Kleinkinder optimal betreut

Dr. Sabine Buchebner-Ferstl

Buchebner-ferstl Sabine

Eckpfeiler einer kindgerechten außerfamilialen Betreuung von unter 3-Jährigen

Die außerfamiliale Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist nach wie vor Gegenstand heftiger, zumeist ideologisch gefärbter Debatten. Diese beschränken sich zumeist auf eine strikte Ablehnung oder eine uneingeschränkte Befürwortung außerfamilialer Betreuungsarrangements. Faktum ist jedoch, dass die Forschungsliteratur keine prinzipiellen Aussagen darüber zulässt, ob frühe außerfamiliale Kinderbetreuung mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist oder nicht, sondern dass die Ausgestaltung derselben das entscheidende Kriterium darstellt. In einer am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) der Universität Wien durchgeführten umfassenden Literaturrecherche zur kindgerechten außerfamilialen Betreuung unter 3-Jähriger (Buchebner-Ferstl, Dörfler und Kinn 2009) konnten drei Eckpfeiler einer kindgerechten außerfamilialen Betreuung identifiziert werden. Als wesentlich erwiesen sich der Faktor Beziehung, weiters Kontinuität und Vorhersagbarkeit sowie ein förderliches Umfeld.

Beziehung

Die Etablierung einer stabilen und tragfähigen Beziehung zu einer Betreuungsperson – sei es nun der Pädagoge in einer Kinderkrippe oder die Tagesmutter – stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Wohlbefinden des Kindes in einer außerfamiliären Betreuungssituation, in der die vertrauten Bezugspersonen abwesend sind, dar.

Diese Beziehung oder Bindung erfordert jedoch Zeit und Bereitschaft der Betreuerin oder des Betreuers, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Neben der als Sensitivität bezeichneten Eigenschaft, die im Wesentlichen die Fähigkeit der Betreuungsperson beschreibt, in einfühlsamer und zugewandter Weise mit dem Kind zu kommunizieren, müssen auch die entsprechenden Rahmenbedingungen vorhanden sein, damit eine Beziehung zwischen BetreuerIn und Kind wachsen kann. Vor allem in der Eingewöhnungsphase muss die Möglichkeit bestehen, dass eine bestimmte Betreuungsperson sich dem Kind in ausgiebiger Weise zuwenden kann, ohne dass die übrigen Kinder in der Gruppe dadurch einen Nachteil erleiden.

Aber auch wenn die Eingewöhnungsphase abgeschlossen ist, muss für die Betreuungsperson die Möglichkeit bestehen, sich dem Kind in angemessener, dem aktuellen Bedürfnis des Kindes entsprechender Weise zuzuwenden. Eine ungünstige Gruppensituation, die durch viele Kinder in einer Gruppe, denen nur wenige BetreuerInnen gegenüber stehen, geprägt ist, lässt diesen Anspruch jedoch von vorneherein als unrealistisch erscheinen und bringt die Betreuungspersonen leicht in Bedrängnis, wenn sie dennoch versuchen, jedem einzelnen Kind gerecht zu werden.

Kontinuität und Vorhersagbarkeit

Stabile Beziehungen bedürfen naturgemäß einer gewissen Kontinuität; sie können sich nicht ausreichend entwickeln, wenn Betreuungspersonen oder SpielkameradInnen beliebig wechseln. Beziehung kann nur entstehen, wenn regelmäßig Zeit miteinander verbracht wird, woraus Vertrauen und eine gemeinsame Identität erwachsen können.

Eine Diskontinuität hinsichtlich der Beziehungen ist häufig mit einer Diskontinuität hinsichtlich der Nutzung des Betreuungsangebots verbunden oder wird oft durch diese erst erzeugt. Ein Kind, das zum Beispiel einmal am Vormittag, einmal den ganzen Tag, einmal zwei Tage hintereinander und dann wieder eine Woche gar nicht fremdbetreut wird, ist gezwungen, sich von Tag zu Tag auf eine neue Situation einstellen zu müssen, die es weder vorhersehen noch beeinflussen kann. In einem Alter, in dem der kognitive Zeithorizont noch sehr beschränkt ist und „in drei Tagen“ für das Kind in seiner Vagheit ebenso wenig greifbar ist wie „in drei Jahren“, stellt das Erkennen eines immer wiederkehrenden zeitlichen Musters einen Anker dar, der Halt und Orientierung zu bieten vermag. Aus diesem Grund kann es durchaus sinnvoll sein, mehr außerhäusliche Betreuung in Anspruch zu nehmen, als die Erwerbstätigkeit der Eltern erforderlich machen würde, wenn dadurch für das Kind Abläufe antizipierbar, vorhersehbar werden und damit auch mit weniger Unsicherheit und Angst verbunden sind.

Maximale Betreuungsflexibilität – aus Sicht des Erwerbslebens und der Wirtschaft durchaus erstrebenswert – bedeutet für das Kind häufig nichts anderes als ständig wechselnde Abläufe und ein stetes Kommen und Gehen, das für das Kind nicht nachvollziehbar ist – ein Umfeld, das für die Etablierung von Freundschaften und eines Wir-Gefühls nicht förderlich ist.
Förderliches Umfeld

Mit dem Vorhandensein stabiler Beziehungen zu Betreuungspersonen und anderen Kindern sowie einer für das Kind nachvollziehbaren Vorhersagbarkeit von zeitlichen Abläufen sind die wesentlichen Voraussetzungen gegeben, damit das Kind aus einem subjektiven Gefühl der Sicherheit heraus sein Umfeld erkunden und Neues lernen kann. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist nun, dass dieses Umfeld auch so gestaltet sein soll, dass die individuelle Weiterentwicklung gefördert wird.

Folgende Faktoren vermögen einen wesentlichen Beitrag zu leisten, dass die Fremdbetreuung das Leben des Kindes bereichert und es in seiner emotionalen, kognitiven und sozialen Entwicklung unterstützt wird:

  • entsprechende räumliche Gegebenheiten im Haus und im Freien, die dem Bewegungsbedürfnisder Kinder angepasst sind,
  • altersangemessene Möglichkeiten, um allein und gemeinsam zu spielen, zu lernen und Spaß zu haben und
  • ein pädagogisches Konzept, das das Kind in seiner Individualität respektiert.

Dabei ist es von zentraler Bedeutung, das Kind „dort abzuholen, wo es gerade steht“, indem die aktuelle Entwicklungsphase, in der sich das Kind gerade befindet, aber auch das individuelle Temperament des Kindes sowie gegebenenfalls sein ethnischer/kultureller Hintergrund ausreichend Berücksichtigung finden.
Die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung

Neben den genannten Eckpfeilern einer kindgerechten außerfamilialen Betreuung existiert noch ein weiterer wesentlicher Faktor, der ausschlaggebend dafür ist, ob das Kind unter der Fremdbetreuung leidet oder im Gegenteil davon zu profitieren vermag. Es sind die Erfahrungen im Elternhaus und die Interaktion mit den eigenen Eltern, die die Basis für weitere Beziehungssysteme wie zum Beispiel jenes in einer Kinderkrippe bilden und maßgeblichen Einfluss auf das Erleben der Fremdbetreuung ausüben. Wenn im familiären Zusammenhang Halt und Geborgenheit vermittelt werden kann, das Kind sich angenommen und geliebt fühlt und ein einfühlsames Eingehen auf seine Bedürfnisse erleben darf, ist es aus dieser Sicherheit heraus auch fähig, kurzzeitige Trennungserlebnisse zu bewältigen. In weiterer Folge ermöglicht diese Sicherheit dem Kind, sich auch auf ein neues Umfeld und andere Menschen einzulassen und diese als Bereicherung zu erleben.

Literatur

Sabine Buchebner-Ferstl, Sonja Dörfler, Michael Kinn: Kindgerechte außerfamiliale Kinderbetreuung für unter 3-Jährige. ( ÖIF-Working paper Nr. 72 / 2009 als Download )

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Dr. Sabine Buchebner-Ferstl, wissenschaftl. Mitarbeiterin am ÖIF der Universität Wien

E-Mail

Quelle

beziehungsweise Mai 2009, S. 1 – 3

Abdruck mit freundlicher Genehmigung

Erstellt am 23. Juni 2009, zuletzt geändert am 21. Oktober 2011