Gute Krippen – gut für Kinder!

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll
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Für Kleinkinder macht es einen großen Unterschied, ob sie eine Kinderkrippe mit guter oder schlechter Qualität besuchen. Sie erleben tagtäglich über viele Stunden die Qualität am eigenen Leib. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass die Qualität in der Kinderkrippe sich auf die Entwicklung der Kinder auswirkt. Gute pädagogische Qualität erkennt man daran, dass sowohl die körperlichen als auch die seelischen Bedürfnisse aller Kinder im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit stehen und feinfühlig von vertrauten Bezugspersonen beantwortet werden.

Könnte man Kinder in den ersten drei Lebensjahren fragen, welchen Anspruch sie an die Qualität in Kindertageseinrichtungen haben, würden sie antworten: Eine Kita ist dann gut für uns, wenn wir uns wohl, wertgeschätzt und unterstützt fühlen.

Qualität in Krippen geht vom Kind aus

Das Verständnis von Qualität in Kindertageseinrichtungen muss sich vom Kind und seinen entwicklungsspezifischen Bedürfnissen her ableiten. Damit sind sowohl die physischen Grundbedürfnisse nach Schutz vor Kälte und Hitze, nach Nahrung, nach Sauberkeit und körperlicher Unversehrtheit als auch die psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Kompetenz- und Autonomieerleben gemeint.

Wenn man diesen Grundsatz ernst nimmt, wird deutlich, dass das Verständnis von frühpädagogischer Qualität nicht von einem spezifischen pädagogischen Ansatz abhängig gemacht werden kann (z.B. ob nach Montessori, Steiner oder eher nach Reggio-Pädagogik gearbeitet wird), sondern sich vielmehr grundsätzlich darin zeigt, inwiefern die Bedürfnisse der Kinder befriedigt werden und ihre Entwicklung altersangemessen unterstützt wird. Gleichzeitig müssen die verschiedenen Aspekte der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in der Kindertageseinrichtung und ihre Gelingensbedingungen betrachtet werden.

Die Rahmenbedingungen sind für Qualität wichtig

Die bestehenden und genutzten strukturellen Bedingungen stellen den Rahmen dar, in welchem die täglichen interaktiven Prozesse der pädagogischen Fachkräfte mit den Kindern stattfinden und die eigentliche pädagogische Qualität prägen. Pädagogische Qualität ist dann gegeben, wenn die jeweiligen pädagogischen Orientierungen, Strukturen und Prozesse das körperliche, emotionale, soziale und intellektuelle Wohlbefinden und die Entwicklung und Bildung der Kinder in diesen Bereichen aktuell wie auch auf Zukunft gerichtet fördern. Dabei kommt es darauf an, das stellvertretend wahrgenommene Interesse des Kindes an guter Bildung, Betreuung und Erziehung in den Mittelpunkt zu stellen und damit die Qualität grundsätzlich aus Kindperspektive zu betrachten und zu bewerten.

Qualität in Kindertageseinrichtung braucht gute Arbeitsbedingungen

Die Arbeit mit der jüngsten Altersgruppe ist sehr herausfordernd und stellt hohe Ansprüche an die Belastbarkeit des Personals. Nicht immer werden die Arbeitsbedingungen als ausreichend und unterstützend erlebt. Vor allem eine hohe Fluktuation im Team, knappe Personalressourcen (ohne Personalreserven bei kurzfristigem Personalausfall, z.B. bei Krankheit oder bei erhöhtem Personalbedarf, z.B. während der Eingewöhnung) und Zeitmangel im Tagesablauf tragen dazu bei, dass Fachkräfte immer wieder an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Für die pädagogischen Teams bedeutet eine gute Qualität in Kindertageseinrichtungen die Gewährleistung von Arbeitsbedingungen, unter welchen sich Anforderungen und Ressourcen die Waage halten.

Pädagogische Qualität wirkt sich auf Kinder aus

Mittlerweile gibt es eine wachsende Anzahl von Studien, die Zusammenhänge zwischen der Qualität außerfamiliärer Betreuung und dem Entwicklungsstand von Kindern in Sprache, Kognition und sozial-emotionalen Kompetenzen. Insbesondere die Daten der amerikanischen NICHD-Studie belegen empirisch sowohl den Einfluss von Familienfaktoren als auch den der außerfamiliären Betreuung auf die kindliche Entwicklung. So fanden sich beispielsweise längsschnittliche Zusammenhänge zwischen einer niedrigen Qualität der außerfamiliären Betreuung und späterem externalisierendem Problemverhalten der Kinder: Negative Effekte des Besuchs einer Kindertageseinrichtung mit niedriger Qualität zeigten sich vor allem dann, wenn die die Kinder sehr viel Zeit in der Einrichtung verbrachten und wenn die Gruppen sehr groß waren. Zwar fielen die Effektstärken der Einrichtungsqualität insbesondere im Vergleich zu dem Einfluss der Familie eher gering aus, dennoch dürfen diese Einflüsse in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Bei Kindern, die in ihren Familien keine ideale Betreuung erfahren, kann eine außerfamiliäre Betreuung mit ausgezeichneter Qualität kompensatorisch wirken und Defiziten in der sozialen Entwicklung sowie Problemverhalten vorbeugen. Erfahren diese Kinder dagegen auch in der außerfamiliären Betreuung eine niedrige Qualität, so wirkt sich dies zusätzlich negativ auf ihre Entwicklung aus.

Qualität heißt auf das einzelne Kind eingehen und die Gruppe im Blick behalten

Grundlegend wichtig für das Gelingen von Qualität in Krippen scheint also die Kompetenz der Erzieherin zu sein, Interaktionen individuell abgestimmt auf das einzelne Kind zu gestalten, ohne dabei das Gruppengeschehen aus dem Auge zu verlieren. Somit sind Voraussetzungen für gelingende Bildungsprozesse schon in der Krippe

1) eine hohe individuelle Beziehungsqualität zwischen Erzieherin und Kind,
2) hohe Feinfühligkeit der Erzieherin auch gegenüber der Gruppe der Kinder
3) sowie eine gute Organisation der Lernsituation.

Diese hohe Interaktionsqualität kann für Kinder in Krippen nur dann tagtäglich erlebbar sein, wenn die Erzieherinnen, die mit den Kindern arbeiten, genügend Zeit und Ressourcen haben, um ihre Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder aber auch der Gruppe zu richten.

Fachbuchempfehlung

Becker-Stoll, F., Niesel R., Wertfein, M. (2014). Handbuch Kinderkrippe. So gelingt Qualität in der Tagesbetreuung. Freiburg im Breisgau: Herder.

Fachtexte

  • Beckh, K., Mayer, D., Berkic, J. & Becker-Stoll, F. (2014). Der Einfluss der Einrichtungsqualität auf die sprachliche und sozial-emotionale Entwicklung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Frühe Bildung, 3(2), 73-81.
  • Mayer, D., Beckh, K., & Becker-Stoll, F. (2014). Erzieherin-Kind-Beziehungen – Die Bedeutung für die kindliche Entwicklung. TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, 1, 28-31.

Autorin

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Dipl.-Psychologin, seit 2006 Leiterin des Staatsinstitutes für Frühpädagogik (IFP). Studium der Psychologie und Pädagogik an der Universität Regensburg. Promotion 1997 bei Klaus Grossmann im Bereich der Bindungsforschung. Anschließend wissenschaftliche Mitarbeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. 2005 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 2012 APL Professur an der LMU München. Forschungsschwerpunkte: Bindungsentwicklung von der Kindheit bis zum Jugendalter, frühkindliche Bildungsprozesse, Qualitätsbedingungen frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

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Erstellt am 7. Mai 2008, zuletzt geändert am 17. Juli 2015

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