Alltagsfrust oder Alltagslust im Kinderhort?

Sabine Remmele

Remmele

Alltag von Kindern

Kindern den Alltag schmackhaft zu machen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen, scheint eine schwierige Aufgabe zu sein. Alltag wird verbunden mit Routine, Langeweile oder Unlust.

Alltagssituationen geben Kindern aber einen festen Rahmen. Sie lassen den Hortalltag ein kleines bisschen wie den Alltag zuhause erscheinen. Und das, obwohl es eigentlich doch kein “Zuhause – Gefühl” geben kann, wenn 90 Kinder unter einem Dach leben.

Alltag macht, dass Kinder ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit entwickeln können. Alltagssituationen geben dem Kind das Wissen: “Hier kann ich was, das kenn ich, ich kenn mich aus!”

Alltagsituation im Hort – Alltag für Kindern schaffen

Es gibt viele Alltagssituationen, die im Hort vorkommen oder die auch geschaffen werden müssen.

So zum Beispiel die Essensplanung mit den Kindern. Die Kinder suchen das Essen aus, aber wie? Weit gefehlt, wenn man annehmen würde, Kinder kennen nur Spaghetti, Pizza und Pommes. Kinder sind einfallsreiche Esser, mit Lust auf Neues, wenn sie dazu angeleitet werden.

Kinder machen bei uns den Speiseplan, die älteren routiniert, die jüngeren mit einigem Staunen. Erzieherinnen helfen vor allem den jüngeren sich bei dieser Aufgabe zurecht zu finden. Die Kinder werden von uns angeleitet zu beachten, was das Essen kostet, ob es möglich ist diese Gerichte für 90 Kinder zu kochen: Ob es wohl Sinn macht, immer nur das Gleiche zu essen? Was brauchen wir für Nährstoffe, um gesund zu bleiben? Erdbeeren im März gibt es nicht, auch wenn die schon bei verschiedenen Kaufhallen zu erwerben wären. Kinder werden von uns angeleitet, ihren Speise- und Getränke-Konsum abwechslungsreich zu gestalten, eine Alltagsaufgabe die von zuhause in den Hort verlegt wird. Kinder erleben ein Stück Alltag, das sie zuhause nicht mehr mitbekommen. Unter der Woche muss es bei vielen Familien schnell gehen. Das Essen steht bereits auf dem Tisch, die Tiefkühlpizza kommt aus dem Kühlschrank und weil es schnell gehen muss gibt es einen Geburtstagskuchen, beim Bäcker eingekauft.

Die Zubereitung des Essens bekommen Kinder nur selten mit. Alltag für Kinder in Familien, früher öfter – heute eher weniger.

Kochen und Backen im Hort – das ist und bleibt ein Renner. Der kommt bei den Kindern nie aus der Mode. Vom Einkauf bis zur Zubereitung versuchen wir die Kinder einzubeziehen. Wo gibt es was, wie viel kostet es, wo stehen Rezepte, wie liest man denn die? Kinder lernen hier Alltag und holen Alltag nach.

Gemeinsames Essen – ein Stück Alltag im Hort

Zuhause kann dies in manchen Familien nur am Wochenende gelebt werden. Die Familienmitglieder kommen zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause, ein Elternteil manchmal so spät, dass die Kinder bereits bettfertig oder bereits im Bett sind. Gemeinsam an einem Tisch sitzen, den Tag besprechen nicht nur mit einem Elternteil, sondern mit mehreren Personen. Dem Kind zuhören, wenn es etwas erzählt – Alltag im Hort. Für die Kinder ist es ein wichtiges Gefühl zu erfahren, dass einem am Tisch alle zuhören. Sie erleben, dass sie wichtig sind und ernst genommen werden, sie lernen – ganz nebenbei – Gesprächsregeln und Tischregeln. Ist es doch etwas anderes zu dritt, zu viert oder zu fünft am Tisch zu sitzen, zu essen und nicht nur zu zweit.

Reden, zuhören, essen so vieles gleichzeitig, das will geübt werden und es macht auch noch Spaß in der Gruppe zu essen. Deshalb nimmt die Alltagssituation Essen bei uns im Hort einen großen Stellenwert ein. Wir essen zu Mittag mit den Kindern gemeinsam, an kleinen Tischen. Erzieherinnen sitzen mit dabei. Hören zu was es so zu erzählen gibt – und essen mit! Sie sind so Vorbild, geben Essensmanieren weiter, Tischkultur kann erfahren werden. Für manch eines unserer Hortkinder eine Erfahrung, die so zuhause nicht erlebt werden kann. Da schmeckt so manches Essen, das zuhause nicht mal angeschaut wird. Ein Phänomen, das sicher nicht nur bei uns im Hort bekannt ist.

Alltag eines Schulkindes – das Hausaufgabenmachen. Am Nachmittag, wo Kinder ins Leistungstief kommen und sich nur schwer konzentrieren können, sollen sie Höchstleistungen bringen. Trotzdem müssen die Kinder – und auch die Erzieherinnen – da durch. Diesen Alltag so zu gestalten, dass die Kinder ihr Pensum gut schaffen, ist eine weitere Herausforderung des Hortalltags. Regeln und Rituale erleichtern den Kindern diese Situation. Vor den Hausaufgaben noch mal ratschen. Was war denn so los in der Schule? Einfach mal schimpfen und ablästern dürfen über Lehrer, das muss sein, bevor es los gehen kann. Deshalb ist es wichtig für diese Minigespräche Zeit zu haben. Ein offenes Ohr für die Alltagssorgen der Kinder. Und dann geht es auch leichter mit den Hausaufgaben.

Dann beginnt der eigentliche Nachmittag der Kinder.

Abhängen, rumchillen

Was tun Schulkinder am Nachmittag? Rückzugsmöglichkeiten sind hierfür im Hort vorhanden. Ein Musikraum wo die aktuellen CDs angehört werden. Von zuhause mitgebracht, aus der Bücherei ausgeliehen, oder beim letzten Einkaufsbummel für den Hort besorgt. Ecken, wo Kinder sich versammeln können, gibt es in unserem Hort einige. Eckbänke, Hängematten, Sofas, Matratzenecken – zum Abhängen hervorragend geeignet. Für uns Erwachsene mag das befremdlich aussehen, der Gedanke liegt nahe, dass es den Kindern vielleicht langweilig wäre. Nicht jedoch wenn man die Kinder befragt. Sie wollen Plätze haben ohne Erwachsene. Sie möchten zusammen sein und sich unterhalten können über dies und jenes. Ohne das ständige besorgte Ohr der Erzieherin. Aus solchen Situationen entstehen Projekte, Ideen für neue Aktionen, Ausflüge etc.

Alltag für Kinder ist Bewegung

Kinder möchten sich bewegen dürfen jetzt – sofort, ohne lange Wege in die Turnhalle oder ins Schwimmbad. Kinder bewegen sich bei uns im Bewegungsraum, im Keller, im Gang, im Garten.

Die Inlineskates sind dabei, auf dem Hof kann gefahren werden, das Kickboard steht vor der Tür- es wartet darauf bewegt zu werden. Rund um das Haus haben die Kinder die Möglichkeit dazu.

Alltag von Schulkindern ist das Streiten

Das sind kleinere und größere Dramen, die sich abspielen, wenn einer nicht mehr mein Freund sein will. Auch hier ist es immens wichtig dabei zu sein. Passiv, jedoch mit einem offenen Auge und Ohr für die Belange der Kinder. Bereit für einen Schlichtereinsatz, wenn es denn sein muss. Bei Spielen geht es oft länger darum Regeln auszuhandeln, neue Rollen zu besetzen.

Streiten nimmt einen großen Platz im Kinderalltag ein. Und was da nicht alles gelernt wird! Gesprächsregeln, Konfliktlösungen, Toleranz, Kompromissbereitschaft um nur einiges aufzuzählen. Das ist oft schwierig zum Aushalten als Betreuerin. Aber – das ist Alltag und auch der sollte seinen Platz am Nachmittag des Kindes finden. Wie oft kommt es vor, Kinder streiten sich dass die Fetzen fliegen und hinterher kann zusammen Tischtennis gespielt werden.

Wenn Kinder unterstützt werden, das Streiten richtig zu lernen, dann haben wir auch diese Alltagssituation gut gemeistert.

Zum Beispiel das Hortgericht

In den letzten Wochen entstand ein Hortgericht, ganz alleine eingerichtet von den Kindern. Vier Jungen und Mädchen haben sich bereit erklärt, die Probleme der anderen Kinder zu schlichten. Sie helfen, wenn die anderen Kinder sie zur Hilfe auffordern. Sie verhängen Strafen, wenn Kinder etwas anderen Kindern zugefügt haben.

Alltagsituationen schaffen

In der weiteren Planung des Hortalltags versuchen wir die Kinder immer wieder in Alltagssituationen zu bringen.

Alltag eines Schulkindes ist, einmal in die Stadt zu gehen. Dort Schulhefte zu kaufen, oder sich auf ein Eis bei der Eisdiele mit Freunden zu treffen. Wie geht das in einer Einrichtung, die auch die Aufsichtspflicht beachten muss?

Zusammenarbeit mit Eltern um Alltag für die Kinder zu schaffen

Wir besprechen dieses Thema bereits bei der Hortanmeldung und im Hortvertrag hat dieser Punkt ein eigenes Kapitel eingenommen. Klar, dass Sechsjährige diesen Alltag anders erleben können als Zehnjährige. Aber auch die Kleineren wollen irgendwann mal die große weite Welt kennen lernen. Sie wollen raus aus dem Hort. Das ist Alltag für Hortkinder und deshalb wichtig für die Kinder diese Erlebnisse zu haben.

Ich kann sagen, unser Hort praktiziert dies schon seit über 15 Jahren. Es gab noch nie eine “brenzlige” Situation. Der Angst der Erzieherin dem Kind könnte etwas passieren, kann ich entgegensetzen, ist die Angst so groß, dann lass ich das Kind nicht gehen. Diese Situation kann nur funktionieren, wenn die Erzieherin den Kindern gegenüber Vertrauen hat, dass diese die Situation auch meistern. In Zusammenarbeit mit den Eltern kann dies herausgefunden werden und dann das Kind in die Alltagswelt rund um den Hort entlassen werden. So können Kinder Kind sein und groß werden.

Glaube im Alltag

Alltag im Kinderhort Franziskus in Weilheim – dazu gehört auch das Vorleben des Glaubens. Beten als Alltagssituation. Wir beten jeden Tag beim Essen, entweder gemeinsam oder ein Kind betet etwas vor, wenn es dieses möchte. Beten kann jeder und jede. Egal welchem Glauben die Kinder angehören – bei uns haben alle ihren Platz. Auch Kinder die keinen Glauben haben, können bei uns Erfahrungen mit der frohen Botschaft machen – im Alltag, ohne Missionierungsgedanken.

Wir feiern die Feste im Kirchenjahr, bereiten mit Kindern Wortgottesdienste vor. Natürlich feiern wir ein Franziskusfest, bei dem die Kinder von A-Z einbezogen sind. So holen wir den Glauben in den Alltag. Eine Herausforderung für das pädagogische Personal.

Natürlich bieten wir den Kindern auch Projekte an, finden Werkstätten unterschiedlichster Art statt, können Kinder an Ausflügen und Aktionen teilnehmen. Gerade aber diese kleinen alltäglichen Dinge machen eine Einrichtung aus, geben unserem Haus die spezielle Prägung.

So kann aus Alltagsfrust auch Alltagslust werden.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Sabine Remmele, Kinderhort Franziskus, Weilheim (Oberbayern).

Kontakt

Kinderhort Franziskus
Waisenhausstr. 1
82362 Weilheim

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Erstellt am 17. März 2003, zuletzt geändert am 23. März 2010