Schulbegleitung

Individuelle Hilfe und Unterstützung beim Schulbesuch – Ein Beitrag zur Inklusion!?

Dr. Wolfgang Dworschak
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Kinder und Jugendliche mit Behinderungen können ggf. eine Schulbegleitung beantragen, die sie beim Schulbesuch unterstützt. Für viele Kinder mit so genanntem sonderpädagogischen Förderbedarf ermöglicht erst die Schulbegleitung den Besuch einer allgemeinen Schule und somit einen Schritt in Richtung Inklusion. Die Schulbegleitung ist dabei eine Maßnahme der Eingliederungshilfe bzw. der Kinder- und Jugendhilfe und ergänzt die sachlichen und personellen Ressourcen der Schule. Dieses parallele Nebeneinander – lässt neben den Stärken der Maßnahme – auch kritische Aspekte deutlich werden.

Mittlerweile herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die gemeinsame Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderungen den Einsatz von Assistenzpersonal notwendig macht, das die Lehrkräfte bei dieser herausfordernden Aufgabe unterstützt. In Deutschland sind dies bisher v.a. die so genannten Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter, die auf der Grundlage der Eingliederungshilfe (Sozialgesetzbuch (SGB) XII) bzw. der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) beantragt werden können. Neben der Bezeichnung Schulbegleitung finden sich auch die Begriffe Integrationshilfe, Schulassistenz oder Individualbegleitung.

Wo werden Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter eingesetzt?

Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter werden häufig als Unterstützung beim Besuch der allgemeinen Schule eingesetzt. So erhalten z. B. nahezu alle Kinder mit geistiger Behinderung eine Schulbegleitung, wenn sie die allgemeine Schule besuchen möchten. Schulbegleitungen werden aber nicht nur zur Unterstützung der Inklusion eingesetzt. In manchen Bundesländern, wie z.B. in Bayern, unterstützt ein beträchtlicher Teil der Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der Förderschule.

Wo werden Schulbegleitungen beantragt?

Bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger und/ oder körperlicher Behinderung (Förderschwerpunkte geistige Entwicklung, körperlich und motorische Entwicklung, Hören, Sehen) wird die Schulbegleitung auf Grundlage von § 54 SGB XII finanziert. Die Leistung der Eingliederungshilfe wird dementsprechend beim örtlichen oder überörtlichen Sozialhilfeträger beantragt. Bei Kindern und Jugendlichen mit seelischer Behinderung (Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Autismus-Spektrum-Störung) bezieht sich die Maßnahme auf § 35 SGB VIII. Die Leistung der Kinder- und Jugendhilfe wird dementsprechend bei den örtlichen Sozialhilfeträgern, den Städten oder Landkreisen beantragt

Wann bekommt ein Kind eine Schulbegleitung?

Allgemein kann man sagen, dass ein Kind eine Schulbegleitung dann erhält, wenn die Schule dem besonderen Betreuungsbedarf des Kindes im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht mehr gerecht werden kann. Dieser besondere Betreuungsbedarf begründet dann den Eingliederungshilfebedarf. In der so genannten Eingliederungshilfeverordnung (EinglHVO), in § 12, wird dazu genauer ausgeführt, dass die Maßnahme erforderlich und geeignet sein muss, um der Schülerin bzw. dem Schüler den Schulbesuch zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dabei wird die Einschätzung, ob die Maßnahme erforderlich bzw. geeignet ist, jeweils im Einzelfall entschieden.

Welche Aufgaben erfüllt eine Schulbegleitung?

Welche Aufgaben eine Schulbegleitung ganz konkret zu erfüllen hat, lässt sich nur mit Blick auf den individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf des Kindes beantworten. Dabei können die Aufgaben ganz unterschiedlich ausfallen. So kann man sich unschwer vorstellen, dass ein Kind mit körperlicher Behinderung, das sich auf dem Weg zum Abitur befindet eine andere Hilfestellung benötigt als ein Kind mit geistiger Behinderung und hohem Pflegebedarf oder ein Kind mit Verhaltensstörungen.

Unabhängig vom individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf des einzelnen Kindes wird derzeit intensiv darüber diskutiert, für welche Aufgabenfelder Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter zuständig sein sollen. Da die Schulbegleitung rechtlich nicht zum Schulbereich zählt, erscheint es offensichtlich, dass die Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter keine pädagogisch-unterrichtlichen Aufgaben im engeren Sinne übernehmen dürfen bzw. sollen. Von den Kultusministerien und den Kostenträgern wird häufig darauf hingewiesen, dass die Schulbegleitung keine Zweitlehrkraft, Nachhilfelehrkraft, Hausaufgabenbetreuung oder Assistenz der Lehrkraft bei der Vermittlung der Unterrichtsinhalte ist. Stattdessen darf bzw. soll sie ggf. lebenspraktische Hilfestellungen und einfache pflegerische Tätigkeiten übernehmen. Darüber hinaus werden Hilfe zur Mobilität, Unterstützung bei Kommunikation sowie beim Umgang mit Aggressionen, Stärkung des Sozialverhaltens oder Teilnahmefähigkeit am Unterricht genannt. Mit Blick auf Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen wird zudem disziplinierendes Einwirken aufgeführt.

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Schulbegleitungen in der Regel nicht nur in den „erlaubten“ Tätigkeitsfeldern aktiv werden, sondern darüber hinaus auch häufig in pädagogisch-unterrichtlichen Zusammenhängen. So helfen sie häufig bei der Umsetzung von Übungssequenzen oder leiten und beaufsichtigen Kleingruppen. Darüber hinaus ist häufig zu beobachten, dass sie Lernangebote je nach Unterstützungsbedarf der Schülerinnen und Schüler mit Behinderung reduzieren oder erweitern. Da in vielen Fällen eine genaue Abgrenzung zwischen „erlaubter“ alltagspraktisch-pflegerischer Tätigkeit und „unerlaubter“ pädagogisch-unterrichtlicher Tätigkeit in der Praxis nicht möglich ist und sich die beiden Tätigkeitsbereiche vermischen (so zum Beispiel beim disziplinierenden Einwirken oder beim Lob) muss zusammenfassend festgestellt werden, dass die formale Abgrenzung, die die Kultusministerien und Kostenträger vornehmen, in der Praxis nicht standhält. Wenngleich die Notwendigkeit einer Abgrenzung aus formaler Sicht offensichtlich ist, entspricht sie zumeist nicht dem Alltag in den Schulen.

Welche Qualifikation benötigt eine Schulbegleitung?

Diese Frage ist nur eingeschränkt pauschal zu beantworten. Die Kostenträger gehen häufig davon aus, dass die Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter in der Regel keine berufliche Vorbildung im erzieherischen, pädagogischen oder pflegerischen Bereich benötigen. In diesen Fällen werden die Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter als (unqualifizierte) Hilfskräfte eingestuft. In begründeten Fällen können aber auch qualifizierte Hilfskräfte (z. B. Heilerziehungspflegehelfer) oder Fachkräfte (z. B. Heilerziehungspfleger) genehmigt werden. Beim Bezirk Oberbayern bspw. verteilen sich die Qualifikationen folgendermaßen: 5% Fachkräfte, 16% qualifizierte Hilfskräfte und 79% (unqualifizierte) Hilfskräfte (diese Zahlen beziehen sich auf Schulbegleitung an allgemeinen Schulen und Förderschulen gleichermaßen). Hier zeigt sich ganz deutlich eine Problematik, die in der „Konstruktion“ der Schulbegleitung begründet liegt. Da die Schulbegleitung durch das Sozialrecht finanziert wird, soll sie nur „einfache“ Assistenztätigkeiten leisten. Dementsprechend werden in der Regel keine fachlichen Qualifikationen vorausgesetzt. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter ein sehr breites Tätigkeitsfeld haben, das zumeist auch eindeutig in den pädagogisch-unterrichtlichen Bereich hineinreicht. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Grundqualifikation dringend angeraten!

Welche Stärken hat die Maßnahme der Schulbegleitung?

Die größte Stärke der Maßnahme liegt, unschwer erkennbar, in der zusätzlichen Hilfe, die ein Kind mit Behinderung beim Besuch der Schule erhält. Besonders im Hinblick auf den Besuch der allgemeinen Schule ist es für viele Schulen, die noch nicht viel Erfahrung mit Kindern mit Behinderungen gesammelt haben, eine große Entlastung bzw. Erleichterung zu wissen, dass das Kind mit Behinderung nicht alleine in die Schule kommt, sondern eine Person mitbringt, die es ganz individuell unterstützt. Diese Tatsache ist für viele Schulen das ausschlaggebende Argument, Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen bei sich aufzunehmen. Aber genau in diesem Punkt liegt auch ein bedeutendes Risiko der Maßnahme.

Welche kritischen Aspekte birgt die Maßnahme der Schulbegleitung?

Inklusion fordert von der Schule eigentlich ein grundlegendes Umdenken. Es soll nicht mehr die Frage gestellt werden, ob ein Kind sich an das bestehende System anpassen kann, sondern das System hat sich dem Kind mit seinem individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf anzupassen. Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass die Maßnahme der Schulbegleitung den Veränderungsdruck, der auf der Schule lastet, insofern abmildert, als dass die Schulbegleitung dem Kind hilft, sich an das bestehende System anzupassen. Die Notwendigkeit, dass sich die Schule verändern muss, wird durch die Schulbegleitung abgemildert. Daher darf die Schulbegleitung auch keinesfalls als die ideale Lösung für die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems angesehen werden. Sie sollte lediglich als kurz- bzw. mittelfristige Unterstützung gesehen werden, bis die allgemeinen Schulen in der Lage sind, Kinder mit Behinderungen angemessen aufzunehmen und zu unterrichten.

In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Problembereich bedeutsam. Häufig wird die Schulbegleitung als Expertin/e für das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf angesehen. Dies erscheint angesichts der noch jungen Bemühungen um inklusiven Unterricht aus Sicht der Regelschullehrer zwar nachvollziehbar, angesichts der Anstellungsbedingungen der Schulbegleitungen (überwiegend keine fachliche Qualifikation) jedoch als nicht vertretbar. Die Regelschullehrkraft muss die Verantwortung für das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf übernehmen und darf sie nicht den zumeist nicht pädagogisch qualifizierten Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern überantworten. Vor diesem Hintergrund ist es auch problematisch, dass die Kinder mit Behinderung, während die Schulbegleitung anwesend ist, zum Teil nicht unerhebliche Zeit außerhalb der Klassengemeinschaft verbringen, in der die Schulbegleitung mit dem Kind in Einzelförderung arbeitet. Auch dies ist nicht die richtige Antwort auf einen inklusiven Unterricht!

Abschließend soll auf ein weiteres, grundsätzliches Risiko hingewiesen werden, das mit der derzeitigen Konstruktion der Schulbegleitung als Einzelfallmaßnahme verbunden ist. Der Grundidee folgend wird das Kind mit Behinderung stundenweise bzw. über den gesamten Schultag hinweg von einer/ m Erwachsenen begleitet, die/ der diesem Kind mehr oder weniger nicht von der Seite weicht. Diese enge Beziehung zwischen Kind und Schulbegleitung stellt für das Kind sowie die Mitschülerinnen und Mitschüler keine normale Situation im Umgang innerhalb der Peergroup dar. Auf die Frage, was sich durch die Schülerin mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Klasse verändert habe, antwortete ein Schüler: „Eigentlich haben wir mit ihr wenig zu tun – neben ihr sitzt immer ein Erwachsener“. Diese Schüleraussage macht das Problem sehr gut deutlich: Die Schulbegleitung kann unter Umständen ein Hemmnis für die soziale Integration des Kindes in die Klasse darstellen und das obwohl die soziale Integration ja ein zentrales Anliegen von Schulbegleitung ist. Um diesem exkludierenden Potenzial von Schulbegleitung zu begegnen, gibt es in der Praxis mittlerweile erste Versuche zu so genannten Pool-Lösungen, d.h. dass eine Schulbegleitung für 2-3 begleitete Kinder in der Klasse zuständig ist. Somit wird die enge Beziehung ‚Kind – Schulbegleitung‘ ein wenig aufgebrochen und es entstehen mehr Möglichkeiten zu Interaktionen zwischen begleitetem Kind und Mitschülerinnen und Mitschülern.

Ausblick

Die Maßnahme der Schulbegleitung ermöglicht derzeit vielen Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen den Besuch einer allgemeinen Schule. Dies ist grundsätzlich positiv zu sehen. Der Beitrag hat versucht aufzuzeigen, dass die Maßnahme der Schulbegleitung jedoch die notwendige Veränderung der allgemeinen Schule hin zu einer inklusiven Schule nicht ersetzen kann. Die Maßnahme kann nur eine kurz- bzw. maximal mittelfristige Möglichkeit sein, um die Entwicklung zu einer inklusiven Schule anzustoßen. Am Ende der Entwicklung sollte eine inklusive Schule stehen, in der neben den Lehrkräften verschiedene Professionen (z. B. Assistenzpersonal, Schulsozialarbeit, Jugendsozialarbeit an Schulen) zusammen in einem multiprofessionellen Team arbeiten.

Autor

Dr. Wolfgang Dworschak

LMU München, Department Pädagogik und Rehabilitation, Lehrstuhl für Pädagogik bei geistiger Behinderung und Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Kontakt

Dr. Wolfgang Dworschak
LMU München
Department Pädagogik und Rehabilitation
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Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift des Sozialverbandes VdK Deutschland e.V. VdK-Zeitung "Leben mit Behinderung", Ausgabe 1/2016 und wird hier mit freundlicher Genehmigung übernommen.

eingestellt am 06. Oktober 2017

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