Erklärungsmöglichkeiten für „aggressive Verhaltensweisen“ bei Unter-Dreijährigen in der Kita
Irmgard Kollmann
Der folgende Artikel ist ein Ausschnitt aus einem Buch, das sich mit aggressiven Verhaltensweisen von Kindern unter drei Jahren beschäftigt und sich vorrangig an Fachkräfte in den Kitas wendet, aber auch für Eltern von Interesse ist.
Die Autorin möchte deutlich machen, dass es gerade bei den Unter-Dreijährigen viele Verhaltensweisen gibt, die aggressiv aussehen, aber auch anders gedeutet werden können. Weiterhin werden verschiedene Faktoren aufgezeigt, die für die Erklärung der beobachteten Handlungen eine Rolle spielen und deren Berücksichtigung das Repertoire an angemessenen Reaktionen erweitern kann.
Was ist „aggressives“ Verhalten?
Ohne weitere Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Begriffs hat jeder eine Vorstellung davon hat, was Aggressionen sind. Diese reichen von „Mein Baby schreit aggressiv nach seinem Fläschchen!“ bis „Mein Kind hat eine Beule, weil dein Kind es so aggressiv geschubst hat!“
Wird von einem sehr weit gefassten Begriff ausgegangen, dann bedeutet aggressiv „etwas in Angriff zu nehmen“, Energie aufzubringen, um ein Ziel zu erreichen. Diese Bedeutung wird von dem lateinischen Wort „aggredere“ abgeleitet. Damit ist sowohl der eher positive Aspekt von„sich nähern“ gemeint, als auch das feindliche „angreifen“. Ein derart weit gefasster Begriff erschwert die Unterscheidung zwischen „erlaubtem“ und „unerlaubtem“ Verhalten. Denn wer möchte seinem Kind schon abgewöhnen etwas in Angriff zu nehmen? Aber selbst wenn die hergeleitete Wortbedeutung so ist, gibt es keinen Grund, die „positive Seite der Aggression“ auch Aggression zu nennen. Sie ist Neugierde, Lernwille, Motivation – alles Mögliche, – aber keine Aggression. Man weiß mittlerweile auch, dass sich im Gehirn ganz unterschiedliche Prozesse abspielen, je nachdem ob die „positive“ oder die „negative Seite“ ausgelebt wird. Aggression ist „-aus neurobiologischer Sicht – etwas völlig anderes als Motivation.“ (Bauer 2011, S.47)
Deshalb wird hier folgende Definition von Bauer verwendet (2011, S.46):
„Aggression ist jede physische oder verbale Handlung, die darauf angelegt ist, eine andere Person zu konfrontieren, anzugreifen, zu schädigen, zu verletzen oder zu töten. Dabei wird vorausgesetzt, dass es sich um eine Aktion handelt, die von der geschädigten Person abgelehnt wird. Dazu gehören meist „Gefühle, die wir mit den Worten >Ärger<, >Zorn<, >Wut< und >Hass< bezeichnen.“
Welche Faktoren können zur Erklärung beitragen?
In der Kita „Sonnenblume“ hat die Erzieherin Sonja folgende Beobachtung gemacht:
Vor der „Schatzkiste“ mit Sandspielsachen steht Emre (2;1) und überlegt, was er mit in die Sandkiste nehmen könnte. Joe (1;11) kommt dazu, schubst Emre zur Seite und will in die Kiste greifen. Die Erzieherin geht zu den beiden. „Joe, du musst warten, bis Emre fertig ist.“ Als beide ihr Spielzeug gefunden haben, überdenkt die Erzieherin die Situation noch einmal.
Auch wenn dieser Vorfall für alle Beteiligten nicht sehr belastend war, bietet er ihr einen Anlass, über die Faktoren nachzudenken, die hierbei eine Rolle gespielt haben könnten. Dazu gehören
- die konkrete Situation, in der das Verhalten stattfand
- frühere Erlebnisse des aufgefallenen Kindes
- seine Persönlichkeit
- die Haltung der Erziehenden.
Die konkrete Situation
Gerade bei kleinen Kindern sind die Raumausstattung und das Material häufig wesentliche Auslöser für Konflikte und darauf folgendem aggressiv (aussehendem) Verhalten. Bietet ein Raum nicht genügend Anregungsmöglichkeiten zum Bewegen, Schauen und Untersuchen, langweilen sich die Kleinen schnell. Immer auf der Suche nach „neuer Nahrung für ihr Gehirn“ bieten in solchen Fällen die anderen Kinder eine gute Beschäftigungsmöglichkeit: Wie reagieren sie, wenn ich ihnen etwas wegnehme oder sie schubse? Was machen dann die Erziehenden? Geschrei, Rufen und Laufen sorgen für neue Anregungen.
Zum Untersuchen und Anregen dient auch abwechslungsreiches und erreichbares Material.[1] Davon sollte genügend vorhanden sein, damit nicht ein Baby einem anderen einen bunten Ball oder eine interessant knackende Plastikflasche wegnimmt, weil es die Dinge selbst untersuchen möchte. Und zum Abwarten oder um den Gegenstand bitten ist es noch nicht in der Lage, das muss erst gelernt werden.
In dem Beispiel ist Sonja der Meinung, die Sandkiste und ihre Ausstattung waren anregungsreich, genügend Sandspielzeug für beide Kinder war auch da. Allerdings ging kürzlich einer der beliebten Bagger kaputt, so dass der nur noch einmal zur Verfügung stand. Ein zweiter Bagger könnte helfen, Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Wenn die Erziehenden der Kita „Sonnenblume“ das aggressive Verhalten nicht selbst beobachtet haben, haben sie es aufgegeben herauszufinden, wer „im Recht“ ist. Stattdessen versuchen sie zu erfahren, was jetzt für die Beteiligten wichtig ist, damit sie besser miteinander auskommen.
Notwendige Anweisungen formulieren die Erziehenden möglichst positiv, ohne Verneinung, wie auch in diesem Fall. Statt „Du darfst Emre nicht schubsen“ fordert Sonja ihn auf: “Du musst warten, bis Emre fertig ist.“. Denn erstens weiß Joe jetzt, was er tun soll, was bei „nicht schubsen“ nicht der Fall ist. Und zweitens „versteht unser Gehirn kein ‚nein’. Versuchen Sie einmal, nicht an einen rosa Elefanten zu denken!“. Diesen Satz ihrer Fortbildnerin hat die Erzieherin behalten und versucht, ihn möglichst oft zu berücksichtigen. Sie hat sich angewöhnt statt „nicht die Puppe aus der Hand reißen!“ zu sagen: „Du musst fragen, ob du die Puppe haben kannst.“ Und statt „Nicht Elisa beißen!“ sagt sie: „Du kannst in diesen Apfel beißen.“
Frühere Erlebnisse des Kindes
Als nächstes fragt die Erzieherin sich, welche Erfahrungen aus früheren Situationen ein Kind mitbringt, das aggressives Verhalten zeigt. Welche Vorbilder hat es gehabt?
Joe aus dem Eingangsbeispiel hat einen drei Jahre älteren Bruder, der ihm oft, ohne zu fragen, Spielzeug aus der Hand nimmt oder sich aggressiv durchsetzt. Dadurch hat Joe vielleicht bereits gelernt, dass man auf diese Art Erfolg haben kann.
Derartige Erfolge – zu denen auch die Aufmerksamkeit der Gruppe oder der Betreuungspersonen zählen kann – versucht die Erzieherin zu verhindern. Dazu muss sie erst einmal herausfinden, was als Erfolg – oder Verstärker – für ein Kind wirkt. Dazu fallen ihr viele Beispiele ein:
- Handlung: Ein Kind “nervt” im Morgenkreis – Verstärker: es muss oder darf neben der Erzieherin sitzen.
- Ein Kind schreit – mit dem danebenstehenden Kind wird geschimpft.
- Ein Kind beißt ein anderes. – das betroffene Kind fängt heftig an zu schreien und die Erzieherin kommt gelaufen: ein faszinierender Effekt.
- Ein Kind langweilt sich und nimmt einem anderen Kind das Spielzeug weg – es hat jetzt etwas zu tun: das andere Kind zu beobachten und mit dem Spielzeug spielen.
Die Erzieherin hat auch in anderen Situationen Kinder betreut, die schon früh Vernachlässigung, Gewalt oder unsichere Bindungen erlebt haben. Sie weiß, dass sie dann mit einer „niedrigen Schmerzgrenze“ [2] rechnen muss, was bedeutet, dass diese Kinder schneller als andere sich angegriffen fühlen und den Eindruck haben, sie müssten sich wehren. So gut es möglich ist, wird in der Kita versucht, diese Kinder gegenteilige Erfahrungen machen zu lassen. Sie sollen wenigstens hier Geborgenheit, Schutz, Zuverlässigkeit und Zuwendung erfahren. Das fällt nicht immer leicht, denn gerade die unsicher gebundenen Kinder erschweren ihrem Gegenüber den Kontakt, weil sie entweder gelernt haben ihre Bindungsbedürfnisse überdeutlich zu machen oder lieber Distanz halten, um nicht wieder enttäuscht zu werden.[3] Sie haben eine beeinträchtigte Fähigkeit, „das Vertrauens-, Empathie- und Kooperationshormon Oxytozin zu produzieren, …“ (Bauer 2011, S.224).
Das Wissen um die Bedeutung der frühen Lebensjahre hat gerade bei einem Teil der sehr engagierten Eltern zu der Annahme geführt, dass es wichtig sei, möglichst alle Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kinder zu befriedigen und ihnen jede Frustration zu ersparen. Das ist ein nicht einzulösender Anspruch. Denn zum einen ist dies kaum möglich, weil die Wünsche der Kleinen nicht immer richtig verstanden werden. So wird Weinen als Zeichen für ein Kontaktbedürfnis oft als Signal für Hunger missverstanden. Zum anderen müssen gefährliche Aktionen wie das Spielen mit Elektro-Geräten untersagt werden. Daher müssen Kinder eine ihrer Entwicklung angepasste Frustrationstoleranz entwickeln. Sie müssen „frühzeitig lernen, die Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben.“ (Bauer 2011, S.108)
Joe hat bereits gelernt, dass er auch einmal warten muss, bis er mit einem Spiel an der Reihe ist. Manchmal hilft es ihm, wenn Sonja eine große Sanduhr hinstellt und ihm sagt, dass Emre den Bagger weiter gibt, wenn die Uhr durchgelaufen ist.
Die Person des Kindes
Der dritte wichtige Einflussbereich, zu dem die Erzieherin sich Fragen stellt, betrifft die Person des Kindes.
• Was weiß sie über sein Temperament, seine Stärken und Schwächen?
Der Praktikant Mark ist immer wieder überrascht, wie verschieden schon die ganz kleinen Babys von drei Monaten reagieren. Anna ist meist ruhig, sieht sich um und gibt Laute von sich, die zufrieden klingen. Wenn sie nach dem Schlafen aufwacht, beschäftigt sie sich eine Weile. Selten schreit sie laut und aufgeregt. Elisa dagegen passt sich viel schwerer Veränderungen an, ist schneller aufgeregt und schreit dann heftig. Selbst beim Trinken wirkt sie leicht angespannt und abgelenkt, während Anna in kürzester Zeit ihr Fläschchen ausgetrunken hat. Diese Unterschiede machen sich bei den Kindern auch noch bemerkbar, wenn sie älter werden, auch in der Art und Weise, wie sie mit ihren Aggressionen umgehen.[4]
• In welcher Entwicklungsphase ist das Kind? Welche Materialien und Räumlichkeiten benötigt es in dieser Zeit? Was kann ich von dem Kind in seinem Alter erwarten? Ist es gerade in der Autonomiephase (oder Trotzphase) und probiert seine Unabhängigkeit und seinen Einfluss aus? Inwieweit kann es sich schon in andere Kinder einfühlen?
Wenn man von dem weiter oben vorgestellten Aggressionsbegriff ausgeht, stellt sich die Frage: Können Kleinstkinder überhaupt aggressiv sein? Gerade Zweijährige zeigen sehr häufig im Umgang miteinander aggressiv aussehendes Verhalten. Aber sind sie von ihrem Entwicklungsstand her nur begrenzt in der Lage zu erkennen, ob und womit sie andere verletzten oder schädigen können. Sie handeln eher nach ihren eigenen Bedürfnissen, zum Beispiel „Ich will jetzt das Spielzeug.“ Ihre vorrangige Absicht ist nicht, jemandem weh zu tun.
Von Emre weiß Sonja, dass er gerade mit Begeisterung neue Fähigkeiten und seine eigenen Vorstellungen in Abgrenzung von denen der Erwachsenen ausprobiert: er ist in der Autonomiephase. In dieser Entwicklungsphase ergeben sich für ihn wie für die meisten Unter-Dreijährigen unendlich viele Anlässe für Wutanfälle. Sie entstehen sehr oft aus dem Zwiespalt zwischen wachsenden Fähigkeiten einerseits und den immer noch begrenzten Kompetenzen andererseits. So kann auch eine ungebetene Hilfestellung ein Auslöser sein, genauso wie die noch wenig ausgeprägte Frustrationstoleranz. Auch überraschende Veränderungen bei täglichen Ritualen können die Kinder stark verunsichern. Sie möchten möglichst vieles wie gewohnt beibehalten, zum Beispiel die Sitzordnung beim Essen oder die Farben des angebotenen Saftes.
Ein weiterer häufiger Auslöser für Wutanfälle ist die Tatsache, dass die Kinder auf der einen Seite entdecken, dass sie eigenen Wünsche und Bedürfnisse haben. Auf der anderen Seite können diese nicht unbegrenzt erfüllt werden. Die Realität und die Wünsche und Bedürfnisse anderer Menschen stehen dagegen. Zu einer bestimmten Zeit des Tages ist der Aufenthalt in der Kita beendet, auch wenn das Kind gerne noch bleiben würde.
Ein Kind in einer „Trotzsituation“ möchte unbedingt etwas und zwar jetzt, was ihm ganz wichtig ist. Seine Erregung wächst, es gerät aus dem Gleichgewicht und verliert die Kontrolle über sein Verhalten. Eventuell aggressives Verhalten erfolgt dann auf Grund von Hilflosigkeit und Unfähigkeit, andere Formen der Auseinandersetzung zu nutzen, meist nicht um andere zu verletzen. Gerade in dieser Entwicklungsphase kann aggressiv aussehendes Verhalten Ursachen haben wie das Ausprobieren und Nichtgelingen von Verhaltensmöglichkeiten wie abgeben, etwas nehmen, teilen, Kontakt aufnehmen. Auf einen weiteren Aspekt weist Haug-Schnabel (2011, S.127) hin. Aggressives Verhalten kann auch eine Anfrage sein: Gelten die Regeln auch für mich? Gehöre ich dazu?
Eine Phase, die für Joe und seine Umgebung schwierig war aber jetzt vorbei ist, war seine Entdeckung der Zähne und sein Wunsch auszuprobieren, was man damit alles anstellen kann.
Ein Baby, dass seine neu erworbenen Zähne ausprobieren möchte, erhält in der Kita Sonnenblume vielfältige Möglichkeiten zum Beißen, zum Beispiel Korken, Ringe aus Holz, Plastik, Plüsch, trockenes Brot oder Bananen. Man weiß dort, dass diese Kleinstkinder noch nicht verstehen, warum sie nicht andere beißen sollen, und dass es wiederholt gesagt werden muss, bevor diese Regel eingehalten wird. Joe ist das inzwischen gut gelungen und Sonja muss nicht mehr befürchten, dass er Emre beisst. Das Motiv bei älteren Kindern ist eher Wut, nicht „Forscherdrang“. Sie müssen lernen, mit ihren Gefühlen und Konflikten anders umzugehen.
• Hat das Kind Einschränkungen, zum Beispiel in seiner Konzentrationsfähigkeit oder in seinem Wahrnehmungsvermögen?
So wäre es möglich, dass Joe Emre gar nicht schubsen wollte, sondern ihn nur anticken, um ihm etwas zu sagen, seine Wahrnehmungsfähigkeiten aber nicht ausreichten, um die Berührung angemessen zu gestalten.
Die Haltung der Erzieherin und des Erziehers
Der vierte Faktor, der bei dem Umgang mit und der Erklärung von aggressivem Verhalten eine wesentliche Rolle spielt, ist die Haltung der Erzieherin selbst und die daraus folgenden Handlungen. Sonja bemüht sich um
– eine offene, fragende Haltung
Zunächst fragt sich die Erzieherin immer wieder: „Zeigt ein beobachtetes Kind wie Joe wirklich Aggressionen?“ Schon die Kennzeichnung eines Verhaltens als „aggressiv“ führt meist dazu, dass dieses abgelehnt wird und der Wunsch besteht, es möglichst sofort zu unterbinden. Das hat dann seine Berechtigung, wenn andere Menschen in irgendeiner Form Schaden erleiden. Wenn das Kind aber nach neuen Erfahrungen sucht und es gelingt, dieses Verhalten als Lernprozess zu erkennen, dann kann sie das Kind bei seinem Lernen von angemessenem Verhalten unterstützen, indem sie sich fragt: „Was braucht dieses Kind?“
Sonja hat das Verhalten von Joe nicht als aggressiv empfunden, sondern als Versuch, seinen Wunsch deutlich zu machen. Dafür fehlen ihm vielleicht noch bessere Möglichkeiten.
– Empathie
Um die Gefühlssituation und den Entwicklungsstand eines Kindes zu erfassen, ist das einfühlende Verstehen, also die Empathie, einer Betreuungsperson unumgänglich. Sie befähigt dazu, begründete Vermutungen über die Ursachen und Gründe des kindlichen Verhaltens anzustellen, die dann mit genauen und gezielten Beobachtungen abgeglichen werden müssen.
Durch genaues Beobachten des Kindes und Einfühlen in seine gegenwärtige Situation kann man versuchen zu erfahren, was gerade sein Lernthema ist. Lernt es seinen Körper kennen? Welche Kraft es hat? Versucht es herauszubekommen, welche Regeln unter welchen Umständen gelten? Lernt es, Konflikte mit anderen auszutragen? Und dabei seine eigenen Wünsche mit denen anderer abzugleichen?
– Klarheit über ihre eigene Einstellung zur Aggression
Je genauer Erziehende um ihre eigenen Einstellungen zu Aggression und Konflikten Bescheid wissen, umso besser werden sie sich in die Kinder ihrer Gruppe einfühlen können. Wem nicht klar ist, dass er selbst ein großes Bedürfnis nach Harmonie hat und Konflikte letztendlich doch für schädlich hält – auch wenn er weiß, dass sie „eigentlich“ nützlich sind -, der wird sich kaum in ein vor Wut tobendes Kind versetzen können. Besonders dann nicht, wenn eine professionelle Kraft häufige Konflikte in ihrer Gruppe als Misserfolg oder Versagen in ihrem Beruf empfindet
Jede und jeder im Kleinstkinderbereich Arbeitende sollte sich fragen
- Fällt mir die Arbeit mit „braven Mädchen“ leichter oder mit „wilden Jungen“?
- Gehe ich davon aus, dass Jungen im Allgemeinen aggressiver sind als Mädchen?
- Halte ich – auch lautstarke – Auseinandersetzungen der Kinder aus, oder neige ich dazu, mit eigenen schnellen Lösungen für eine „friedliche Stimmung“ zu sorgen?
Diese Fragen nutzt Sonja als eine Art Raster, um möglichst viele Aspekte des aggressiven oder aggressiv aussehenden Verhaltens zu erfassen. Sie stimmt ihre pädagogischen Maßnahmen dann möglichst auf das Motiv und den Auslöser des beobachteten Verhaltens ab. Wenn Erziehende „intuitiv“ handeln, passen ihre Reaktionen häufig eher zu dem Bild, das sie von Aggression und ihren Ursachen hat.[5] Und das ist in vielen Fällen wesentlich weniger differenziert als die Realität.
[1] ) Vorschläge für eine anregungsreiche Umgebung finden sie in dem Buch „Der Entwicklung Raum geben“ von Inga Bodenburg bei Cornelsen, Berlin, 2012
[2] Das Konzept der „Schmerzgrenze“ wird ausführlich dargestellt in dem gleichnamigen Buch von Joachim Bauer, Karl Blessing Verlag, München 2011
[3] Vgl. Gerhard Suess: Missverständnisse über Bindungstheorie, Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogischer Fachkräfte, Deutsches Jugendinstitut 2011, S.15
[4] Vgl. Haug-Schnabel,Gabriele: Aggression bei Kindern, Praxiskompetenz für Erzieherinnen, Herder Verlag, Freibug im Breisgau, 2. Auflage 2011 S.48
[5] vgl Dückers, Andre´: Aggression und Gewalt in Kindergarten und Kindertagesstätte, 2006, Books on Demand, S.105
Dieser Artikel ist ein überarbeiteter Abschnitt aus dem Buch „Hauen, beißen, sich vertragen – Umgang mit aggressivem Verhalten 0- bis 3-Jähriger in der Kita“ von Irmgard Kollmann, Cornelsen Verlag Berlin, 2013
Autorin
Irmgard Kollman ist Diplom-Soziologin und Lehrerin für berufsbildende Schulen (i.R.), in den letzten Jahren als Fachseminarleiterin in der Lehrerausbildung am Landesinstitut Hamburg für das Fach Sozialpädagogik tätig. Gegenwärtig arbeitet sie im Fortbildungs- und Beratungsbereich.
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Erstellt und zuletzt geändert am 14. November 2013