Rheuma bei Kindern und Jugendlichen
Claudia Grave
Rheuma wird in erster Linie mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. Doch Rheuma kennt keine Altersgrenzen: Schon Säuglinge und Kleinkinder können an Rheuma erkranken und über Jahre in ihrer körperlichen sowie in ihrer psychischen Entwicklung eingeschränkt werden.
Die Diagnose kommt fast immer völlig überraschend. Über Nacht scheinen Träume und Pläne zu zerplatzen, und Aufgaben und Rollen müssen neu verteilt werden. Eltern, Kinder und Geschwister erfahren dadurch Veränderungen und Belastungen, die sie gemeinsam tragen und bewältigen müssen. Besonders zu Beginn beherrschen die Krankheit, Ängste, Zweifel und Selbstvorwürfe den Familienalltag, und es ist nicht immer einfach, die über einen langen Zeitraum notwendigen Therapien durchzuführen.
Aber im Laufe der Zeit wird sich ein selbstsicherer Umgang mit der Krankheit sowohl bei den Kindern als auch bei den Angehörigen und im Umfeld entwickeln. Viele Familien entfalten ungeahnte Kräfte und reifen an den Aufgaben. Nutzen Sie die Möglichkeiten einer spezialisierten kinderrheumatologischen Behandlung und den Erfahrungsaustausch mit anderen Familien. So werden auch Sie Ihren Weg finden, die Krankheit in den Alltag zu integrieren.
Rheuma bei Kindern – was ist das?
Über die Ursache von Rheuma bei Kindern weiß man trotz intensiver Forschungen noch wenig. Man vermutet eine ererbte Bereitschaft (Veranlagung), auf verschiedene Umweltfaktoren, wie Bakterien, Viren, Impfungen oder Verletzungen, mit einer Gelenk- oder Organentzündung zu reagieren. Manchmal können auch seelische Belastungen die rheumatische Erkrankung auslösen. Beim kindlichen Rheuma werden körpereigene Substanzen von Zellen des Immunsystems angegriffen. Die körpereigene Abwehr richtet sich nicht wie bei Infektionen gegen körperfremde Stoffe, sondern gegen körpereigenes Gewebe, und es kommt in der Folge zu Entzündungen.
Im Kindesalter beginnt Rheuma manchmal scheinbar ganz harmlos: Das Knie schwillt an, plötzliches Fieber, schmerzende Gelenke. Am häufigsten sind Gelenkentzündungen nach Infektionen. Sie sind in der Regel gut therapierbar und klingen meist folgenlos nach Tagen oder Wochen wieder ab. Aber es gibt auch schwerer verlaufende Erkrankungen, die nicht immer leicht davon abzugrenzen sind.
Darauf sollten Sie als Eltern achten:
- Sind die Gelenke des Kindes am Morgen steif?
- Hinkt das Kind, weil es ein Bein nicht belasten will?
- Klagt es über Schmerzen, auch nach dem Aufstehen ?
- Sind ein oder mehrere Gelenke geschwollen oder überwärmt?
- Will das Kleinkind plötzlich wieder getragen werden, obwohl es schon laufen kann?
- Hat sich das Greif- oder Stützbild verändert?
- Möchte das Kind nur noch weiche Nahrung essen? (Hinweis auf Kiefergelenkbeteiligung)
Gelenkbeschwerden von Kindern sollten immer ernst genommen und durch spezialisierte Ärzte abgeklärt werden. Das Ausmaß der Gelenkerkrankung kann heute durch effektive diagnostische Verfahren, wie z. B. Ultraschall und Kernspintomographie, früh erkannt werden. Laborbefunde ergänzen oder bestätigen manchmal die klinischen Befunde; allerdings gibt es keinen spezifischen Laborwert für Rheuma bei Kindern und Jugendlichen. Insbesondere der bei rheumakranken Erwachsenen zu findende »Rheumafaktor« tritt lediglich bei etwa 3 – 5% der kindlichen Patienten in Erscheinung. Um eine aussagekräftige Diagnose stellen zu können, müssen daher bei Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung im Kindesalter alle Befunde wie ein Puzzlespiel zusammengefügt werden.
Welche Formen der Gelenkentzündung (Arthritis) gibt es?
1. Reaktive Arthritiden: In den meisten Fällen tritt eine rheumatische Gelenkentzündung (Arthritis) akut auf. Man nennt sie postinfektiöse oder reaktive Arthritis. Sie entsteht nach Infektionen mit Bakterien oder Viren.
Borrelien oder Lyme Arthritis: Eine besondere Form der reaktiven Arthritiden stellt die Borrelien Arthritis dar. Borrelien sind durch Zeckenstiche übertragene Bakterien. Im Blut und in der Gelenkflüssigkeit der betroffenen Kinder lassen sich verschiedene Abwehrstoffe (Antikörper) gegen Borrelien nachweisen. Dieser Nachweis ist deshalb wichtig, weil die Borrelien Arthritis mit Antibiotika wirksam behandelt werden kann.
Reaktive Arthritiden können Tage, Wochen oder Monate dauern. Eine sichere Trennung reaktiver bzw. chronischer Formen gelingt allerdings oft nur im Langzeitverlauf. Im Gegensatz zu chronischen Arthritiden hinterlassen reaktive Arthritiden keine Gelenkschäden.
2. Chronische Arthritiden: Die häufigste chronisch rheumatische Erkrankung im Kindesalter (Dauer länger als 3 Monate) ist die Juvenile chronische Arthritis (JCA), die auch als Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) bezeichnet wird (juvenil = kindlich, jugendlich; idiopathisch = unbekannter Ursache, Arthritis = Gelenkentzündung).
Aufgrund von Alter und Geschlecht, Anzahl und Muster der erkrankten Gelenke, Mitbeteiligung der Augen und inneren Organe sowie Fieber können verschiedene Formen der JIA unterschieden werden:
JIA, oligoarthritisch: Die Oligoarthritis beginnt im Kleinkindalter und bevorzugt bei Mädchen. Dabei sind nur wenige Gelenke betroffen (1-4 Gelenke). Die Gelenkentzündung tritt asymmetrisch auf, d.h., nicht immer sind beide Körperhälften gleichermaßen betroffen. Kleinkinder mit einer Oligoarthritis haben ein sehr hohes Risiko, an einer Entzündung der Augen zu erkranken, der so genannten Iridozyklitis oder Uveitis (Regenbogenhautentzündung). Diese Entzündung verläuft schleichend und mit keinerlei Symptomen (keine Schmerzen, keine Rötung). Unerkannt führt die Iridozyklitis zu einer bleibenden Minderung der Sehfähigkeit. Daher ist es außerordentlich wichtig, dass die Augen engmaschig von einem erfahrenen Augenarzt untersucht werden.
JIA, polyarthritisch: Die Polyarthritis kann in jedem Alter auftreten. Sie beginnt meistens schleichend; eindrucksvolle Gelenkschwellungen fehlen oft. Befallen sind mehr als vier große und kleine Gelenke, überwiegend symmetrisch, d.h., beide Körperhälften sind gleichmäßig betroffen. Auch die Kiefergelenke und die Halswirbelsäule können in Mitleidenschaft gezogen sein.
Enthesitis assoziierte JIA (Spondarthritis): An dieser Form der JIA erkranken bevorzugt Jungen im Schulalter (älter als 8 Jahre). Betroffen sind die großen Gelenke der unteren Extremitäten wie Sprunggelenke, Knie- und Hüftgelenke in asymmetrischer Form. Fast immer bestehen hartnäckige Sehnenansatzentzündungen, insbesondere an den Achillessehnen, was zu starken Fersenschmerzen führt. Es besteht ebenfalls das Risiko einer Augenentzündung, allerdings zeigen sich hier – im Gegensatz zur frühkindlichen Oligoarthritis – deutliche Entzündungszeichen wie Schmerzen und Rötung.
JIA, systemisch: Bei der systemischen JIA kann der ganze Körper, auch innere Organe wie z.B. Herz, Milz oder Leber, in Mitleidenschaft gezogen werden. Die systemische JIA beginnt meist schon im Kleinkindalter. Mädchen und Jungen sind gleich häufig betroffen. Typischerweise zeigt sich hohes Fieber, das über mehrere Wochen vor allem morgens und nachmittags immer wiederkehrt und auf die Behandlung mit Antibiotika nicht anspricht. Teilweise sieht man einen flüchtigen Hautausschlag, besonders während der Fieberphasen. Muskel- und Gelenkschmerzen stehen zunächst im Vordergrund, ohne dass Gelenkschwellungen zu sehen sind. Nach und nach entwickelt sich daraus die Arthritis, die oligo- oder polyarthritisch verlaufen kann.
Psoriasisarthritis: Die Psoriasis ist eine chronische schuppende Hauterkrankung, die familiär gehäuft auftritt. Manchmal kann es zusätzlich zu einer Gelenkentzündung kommen. Entzündungen der Sehnen, Sehnenscheiden und Knochenhaut zwischen den Gelenken führen zu einer prallen Schwellung des gesamten Fingers, dem so genannten “Wurstfinger” (Daktylitis). Entsprechendes findet man an den Zehen.
Hauterscheinungen fehlen zu Beginn meistens. Lediglich an den Finger- und Fußnägeln findet man manchmal so genannte Tüpfel (kleine punktförmige Einsenkungen). Die Psoriasisarthritis kann in allen Verlaufsformen der JIA auftreten.
Welche Behandlungsmöglichkeiten kindlichen Rheumas gibt es?
Wichtig ist, Entzündungen frühzeitig und effektiv zu behandeln. Die eingesetzten Medikamente sollen den Entzündungsprozess stoppen oder zumindest eindämmen, um die Zerstörung der Gelenke aufzuhalten bzw. zu verlangsamen. Eine frühzeitige, konsequente Therapie mit medikamentösen und physikalischen Maßnahmen (tägliche Krankengymnastik, Ergotherapie, Kältebehandlung der Gelenke, Bewegungsbad) kann zu einem vollständigen Rückgang der Gelenkentzündungen und der Bewegungseinschränkungen führen. Die Therapie ist aber meist über einen langen Zeitraum erforderlich. Daher sollten die Eltern intensiv in die Behandlung einbezogen werden.
Entscheidend für ein positives Langzeitergebnis ist die Behandlung rheumakranker Kinder und Jugendlicher durch einen kinderrheumatologisch erfahrenen Pädiater in einem kinderrheumatologischen Zentrum oder einer spezialisierten Ambulanz sowie eine gute Zusammenarbeit mit dem Kinder- oder Hausarzt und weiteren wohnortnahen Spezialisten (Augenarzt, Orthopäde, Kieferorthopäde).
Leben mit Rheuma – Auswirkungen auf den Alltag
Trotz medizinischer Erfolge bedeutet eine chronische Erkrankung auch immer eine psychische Belastung für die Familie, denn
- der Verlauf der Erkrankung ist nicht vorhersagbar.
- die eingeschränkte Mobilität kann zum Verlust von Freunden führen.
- die verschiedenen Therapiemaßnahmen sind zeitaufwendig und bestimmen den Tagesablauf.
- es bestehen Ängste vor einer Reaktivierung der Erkrankung, den Nebenwirkungen der Medikamente und vor dauerhafter Behinderung.
- die wiederholten Krankenhausaufenthalte führen zur Trennung.
- durch eine erhöhte Zuwendung und Durchsetzung der Therapien sind hohe Anforderungen an das Erziehungsverhalten gestellt.
- Geschwisterkinder rücken oftmals in den Hintergrund.
- durch Zeitmangel und unterschiedliche Krankheitsbewältigung können Partnerschaftsprobleme entstehen.
Um solchen psychischen Überlastungen entgegen zu treten, sollte eine psychologische Mitbetreuung in die Gesamttherapie einbezogen sein und sich im Umfang an den Bedürfnissen der einzelnen Familie orientieren.
Wie kann ich mein Kind unterstützen?
Kindergarten
Rheumatische Erkrankungen beginnen sehr häufig bereits im Kleinkindalter. Im Kindergarten werden die ersten Kontakte zu gleichaltrigen gesunden Kindern hergestellt. Es ist daher wichtig, dass Eltern und Erzieher/innen gemeinsam Möglichkeiten finden, das rheumakranke Kind in den Kindergartenalltag einzubeziehen. Meist müssen nur wenige Dinge bedacht werden wie wärmere Kleidung, damit das Kind nicht auskühlt, besondere Aufmerksamkeit beim Auftreten von ansteckenden Krankheiten (eine Ansteckung könnte einen Rheumaschub auslösen) oder die Mitnahme einer Karre oder eines Bollerwagens bei Ausflügen.
Schule
Der Besuch der Schule bedeutet für viele rheumakranke Kinder eine Normalisierung des Alltags. Allerdings sollten Schulleitung, Lehrer/innen und Mitschüler/innen über die Krankheit informiert sein, um so Unverständnis vorzubeugen. Verstanden und akzeptiert zu werden erleichtert den betroffenen Kindern den Umgang mit der Krankheit und trägt dazu bei, das Kind in die Klassengemeinschaft zu integrieren.
Berufsausbildung
Das Erwachsenwerden stellt für jugendliche Rheumakranke eine besondere Herausforderung dar. Jugendliche müssen sich zum einen dem Prozess der Ablösung vom Elternhaus und zum anderen der Integration in die Gesellschaft stellen.
Die chronische Erkrankung bzw. Behinderung erschwert den Einstieg in das Berufsleben, da Verlauf und Dauer der Erkrankung in der Regel nicht vorhersehbar sind. Bei der Wahl des Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatzes spielen neben Wünschen und Neigungen auch Faktoren wie die gesundheitliche Belastung, Arbeitsumfang und Ausstattung des Arbeitsplatzes eine Rolle. Darüber hinaus erschwert die zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt die Suche nach einer adäquaten Stelle. Zudem wissen Berufsberater/innen, Arbeitsvermittler/innen sowie Arbeitgeber/innen oftmals zu wenig über rheumatische Erkrankungen.
Sozialrechtliche Fragen
Mit einer chronischen Erkrankung sind auch eine Reihe finanzieller Belastungen verbunden. Im Mittelpunkt sozialrechtlicher Fragen stehen Informationen über Hilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz und Schwerbehindertenrecht, Anerkennung von Pflegebedürftigkeit, Heilbehandlungen, Kuren und Hilfsmittelversorgung sowie die berufliche Eingliederung.
Die Mitarbeiter/innen der zuständigen Institutionen wie Kranken- und Pflegekassen, Sozial- oder Versorgungsämter sind nicht immer mit den Problemen kindlich rheumatischer Erkrankungen vertraut. Eltern müssen hier oftmals viel Geduld mitbringen, um berechtigte Anliegen durchzusetzen. Lassen Sie sich nicht verunsichern, ziehen Sie sich nicht zurück. Suchen Sie Hilfe bei den Sozialdiensten der Spezialklinik oder den Selbsthilfegruppen der Deutschen Rheuma-Liga.
Wo Eltern Hilfe finden können – das Angebot der Deutschen Rheuma-Liga e.V.
Bundesweit engagieren sich Eltern ehrenamtlich in so genannten Elternkreisen in der Deutschen Rheuma-Liga e.V. durch
- die Weitergabe von Informationsmaterial,
- Treffen zum Erfahrungsaustausch,
- die individuelle persönliche Beratung,
- Hilfestellung bei schwierigen Situationen (Behörden, Schule, Kindergarten usw.),
- Hilfestellung bei seelischen Belastungen,
- Informationsveranstaltungen und Tagesseminare, zu denen Fachleute als Referenten eingeladen werden,
- Familienwochenenden sowie
- Eltern- und Patientenschulungen.
Darüber hinaus bietet das “Rheumafoon Eltern rheumakranker Kinder” betroffenen Eltern die Möglichkeit, sich telefonisch kompetent und individuell beraten zu lassen. Bundesweit stehen drei Ansprechpartnerinnen zur Verfügung.
Die Deutsche Rheuma-Liga, Bundesverband bietet auf ihrer Website umfangreiches Informationsmaterial zum downloaden an.
Im Forum der Deutschen Rheuma-Liga können betroffenen Eltern sich mit anderen Eltern austauschen.
Zudem halten die Landes- und Mitgliedsverbände der Deutschen Rheuma-Liga eine Fülle von Informationsmaterial zum Versand bereit und bieten u.a. Beratung und Hilfe rund um das Thema Rheuma bei Kindern und Jugendlichen.
Versorgungslandkarte (Arztsuche )
Kontaktadresse
Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V.
Maximilianstr. 14
53111 Bonn
Tel.: 0228/766060
Ansprechpartherin, Verantwortliche für Eltern- und Jugendarbeit: Monika Mayer
Literatur
- Bundesverband zur Förderung und Unterstützung rheumatologisch erkrankter Kinder und deren Familien e.V.: Kinderrheuma (er)leben (2011). Für 3,00 Euro (zzgl. Versandkosten) zu beziehen unter Kinderrheuma.
- Deutsche Rheuma-Liga: Unser Kind hat Rheuma und vieles mehr
- Wahn, Volker (Hrsg.) (2001): Rheumatische Erkrankungen im Kindesalter. München.
- www.rheuma-liga.de/hilfe-bei-rheuma/krankheitsbilder/eltern/broschueren-und-info-materialien/
Autorin
Claudia Grave
Ehemalige Bundeselternsprecherin (1998-2008)
Deutsche Rheuma-Liga, Bundesverband e.V.
Elbchaussee 184a
22605 Hamburg
Tel./Fax. 040 480 78 60
Co-Autoren
Susanne Walia
Dr. med. Rolf-Michael Küster
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin/-rheumatologie
Kinder- und Jugendrheumatologische Praxis Hamburg und Wedel
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Str. 1
22763 Hamburg
Tel.: 01577 8270195
Erstellt am 26. Mai 2003, zuletzt geändert am 27. Januar 2014