Kinder und Fernsehen – über den richtigen Umgang

Evelyne Muck
Emuck

 

 

Schon kleine Kinder sind von den bunten, bewegten Bildern des Fernsehens fasziniert. Da Kinder ein Bedürfnis nach Tagträumen haben, macht es ihnen viel Freude dieses Medium zu nutzen. Zwar wird ihr Bedürfnis, dem Alltag mit seinen Problemen und Erfordernissen zu entfliehen, auch durch Vorlesen und Geschichtenerzählen befriedigt, das Fernsehen jedoch kann Kinder in einen noch stärkeren Bann ziehen, da es mit Geräuschen, Farben, Musik usw. arbeitet. Das Fernsehen stillt auch das Bedürfnis von Kindern nach Freiheit und Abenteuer, die in unserer modernen Gesellschaft – und das gilt natürlich besonders für Großstädte – nicht erlebbar sind. Der Fernseher fungiert somit als eine Art Ersatzbefriedigung. Spaß und Spannung werden damit aus “zweiter Hand” erlebt. Fernsehen verringert Einsamkeit und Langeweile und ermöglicht den Kindern die Identifikation mit Figuren, die über Eigenschaften wie Stärke und Macht verfügen.

Doch das Fernsehen birgt auch viele Risiken, deshalb: Fernsehen will gelernt sein!

Kinder erleben Fernsehen anders als Erwachsene

Der Unterschied zwischen der Erlebnisweise von Kindern und Erwachsenen zeigt sich umso deutlicher, je jünger das Kind ist. Kinder nehmen Eindrücke anders wahr und verarbeiten sie anders als Erwachsene. Sie müssen Fernsehen erst erlernen.

Kindergarten- und Vorschulkinder
Die 3-6jährigen können die einzelnen Filmsequenzen, wenn sie die Geschichte erzählen sollen, nur aneinander reihen, kausale Zusammenhänge oder Rückblenden hingegen bleiben ihnen noch verborgen bzw. unverständlich. Das bedeutet, dass diese Altersgruppe einfache “Muster” , wie z. B. Gut und Böse und Mutig und Feige benötigt. Kinder in diesem Alter polarisieren stark und benötigen darum Filmfiguren auf die sie dieses Schema anwenden können. Komplizierteren (realen) Charakteren ( “Der soll Gut sein, tut aber gerade etwas Böses?” ) können sie noch nicht folgen. Desweiteren kann das Kind noch nicht begreifen, dass das, was im Fernsehen stattfindet nicht die Wirklichkeit ist. Es hält das Gesehene für ebenso real wie die Umwelt um es herum. Somit erleben Kinder eine Szene so als wären sie Teil der selbigen. Erst im Vorschulalter begreifen Kinder allmählich, dass es sich um eine Geschichte handelt. Grundsätzlich gilt in jedem Alter: das Kind muss verstehen, was es ansieht, um es verarbeiten zu können. Kann es dies nicht, können Probleme entstehen, da die “unverdauten Inhalte” sozusagen im Untergrund weiter rumoren. So empfiehlt sich für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter z. B. die viel gepriesene “Sendung mit der Maus” . Sie ist durch die immer gleichen Moderatoren und Tiere übersichtlich gestaltet, die Filmszenen sind kurz, die Sachinformationen altersgemäß dargeboten, schnelle Bildwechsel sind vermieden.

Grundschulkinder
Grundschulkinder können bereits zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden, Kausalzusammenhänge erkennen, sowie sich in die einzelnen Filmfiguren einfühlen. Dennoch benötigen sie noch ein moderates Tempo und nur eine Erzählebene. Weist ein Film diese Merkmale nicht auf, entsteht auch hier Überforderung.

Ältere Schulkinder

Ab dem Alter von 11-12 Jahren sehen Kinder fast wie die Erwachsenen fern: durch die bereits gute Entwicklung des logischen Denkens können sie der Handlung gut folgen. Doch Vorsicht: Kinder dieser Altersstufe sind noch nicht in der Lage, sich von den dargebotenen Inhalten so wie Erwachsene zu distanzieren!

Resümee

Da Kinder – und vor allem die kleineren – vom Filmgeschehen ganz vereinnahmt werden, sollten Eltern darauf achten, dass der Film insgesamt nicht zu spannend ist, d. h. genügend Pausen zur Entspannung bietet, dass die Musik und Geräuschuntermalung nicht zu aufregend sind und dass der Film insgesamt nicht zu lange ist. Bei einem dreijährigen Kind sollten 20-30 Minuten nicht überschritten werden. So ließe sich ein Video in mehre Sequenzen zerteilen, zwischen denen Erholungspausen eingelegt werden können.

Wie dem Kind die Sendung bekommt läßt sich an dessen körperlichen Reaktionen erkennen: Da das Kind ganz mitfühlt und miterlebt, kaut es bei zu großer Aufregung z. B. an den Nägeln oder den Haarspitzen, hält sich die Augen oder Ohren zu, versteckt sich etc. Überforderungen sind jedoch mit dem Ende des Films “nicht gegessen” , sondern können eine höhere Körpertemperatur (rote Ohren!), eine Erhöhung der Herzschlagrate und Alpträume zur Folge haben.

Desweiteren sollten Eltern von Kindern aller Altersgruppen darauf achten, dass zwischen Fernsehen und Zubettgehen eine Zeitspanne liegt, in der das Kind spielen und die Filminhalte verarbeiten kann, indem es sie z. B. noch einmal nachspielt. Bei größeren Kindern findet Verarbeitung in Form von Sprache statt. D. h. die Kinder reden miteinander oder mit ihren Eltern während oder nach dem Film über das Gesehene und verarbeiten es auf diese Weise.

Günstig ist es für jede Altersstufe, wenn die Eltern öfters einmal mit sehen und den kleineren Kindern durch ihre körperliche Präsenz Sicherheit geben. Mit den größeren sollten die Eltern einfühlsam über die Inhalte – und natürlich gerade über die problematischen – reden. Schließlich ist es sehr wichtig, dass der Film ein Happyend aufweist und dass das Kind dieses möglichst noch sehen kann. Denn nur dadurch kann es sich wieder richtig entspannen.

Wie wirkt Gewalt im Fernsehen?

Gerade durch das Privatfernsehen stieg die Darstellung von Gewalt in beträchtlichem Maße an. Viele wissenschaftliche Studien haben sich diesem Thema gewidmet und untersucht, wie sich dies auf den Zuschauer auswirkt. Über die Wirkung gibt es verschiedene Thesen:

  • Die Stimulationshypothese: Sie besagt, dass der Fernsehzuschauer umso gewalttätiger wird, je mehr Gewaltszenen er ansieht.
  • Die Habitualisierungshypothese: Fernsehgewalt läßt den Zuschauer abstumpfen, da er sich an die Gewalt gewöhnt. Die Folge ist mangelnde Mitleidsfähigkeit.
  • Die Katharsistheorie: Der Zuschauer kann durch die dargestellte Gewalt seine eigenen Aggressionen abbauen.
  • Inhibitionshypothese: Wenn im Film die Gewalt sozial geächtet wird, führt dies zu einer Hemmung der Gewaltbereitschaft beim Zuschauer.

Trotz der Plausibilität aller vier Ansätze konnte bisher keine sicher bewiesen werden. Fest steht jedoch, dass sich Gewalt “irgendwie” auswirkt. Dies ist jedoch in nicht geringem Maße von der Persönlichkeit des Zuschauers abhängig. Plausibel scheint jedoch, dass Kinder nicht nur ihr tatsächliches soziales Umfeld nachahmen, sondern dass sie auch (in Bezug auf Gewalt) von ihren Filmhelden lernen. Davon sind natürlich besonders die Jungen betroffen, da sie traditionell Gewalt ausüben und ihnen dies in Filmen als männliches Rollenvorbild angeboten wird.

Werbung – gar nicht so ohne!

Aufgrund der vielen Werbeunterbrechungen kommt man heute um Fernsehwerbung kaum herum. Außerdem sehen Kinder gerne Werbung. Sie ist bunt, eingängig, manchmal sogar witzig und vermittelt eine heile Welt (wenn nur der Kaffee in Ordnung ist!), die auf Kinder anziehend wirkt. Bedenken sind jedoch gerechtfertigt und zwar weil,

  • Werbung faktisch Falsches vermittelt, wie: Am glücklichsten ist, wer am meisten kaufen kann bzw. das Richtige kauft! Eine gute Hausfrau ist leicht durch den Kauf des richtigen Waschmittels zu befriedigen (was gleich zwei Irrtümer beinhaltet: “Hausfrauen sind so anspruchslos, dass sie in strahlend weißer oder nie verbleichender bunter Wäsche ihr Glück finden” und “Es gibt das Waschpulver, das alles kann” ). Der Genuss von Alkohol ist zum Verleben eines schönen Feierabends unabdingbar.
  • Werbung nicht kognitiv, sondern emotional erfaßt wird, weshalb der Zuschauer sich besonders schlecht davon distanzieren kann.
  • Werbung suggeriert, dass alle Probleme des Lebens mit der Wahl des richtigen Produkts in den Griff zu bekommen sind und das ohne selbst dafür etwas tun zu müssen (außer das Produkt zu kaufen natürlich!).

Insofern sind Eltern gefragt ihren Kindern zu helfen, mit Werbung kritisch umzugehen, d. h. sie zu durchschauen und ihren raffinierten Tricks auf die Spur zu kommen.

Zuguterletzt noch ein paar Tipps

Zum Thema Werte- und Normensystem
Überlegen Sie, ob das, was ihre Kinder sehen wollen, ihrem Werte- und Normensystem entspricht! Wenn nicht, läßt sich vielleicht auch eine Alternative zu einem späteren Zeitpunkt finden, wenn Sie Ihrem Kind das Fernsehen an diesem Tag nicht ganz versagen wollen.

Zum Thema Grenzen Setzen
Scheuen Sie Sich nicht Grenzen zu setzen. Dass andere Kinder mehr fernsehen dürfen als Ihr Kind, mag so sein, ist aber kein Grund Ihre wohlüberlegten Fernsehregeln zu verwerfen.

Zum Thema Geschlechtsrollenklischees
Überlegen Sie, ob Sie die oft noch in alter Manier dargebotenen Geschlechtsrollenklischees unkommentiert stehen lassen wollen. Müssen Frauen/Mädchen nachgiebig, hübsch, opferbereit sein? Müssen Männer/Jungen stark, durchsetzungsfähig, gewaltbereit sein? Es verfehlt seine Wirkung nicht, wenn Kinder diese Klischees nur oft genug dargeboten sehen.

Zum Thema Zappen
Versuchen Sie es zu vermeiden. Suchen Sie mit Ihrem Kind zusammen die Programme gezielt aus.

Zum Thema Reality-TV
Dort werden spektakuläre Unfälle und Verbrechen auf reißerische Weise dargestellt. Es kann passieren, dass dies zu einer übertriebenen Angst vor Unfällen oder Verbrechen führt. Außerdem wird der Zuschauer zum Voyeur, der sich vom Leid anderer unterhalten läßt.

Zum Thema Talkshows
Hier werden Probleme zwischen Menschen gezeigt, die sehr oberflächlich behandelt werden. Der Zuschauer wird auch hier zum Voyeur, anstatt Informationen aus einer zwischenmenschlichen Auseinandersetzung zu gewinnen.

Literatur

  • Lerchenmüller-Hilse, H. und Hilse, J.: Elternratgeber: Kinder und Fernsehen, München 1998
  • Greenglass, Esther, R.: Geschlechtsrolle als Schicksal, soziale und psychologische Aspekte weiblichen und männlichen Rollenverhaltens, Stuttgart 1986
  • Aufenanger, Stefan u. a.: Gutes Fernsehen, schlechtes Fernsehen? “Denkanstöße, Fakten und Tipps für Eltern und ErzieherInnen zum Thema Kinder und Fernsehen” , München 1996, überarbeitete und ergänzte Auflage 1999

Autorin

Evelyne Muck, Dipl.-Sozialpädagogin (FH)

Erstellt am 2. Oktober 2002, zuletzt geändert am 10. März 2010

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