind hinreichend sicher für die Ernährung von Säuglingen.
Industriell hergestellte Beikost ist als Convenience-Produkt teurer. Selbstzubereitung erfordert erhöhten Aufwand und besondere Sorgfalt.
Bei Selbstzubereitung der Beikost hat es die Mutter in der Hand, die Auswahl der Lebensmittel in gewünschter Weise zu beschränken. Selbstzubereitete Mahlzeiten bieten eine größere Geschmacksvielfalt. Zusätze wie Salz und Zucker, die in industriell hergestellter Beikost weit verbreitet sind, werden bei Selbstzubereitung nicht benötigt.
Das Angebot industriell hergestellter Beikost umfasst derzeit etwa 540 Produkte. Etwa die Hälfte davon sind Breimahlzeiten, die im Prinzip den Mahlzeiten des “Ernährungsplans̶1; entsprechen.
Auffallend ist der niedrige Fettgehalt in den industriell hergestellten Beikostmahlzeiten. Er erreicht z.B. in fleischhaltigen und vegetarischen Menüs sowie Getreide-Obst-Breien nur etwa die Hälfte des empfohlenen Fettgehalts der Selbstzubereitung. Industriell hergestellte Menüs enthalten heute im Gegensatz zu früher etwa 20% weniger Fleisch als die Rezepte für die Selbstzubereitung.
Weit verbreitet ist die Nährstoffanreicherung in industriell hergestellter Beikost, vor allem mit Vitaminen in Milch-Getreide-Breien. Infolge der seit kurzem auch in Deutschland in Kraft getretenen EU-Richtlinie für Beikost müssen Obst-, aber auch Gemüsesäfte für Säuglinge auf einen Mindestgehalt von 25 mg Vitamin C/100 ml angereichert werden. Andererseits zeigt die DONALD-Studie, dass die Zufuhr der meisten Vitamine bei Säuglingen heute weit über den Empfehlungen liegt.
Beikost für besondere Ernährungserfordernisse
Der “Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr̶1; eignet sich grundsätzlich auch für die Ernährung von Säuglingen mit erhöhtem Atopierisiko oder mit einer Nahrungsmittelallergie. Wichtig ist die individuelle Auswahl einer geeigneten Kuhmilch(ersatz)nahrung. Andere Lebensmittel mit hohem allergenen Potential, z. B. Soja, Eigelb, Weizen oder Fisch, kommen in den Beikostmahlzeiten des “Ernährungsplans̶1; entweder nicht vor oder es lassen sich leicht ernährungsphysiologisch geeignete Alternativen finden.
Schlussfolgerungen
Mit der Beikost im “Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr̶1; wird der ernährungsphysiologische Bedarf und die neuromotorische Entwicklung des Säuglings berücksichtigt und den Müttern die Entscheidung für Selbstzubereitung oder industriell hergestellte Produkte freigestellt.
Das Wichtigste für die Praxis
- Für alle Säuglinge sollte mit der Beikost ab dem 5. bis 7. Lebensmonat begonnen werden.
- Für die Beikost sind nur wenige nährstoffreiche Lebensmittel in aufeinander abgestimmten Mahlzeiten erforderlich.
- Beikost kann in Form selbstzubereiteter oder industriell hergestellter Mahlzeiten gegeben werden.
- Auch besondere Ernährungserfordernisse lassen sich mit den allgemeinen Beikostempfehlungen berücksichtigen.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Forschungsinstituts für Kinderernährung Dortmund
Quelle
Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund
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Prof. Dr. Mathilde Kersting
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Erstellt am 1. Oktober 2001, zuletzt geändert am 19. Februar 2010