Digitale Medien und Inklusion – vielversprechende Möglichkeiten für den Unterricht

Dr. Lea Schulz
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In vielen Bundesländern stehen sie ganz oben auf der Agenda: die Umsetzung der Inklusion und die Digitalisierung der Schulen. Doch gemeinsam gedacht werden diese beiden wichtigen Revolutionen des Schulsystems nur selten. Dabei läge es auf der Hand, beim Vorantreiben dieser beiden Aspekte Schnittstellen zu identifizieren. Auf mehreren Ebenen lässt sich der Bildungsprozess in Bezug auf die inklusive Schule durch den Einsatz digitaler Medien verbessern.

Die Vorteile und Chancen des Einsatzes digitaler Medien liegen auf der Hand

  • Unterstützung zum Lösen von Aufgaben
  • direktes Feedback
  • Merkhilfen und Möglichkeit der häufigen Wiederholung
  • unterstützte Kommunikation
  • Unterstützung des inhaltlichen Lernens
  • ermöglicht Lernen auf mehreren Ebenen (Bsp. Video vom Löwen in freier Wildbahn)
  • Motivation zum Lernen, Erreichen, Schaffen
  • Teilnahme am Unterricht möglich machen (z.B. kranke Schüler)
  • Chancen der Vernetzung untereinander
  • Schulung der Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler
  • u.v.m.
Digitales Lernen Ebenen Schulz
Ebenen digitalen Lernens in der inklusiven Schule (Schulz)

 

Digitale Medien sind nicht nur ein Ersatz herkömmlicher schulischer Methoden oder eine weitere mögliche Ergänzung. Sie eröffnen auch ganz neue Möglichkeiten. Dies möchte ich anhand des klassischen Unterrichtsprinzips (EIS = enaktiv, ikonisch, symbolisch) erläutern. Nach Bruner (1974) sollte jeder Lernstoff in drei Stufen dargestellt werden:

  • enaktiv (Handlungsebene): bspw. die aktive Beobachtung von Vögeln in der Natur
  • ikonisch (Bildebene): bspw. die Betrachtung von verschiedenen Vogelarten auf Bildern
  • symbolisch (Formalebene): bspw. ein Gespräch über das Nistverhalten von Vögeln

Diese drei Ebenen lassen sich bei der Nutzung digitaler Möglichkeiten durch eine weitere Ebene ergänzen, die sich zwischen der enaktiven und der ikonischen Ebene befindet: die Darstellung anhand eines Films von Vögeln auf Futtersuche oder anhand eines 3D-Modells zum Körperbau der Vögel, anhand dessen die Schülerinnen und Schüler Körperteile benennen können und sich durch die Ebenen klicken können usw. Dies bietet eine völlig neue Zugangsweise, die Kinder Dinge beobachten lässt, die sie ggf. in der Handlungsebene nicht erreichen können (z.B. den Löwen in freier Wildbahn).

Im Folgenden möchte ich euch Apps, Software und Praxisbeispiele vorstellen, die nur einen sehr kleinen Ausschnitt dessen darstellen, was sich in Bezug auf digitale Medien und Inklusion in der Schule zum Vorteil aller Beteiligten umsetzen lässt. Pro Ebene werden nur ein bis zwei Ideen geäußert, um den vorliegenden Rahmen nicht zu sprengen, die Möglichkeiten sind jedoch endlos – je nach Schwierigkeit oder Beeinträchtigung des jeweiligen Lernenden.

Hierbei geht es ausdrücklich nicht ausschließlich um die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf, sondern gleichfalls um alle Schülerinnen und Schüler, die in bestimmten Lernphasen oder Lebensabschnitten einer gewissen Unterstützung bedürfen. Jeder bekommt die Hilfe, die für sein Lernen auf der Stufe der nächsten Entwicklung von Nöten ist. Ein weiterer kleiner Schritt in Richtung einer inklusiven Schule.

Lernen durch Medien: Assistive Unterstützung

Beim Lernen durch Medien bieten die digitale Medien eine Möglichkeit der assistiven Unterstützung, d. h. sie assistieren dem Lernenden, um am Unterrichtsprozess überhaupt oder verbessert teilnehmen zu können. Klassisches und bekanntes Beispiel ist die Braille-Zeile als Ersatz der Computertastatur zum Schreiben am Computer für blinde Menschen oder die Nutzung einer FM-Anlage zur Unterstützung von Kindern mit einer Hörstörung bzw. einer Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) als Möglichkeit des Filterns der Lehrerstimme aus der allgemeinen Geräuschkulisse des Klassenraums.

Doch auch Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen des Lernens können durch digitale Medien assistiv unterstützt werden. Eine Möglichkeit ist hierfür die App „ClaroScanPen“, die Lernende unterstützt, die Schwierigkeiten im Lesen haben. Hierfür wird das Tablet über einen zu erlesenden Text gehalten. Die App liest dem Kind dann diesen Text vor. Natürlich würden Kritiker nun äußern, dass diese Schülerinnen und Schüler durch diese Hilfe dann das Lesen nie lernen werden.

Diese Befürchtung ist absolut richtig! Die Leseförderung muss parallel weiter vorangetrieben werden und die Schülerinnen und Schüler sollten in keinem Fall vor jeglichem Lesen verschont werden. Jedoch verschafft sie den Kindern die Möglichkeit in Fächern, in denen das Lesen nicht zwangsläufig im Mittelpunkt steht, sich dennoch die Lerninhalte bspw. im Physikunterricht selbstständig erarbeiten zu können. Das ist ein enormer Vorteil und führt zu einem positiven Selbstwertgefühl und einem Selbstwirksamkeitsempfinden auf Seiten des Lernenden.

Lernen mit Medien: Zur Individualisierung des Lernens

Digitale Medien können zu einer größeren Individualisierung des Lernprozesses beitragen. Die heutigen Apps und Lernplattformen bieten eine große Auswahl an Inhalten, die jeweils für den einzelnen Lernenden individuell ausgewählt werden können. Einige Lernprogramme bieten bereits ein adaptives Lernmodell, das die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler auswertet und auf dieser Grundlage neue Lerninhalte anbietet (z.B. die Plattform bettermarks.com für den Mathematikunterricht). Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, einigen Schülerinnen und Schülern eine zusätzliche digitale Hilfe zur Verfügung zu stellen, mit der sie ihre Lernergebnisse überprüfen können oder sich Lerninhalte eigenständig erarbeiten lernen.

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Zebra App Schreibtabelle - Screenshot

Ein Beispiel hierfür ist die App „Zebra Schreibtabelle“, die während des Schreibprozesses parallel als Hilfestellung genutzt werden kann. In dieser App können die Schülerinnen und Schüler sich in einer Tabelle die einzelnen Laute/Buchstaben nochmals anhören und sehen. Sie können in ein Textfeld auch Wörter oder kurze Sätze hineinschreiben und sich ihre eigene Produktion nochmals anhören und ggf. verbessern. Freies Schreiben kann somit mit Unterstützung dieser App initiiert werden und unsichere Schreiber können dennoch eigenständig ihre Wörter und Sätze in ihre Hefte schreiben und ggf. über die App auch überprüfen. Die App ist auch offline zu verwenden, nur das Vorlesen der selbstgeschriebenen Produktionen ist ausschließlich online möglich.

Lernen mit Medien: Als Werkzeug

Digitale Medien lassen sich zudem als Werkzeuge zur Präsentation, zur Textproduktion, zur Sicherung von Ergebnissen u.v.m. im Klassenunterricht einsetzen. Ein Beispiel zur Präsentation von Gruppenergebnissen ist bspw. die App „AdobeSparkVideo“. Mit dieser App lassen sich „kinderleicht“ kleine Erklärvideos von den Schülerinnen und Schülern eigenständig zusammenstellen. Unabhängig von den Lese- und Schreibkenntnissen der Lernenden können hier kurze Videos aufgenommen werden oder in Stichworten erklärt werden, was sie bspw. bei der Durchführung eines Versuchs im Sachunterricht herausgefunden haben.

Hierfür können Ergebnisse auch als Audio-File hinterlegt werden, sodass nicht zwingend etwas aufgeschrieben werden muss. Die App hinterlegt die einzelnen Folien automatisch mit leiser Musik und gestaltet die Folienübergänge, sodass die Präsentation des Videos professionell wirkt.

Lehren mit Medien: Zur Unterstützung der Lehrkräfte

Ebenfalls können verschiedene Programme und Apps die Lehrkraft in der verbesserten Umsetzung der Inklusion unterstützen. Heute ist es über Computerprogramme viel schneller und einfacher möglich, das Unterrichtsangebot für den einzelnen Lerner zu individualisieren oder für bestimmte Lerngruppen zu differenzieren. Ein Beispiel dafür ist die Software „Worksheet Crafter“. Mit diesem Computerprogramm können Lehrkräfte für den Grundschulbereich im Handumdrehen Arbeitsbögen für Mathematik, Sachunterricht, Deutsch und weitere Fächer selbst entwerfen.

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Worksheetcrafter (Schulz)

Für Arbeitsbögen im Bereich Mathematik lassen sich bspw. Übungsaufgaben eintragen, die dann über einen Zufallsgenerator mit Werten belegt werden (z.B. Zahlen im Zahlenraum bis 10), sodass die Lehrkraft sich nicht mehr jede Aufgabe selbst ausdenken muss. So ist es möglich, bspw. Aufgaben aus anderen Zahlenräumen in kürzerer Zeit zu erstellen und damit ein Differenzierungsspektrum zu schaffen, ohne dafür einen überhöhten Arbeitsaufwand zu haben. Die Aufgaben können ebenfalls auf das Tablet übertragen werden und von den SuS digital gelöst werden.

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Auswertung aus der App Richtig rechnen

Auch die Diagnostik der Lernprozesse wird schneller und umfangreicher möglich, da diese nicht immer zwingend die Präsenz der Lehrkraft erfordert. Dies bietet die Chance einer lernprozessbegleitenden Diagnostik, um die Lerninhalte kurzfristig auf den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler anzupassen und somit eine bessere Passung des Anforderungsniveaus zu erreichen. Viele Apps oder Lernprogramme haben zudem die Möglichkeit, auf eine Auswertung zurückzugreifen. So auch die Apps „Richtig rechnen 1“ und „Richtig rechnen 2“ (erscheint in Kürze). Die Schülerinnen und Schüler lösen die Aufgaben. Die Lehrkräfte (und auch die Eltern) können sich eine Auswertung zuschicken lassen, sodass es anhand dieser Kurzdiagnostik möglich ist, das Lernangebot der nächsten Stunde auf die Fähigkeiten des Lernenden anzupassen und bspw. spezifische Inhalte nochmals anhand von Material zu erklären.

Lernen über Medien: Zum Einsatz digitaler Medien im Alltag

Zu guter Letzt ist ein bedeutender Auftrag der Schule, die Schülerinnen und Schüler auf den Einsatz von digitalen Medien im Alltag vorzubereiten. Dies scheint erstaunlich, da doch eindeutig ein Missverhältnis der Mediennutzung, und -fähigkeiten von Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler vorliegt. Doch der sinnvolle Einsatz von digitalen Medien sowie die Erarbeitung von Medienkompetenz, inklusive dem Schutz vor möglichen Gefahren, tragen zu einer erhöhten Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler bei und damit auch zu einer erhöhten gesellschaftlichen Teilhabe. Im Sinne der Inklusion ist es unsere Aufgabe als Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler auch digital auf ihr Berufs- und Privatleben vorzubereiten, um aus ihnen kompetente Nutzer digitaler Medien zu machen.

Fazit: Digitale Medien und Inklusion

Digitale Medien und Inklusion MÜSSEN in der Umsetzung innerhalb der Schule zwingend gemeinsam gedacht werden. Die Chancen im Einsatz bieten uns eine Möglichkeit, die inklusive Schullandschaft im positiven Sinne für alle Beteiligten zu gestalten. Wir Lehrerinnen und Lehrer müssen nur noch lernen, die Medien für eine effiziente Unterrichtsvorbereitung, für die Implementierung von Medienkompetenz, zur Optimierung des Unterrichts und für eine unterrichtsimmanente Diagnostik zu verwenden. Ich werde für eine inklusive Schule kämpfen – auch digital.

Autorin

Dr. Lea Schulz

Berufliche Tätigkeit: Studienleiterin Sonderpädagogik Privat: Ich bin gerne mit meinen drei Kindern, meinem Mann und unserem Hund in der Natur unterwegs: Zelten, Kanu fahren, schwimmen, wandern… Außerdem lerne ich gerne Sprachen und gebe Geflüchteten Deutschunterricht. Parallel dazu bin ich auf Kommunalebene politisch im Bildungsbereich aktiv. 

Mit freundlicher Genehmigung des Ernst Klett Verlags GmbH, Stuttgart/Leipzig, 2018

eingestellt am 06. Juli 2018