Die richtige Schule für mein Kind: Orientierung für Eltern
Inge Michels
In dem Moment, wo es um die schulische Zukunft des eigenen Kindes geht, fühlen viele Eltern sich so verunsichert wie sonst selten. Das ist kein Wunder. Die unterschiedlichen Schulformen und Schulprofile, aber auch die familiären Lebenslagen stellen sich heute so differenziert dar, sind häufig so wenig vergleichbar, dass es sich lohnt, genau abzuwägen: Was ist für mein Kind eine gute Schule, und welches ist für unsere Familie die richtige Schule? Selten gibt es die eine richtige Schule. Eltern müssen vielmehr gemeinsam mit ihren Kindern einen Abwägungsprozess bewältigen.
Drei Beispiele:
Zwei beste Freundinnen, Merle und Lisa: Merle hat eine Gymnasialempfehlung, Lisa eine eingeschränkte. Merles Eltern bevorzugen die Schulform Gesamtschule, Lisas Eltern möchten ihre Tochter gerne auf dem Gymnasium sehen. Es gab ein zähes Ringen, mehrere Schulbesuche der Eltern, bei den Mädchen flossen einige Tränen. Nun gehen Merle und Lisa in die 5. Klasse einer Gesamtschule. Sie hatten großes Glück, denn die Schule hat einen so großen Zulauf auch von Kindern mit einer Gymnasialempfehlung, dass lange nicht klar war, ob die Freundinnen zusammen bleiben würden. Lisas Eltern haben sich nun vorgenommen, alles dafür zu tun, damit ihre Tochter an der Gesamtschule das Abitur bestehen wird.
Tom wohnt mit seinen Eltern genau neben einem Schulzentrum mit Haupt- und Realschule sowie einem Gymnasium. Toms Mutter, alleinerziehend und voll berufstätig, entschied sich nach langem Abwägen und unter Zuhilfenahme einer Prioritätenliste gegen die räumliche Nähe: Tom würde an einer Jungen-Realschule in kirchlicher Trägerschaft am anderen Ende der Stadt angemeldet werden. Die Vorteile aus Sicht der Mutter: das pädagogische Konzept der eher kleinen, dreizügigen Schule, der klar rhythmisierte Ganztag ohne Hausaufgaben und die Nähe zur Wohnung von Toms Vater. Und was sagt Tom? „Kirche, na ja. Cool ist, dass ich meinen Vater häufiger sehen werde“.
Für Niklas war schon bei der Geburt klar, wie sein Bildungsweg verlaufen würde. Seine Eltern waren in dem Stadtteil geboren, in dem er aufwuchs und meldeten ihren Sohn erst in der Kita und dann in der Grundschule an, die sie bereits selbst besucht hatten. Die Wahl des Gymnasiums war auch schnell geklärt: Es würde die Schule sein, an der sein Vater Abitur gemacht hatte und die den großen Vorteil hatte, dass Niklas Oma um die Ecke wohnt. Dort könnte Niklas mittags essen, wenn seine Teilzeit berufstätige Mutter Überstunden machen müsse. „Stabilität“ so argumentieren die Eltern, „ist bei dem Förderwahn heute ein unterschätzter Aspekt“.
Drei Familien, drei Haltungen, drei Entscheidungswege. Was deutlich wird: Eltern sollten nicht nur ihr Kind gut kennen, sondern auch ihre eigenen Einstellungen und Prioritäten abwägen und gegenüber ihren Kindern formulieren. Die richtige Schule ist deshalb jene, die zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Leistungsfreude, Leistungsfähigkeit und zur Persönlichkeit eines Kindes passt, aber ebenso zu den Werten und zum (beruflichen) Alltag seiner Familie. Eine gute Schule wiederum ist jene, die es sich zur Aufgabe macht, jedes aufgenommene Kind bestmöglich zu unterstützen und zu einem Abschluss zu bringen.
„Wir stehen hinter dir“
Kinder, das weiß man heute, bewältigen Übergänge im Bildungssystem am besten, wenn ihre Eltern hinter Kind und Schule stehen. „Wir haben viele Argumente abgewogen und sind überzeugt, zum jetzigen Zeitpunkt für dich und für uns als Familie die richtige Wahl getroffen zu haben“. Ein solcher oder ähnlich formulierter Satz entlastet alle Beteiligten und ermöglicht dem Kind einen guten Start. Ein solcher Satz entlastet aber vor allem die Eltern davon, eine Entscheidung treffen zu müssen, die immer und in jedem Fall für die kommenden Jahre richtig sein muss.
Gerade die Schullaufbahn eines Kindes lässt sich nicht präzise voraussagen. Ob die Wahl der Schule sich für viele Jahre als richtig oder leider doch ungünstig erweist, das bleibt offen. Nicht zuletzt ist manches einfach auch Glückssache: In einer vermeintlich guten Schule kann ein Kind genau die Lehrer bekommen, der die Schule selbst liebend gerne kündigen würde. In einer vermeintlich nicht so guten Schule kann ein Kind das Glück haben, auf eine Lehrkraft zu treffen, der es gelingt, das Kind im besonderen Maße zum Lernen zu ermuntern.
Welche konkreten Anhaltspunkte gibt es – bei aller Unwägbarkeit – dennoch, an denen sich Eltern orientieren können, wenn sie eine gute Schule suchen, die die richtige für ihr Kind ist? Die Jury des Deutschen Schulpreises nennt folgende Kriterien:
- Leistung
- Umgang mit Vielfalt
- Unterrichtsqualität
- Verantwortung
- Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner
- Schule als lernende Institution
Diese Ansprüche stecken hinter den Kriterien (hier leicht gekürzt und angepasst, ausführlich hier)
Leistung
Leistungsstarke Schulen erzielen z. B. besondere Schülerleistung in den Kernfächern, im künstlerischen Bereich, im Sport oder in anderen wichtigen Bereichen (z. B. Projektarbeit, Wettbewerbe).
Umgang mit Vielfalt
Eltern können bei diesem Kriterium z. B. darauf achten, ob eine Schule Mittel und Wege gefunden hat, produktiv mit den unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen, Interessen und Leistungsmöglichkeiten, mit kultureller und nationaler Herkunft, Bildungshintergrund der Familie und mit dem Geschlecht ihrer Schülerinnen und Schüler umzugehen.
Unterrichtsqualität
Eine gute Unterrichtsqualität zeigt sich z. B. darin, dass Schulen dafür sorgen, dass die Schüler ihr Lernen selbst in die Hand nehmen. Solche Schulen ermöglichen häufig auch ein praxisorientiertes Lernen an außerschulischen Lernorten und verbessern die Arbeit von Lehrern kontinuierlich mit Hilfe neuer Erkenntnisse.
Verantwortung
Verantwortungsvolle Schulen legen einen Schwerpunkt auf einen achtungsvollen Umgang miteinander und verfügen über Methoden und langfristige Strategien zur gewaltfreien Konfliktlösung. Sie fördern Mitwirkung und demokratisches Engagement, Eigeninitiative und Gemeinsinn sowohl im Unterricht als auch außerschulisch und fordern dies auch ein.
Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner
Bei diesem Kriterium achtet die Jury des Deutschen Schulpreises auf ein gutes Klima zwischen allen am Schulleben beteiligten (dazu gehören auch die Eltern), auf ein insgesamt anregungsreiches Schulleben und auf fruchtbare Beziehungen zu außerschulischen Personen und Institutionen sowie zur Öffentlichkeit.
Schule als lernende Institution
Schulen, die neue und ergebnisorientierte Formen der Zusammenarbeit des Kollegiums, der Führung und des demokratischen Managements praktizieren und die Motivation und Professionalität ihrer Lehrer planvoll fördern, gelten als lernbereite Schulen. Eltern können z. B. danach fragen, welche Methoden der Evaluation angewendet und wie die Ergebnisse transparent gemacht und umgesetzt werden.
Eine besondere Qualität von Lehren und Lernen: das Schulklima
Grundsätzlich gelingt es einer guten Schule, zwei Ziele in ein Gleichgewicht zu bringen, die in einem Spannungsverhältnis zueinander zu stehen scheinen. Zum einen erreichen gute Schulen, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Begabungen individuell hohe Leistungen erreichen; gemessen an ihrer jeweiligen Ausgangslage. Zum anderen weisen sich gute Schulen durch ein gutes Klima aus. Ein gutes Klima ist dabei viel mehr als ein Wohlfühlambiente. Es steht für eine eigene Qualität von Lehren und Lernen. Diese Qualität zeichnet sich dadurch aus, dass alle Leistungen, nicht nur die kognitiven, grundsätzlich anerkannt und wertgeschätzt werden. Unter Experten gilt ein gutes Klima an einer Schule in jeder Hinsicht als leistungsfördernd und außerdem – ein nicht unerheblicher Nebeneffekt – als beste Prävention gegen Gewalt. Von Kindern weiß man: Sie gehen vor allem anderen wegen der sozialen Beziehungen zur Schule. Ein gutes Klima fördert diese.
Da stellt sich die Frage: Woran erkennen Eltern ein gutes Klima? Das ist gar nicht so schwer, denn Schüler, Lehrer und weiteres Schulpersonal zeigen durch ihr Verhalten, ob sie selbst gerne in die Schule gehen. Darauf können Eltern achten, wenn sie einen Tag der offenen Tür besuchen oder eine andere Gelegenheit wahrnehmen, sich eine Schule anzuschauen:
- Wie freundlich und hilfsbereit beantwortet man im Sekretariat Fragen von Eltern?
- Grüßen sich Lehrer und Schüler im Schulgebäude, und wie tun sie es?
- Werden Eltern gegrüßt, wenn sie durch das Schulgebäude gehen?
- Wie ist der Umgangston unter den Schülern, wenn sie in den Pausen spielen oder in Gruppen zusammenstehen?
- Stehen die Türen offen, etwa die zum Sekretariat, zum Büro der Schulleitung oder zu den Klassenräumen?
- Findet der Unterricht in einer entspannten, den Schülern zugewandten Atmosphäre statt?
- Zeugt das Schulgelände davon, dass sich die Schulgemeinschaft um Räume, Flure und Außenanlagen kümmert und sie gestaltet?
Gute Schulen haben nichts zu verbergen
Grundsätzlich können Eltern davon ausgehen: Gute Schulen haben nichts zu verbergen. Sie sind stolz auf Schulklima und Leistung und bereit, auch kritischen Beobachtungen von Eltern zuzuhören und ihre interessierten Fragen zu beantworten. Danach können Eltern z. B. fragen:
Fragen (hier gekürzt, ausführlich in Michels/Lüke 2013 siehe Literatur am Ende des Textes)
… an den Schulleiter:
- Was finden Sie an Ihrer eigenen Schule gut gelungen, was lässt sich verbessern?
- Mit welchen systematischen Verfahren ermitteln und verbessern Sie die Qualität der Schule?
… an die Lehrer:
- Besuchen sich Fachkollegen gegenseitig im Unterricht und arbeiten im Team?
- Wie oft besuchen Sie Fortbildungen?
- Wie wird der Vertretungsunterricht organisiert?
… an die Elternvertreter:
- Fühlen Sie sich von der Schulleitung gut informiert?
- Gehen Ihre Kinder gerne zur Schule?
- Nehmen sich Lehrer und Schulleitung bereitwillig Zeit für Gespräche?
… an die Schüler:
- Wie hilft man dir, wenn du in einem Fach Unterstützung brauchst?
- Hast du schon mal überlegt, die Schule zu wechseln?
- Hast du hier gute Freunde gefunden?
Auf den Übergang kommt es an
Kinder mit einem soliden Selbstbewusstsein und stabilen, guten Noten kommen mit großer Wahrscheinlichkeit an jeder Schule zurecht. In aller Regel wissen Eltern zum Ende der Grundschulzeit jedoch noch nicht zuverlässig, welcher Lern- und Leistungstyp ihr Kind ist. Auch die Entwicklung der Persönlichkeit ist noch längst nicht abgeschlossen. Sie wissen auch nicht, ob ihre Familie stabil bleibt oder ob Trennungen, Krankheiten oder andere belastende Ereignisse das Zutrauen des Kindes in sich und seine Familie erschüttern. Wie Lehrerinnen und Lehrer mit Übergängen, Entwicklungen und Krisen der Kinder und ihrer Familien umgehen bzw. darauf vorbereitet sind, daran zeigt sich aus Sicht der Autorin ganz besonders die Qualität einer Schule.
Eltern erkennen diese Qualität z. B. daran, dass eine Schule eigene Konzepte entwickelt und umsetzt, mit denen die Kinder in den Eingangsklassen (das gilt für alle Schulformen) an die Klassengemeinschaft und die Abläufe in der Schule heran geführt sowie mit den Leistungsanforderungen vertraut gemacht werden. Kinder, die an ihrer neuen Schule gut ankommen und damit einen anspruchsvollen Übergang gemeistert haben, gewinnen großes Selbstvertrauen und sind bereit, sich im Unterricht anzustrengen. Wenn Schulen sich für diese ersten Monate viel und durchdacht Zeit nehmen, dann ist das schon mal ein gutes Zeichen.
Bei aller Ungewissheit gilt: Über die Schulform sollten die Eltern entscheiden. Wenn es danach um die Wahl der passenden Schule geht, sollten sie die Wünsche ihrer Kinder respektieren. Sie sind es, die sich jeden Morgen auf den Weg machen müssen, sich in der Klasse wohlfühlen und ihre Schule zunächst einmal „toll“ finden sollten.
Literatur
- Boldt,Ulrich/Wohne, Kerstin (2013): „Im 6. Jahrgang sind alle im Umbruch“. Ein Gruppengespräch in der Schule, in: „Schüler. Wissen für Lehrer“, Zeitschrift, Schwerpunkt „Pubertät“, Friedrich Verlag.
- Gugel, Günter (2012): „Auf die Haltung kommt es an. Denkanstoß zur schulischen Gewaltprävention“, in: „Schüler. Wissen für Lehrer“, Zeitschrift, Schwerpunkt „Gewalt“, Friedrich Verlag.
- Michels, Inge/Lüke, Stephan (2013): „Was Eltern bewegt: Die richtige Schule“, Klett/Kallmeyer.
- Schratz, Michael/ Pant, Hans Anand/ Wischer, Petra (Hrsg.): „Was für Schulen!“, Jahresbände zum Deutschen Schulpreis, Klett/Kallmeyer.
- Seydel, Otto (2011): „Vom Weggehen und Ankommen“. Warum ein Übergang keine Rennstrecke ist, in: Friedrich Jahresheft, Friedrich Verlag.
Link
Autorin
Inge Michels ist Diplom-Pädagogin und Journalistin. Sie arbeitet freiberuflich als Bildungsjournalistin, Trainerin und Moderatorin von Fachveranstaltungen (www.bildung-moderieren.de, www.familientext.de).
Kontakt
Erstellt am 4. März 2015, zuletzt geändert am 4. März 2015