Wie viel Fernsehen ist erlaubt?
Dr. Hans Eirich
Fernsehen ist für viele Kinder bereits im Vorschulalter interessant. Ist Fernsehen so beliebt, weil es an unterhaltsamen Beschäftigungsalternativen mangelt, sollten Eltern die Freizeitgestaltung überdenken. Oftmals bedient das Fernsehen jedoch auch Themen, für die sich Kinder entwicklungsbedingt interessieren. Sofern Eltern für kindgerechte Inhalte und eine zeitliche Beschränkung sorgen, können Kinder auch durch Fernsehen ihr Wissen erweitern und bestimmte Interessen entwickeln.
Fernsehen ist für viele Kinder bereits vom Vorschulalter an ein überaus attraktives Vergnügen, häufig ist es sogar so attraktiv, dass Eltern den Eindruck gewinnen, ihre Kinder könnten gar nicht genug davon kriegen. Dahinter steckt oft nichts anderes als ein Mangel an kurzweiligen und unterhaltsamen Beschäftigungsalternativen. In einem solchen Fall sollten Eltern, so gut es geht, für Abhilfe sorgen. Die meisten Kinder ziehen es nämlich vor, mit ihrem Vater, ihrer Mutter oder mit Freunden zu spielen, als alleine vor dem Fernseher zu sitzen. Die Wohnsituation der Familie, die Berufstätigkeit der Eltern, ein kleiner Bekanntenkreis und vieles mehr machen es freilich nicht immer leicht, dem Bedürfnis der Kinder nach gemeinsamem Spiel in der Wohnung oder im Freien nachzukommen.
Aber auch wenn es Alternativen gibt, kann es sein, dass Kinder viel fernsehen wollen. Dieser Wunsch kann seine Ursache darin haben, dass das Kind im Fernsehen die Themen wiederfindet, die momentan seinen Alltag bestimmen, die ihm Lösungen für die Aufgaben anbieten, die es nach dem augenblicklichen Stand seiner Entwicklung bewältigen muss. Beispiele für solche Themen sind: Erwachsen werden, klein gegen groß, sich benehmen, Trennungserlebnisse (etwa in Scheidungsfamilien), Übernahme der Geschlechtsrolle. Dies ist auch der Schlüssel zum Verständnis der kindlichen Vorliebe für schier endlose Wiederholungen: Solange die durch die Geschichten angesprochene Angst oder Herausforderung nicht gemeistert oder der in ihnen zum Ausdruck kommende Wunsch nicht erfüllt ist, bleiben die Geschichten interessant wie beim ersten Mal. Dies kann sich aber gleichsam von heute auf morgen ändern, nämlich dann, wenn das Thema endlich erledigt ist.
Nicht zuletzt können Kinder vom Fernsehen eine Menge lernen. Das gilt für sehenswerte Angebote wie beispielsweise die einhellig gelobte “Sendung mit der Maus” , aber leider ebenso für problematische Inhalte. Nicht nur können Kinder durch Fernsehen ihr Wissen erweitern, sie können dabei auch soziale Einstellungen lernen und bestimmte Interessen entwickeln. Eltern sollten sich deshalb unbedingt darum kümmern, was sich ihr Kind ansieht. Auch davon wird ihre Entscheidung abhängen, wie viel Fernsehen sie dem Kind erlauben.
Faustregeln und individuelle Bedürfnisse
Zur Beantwortung der Frage, wie lange ein Kind fernsehen darf, wurden Faustregeln aufgestellt, auf die ich gleich zu sprechen komme. Zuvor aber möchte ich betonen, dass Ihr Kind nicht mit einer pauschalen Entscheidung abgefertigt werden sollte, sondern es verdient hat, dass auf seine individuellen Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Lassen Sie sich also bitte, bevor Sie sich auf eine bestimmte Zeitdauer festlegen, die folgenden Fragen durch den Kopf gehen:
- Warum will mein Kind fernsehen? Will es sich entspannen? Will es etwas dazulernen? Will es sich die Langeweile vertreiben? Hat es keine Freunde, mit denen es spielen könnte? Ist es in einer schwierigen Situation? Sehe ich selbst oder mein Mann/meine Frau viel fern?
- Hat es sich die Sendung oder die Sendungen gezielt ausgesucht?
- Redet es mit mir über das, was es gesehen hat? Weiß ich überhaupt Bescheid darüber, was es sich ansieht? Habe ich genügend Kontakt zu ihm?
- Was hat es heute sonst noch gemacht? War es heute schon draußen beim Spielen?
- Schaut es alleine oder mit Freunden fern? Schaue ich oder mein Mann/meine Frau mit ihm zusammen fern? Will oder darf ich es bei dieser Sendung alleine fernsehen lassen?
- Wie verhält es sich vor dem Fernseher? Schaut es gebannt zu, langweilt es sich, ist es unkonzentriert und nicht bei der Sache? Wird es unruhig, ängstlich, angespannt oder nervös? Wirkt es bedrückt?
- Sollte es sich die Sendung bis zu Ende ansehen?
Wer sich über diese Fragen Gedanken macht, hat eine gute Grundlage, die Fernsehdauer für das eigene Kind an einem konkreten Nachmittag festzulegen nach der Leitlinie: Fernsehen sollte den Tagesablauf des Kindes nicht dominieren und das Kind nicht überfordern. Gerade im Hinblick auf die begrenzte Belastbarkeit wird man Kindern umso weniger Fernsehen “zumuten” , je jünger sie sind (und spät abends sollten kleine Kinder grundsätzlich nicht mehr fernsehen; ab 22.00 Uhr dürfen Filme ab 16 Jahren, ab 23.00 Uhr Filme ab 18 Jahren gezeigt werden).
Mit den Besonderheiten des eigenen Kindes im Kopf sollten dann die allgemeinen Zeitangaben, die in vielen Ratgebern zum Thema “Wie lange dürfen Kinder fernsehen?” zu finden sind, betrachtet und relativiert werden. Ich will an dieser Stelle die entsprechenden Angaben wiedergeben, die in der Elternbroschüre des Informationssets “Alles auf Empfang?”, herausgegeben von der Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (1995), enthalten sind (S. 29):
Vorschulkinder: |
30 Minuten täglich |
Kinder 6 - 8 Jahre: |
weniger als 1 Stunde täglich |
Kinder 9 - 10 Jahre: |
weniger als 1,5 Stunden täglich |
Quelle
Überarbeitete Fassung des Textes “Kinder und Fernsehen” aus “Das Haus” .
Literatur
- Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (Hrsg.). (1995). Informationsset “Alles auf Empfang?” , Familie und Fernsehen. München: Herausgeber.
- Barthelmes, J. (1999). Fernsehen und Computern in der Familie. München: Kösel.
- Rogge, J.-U. (1990). Kinder können fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit dem Medium. Reinbek: Rowohlt.
Weitere Beiträge des Autors hier in unserem Familienhandbuch
Autor
Dr. Hans Eirich, Dipl.-Psychologe
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
Kontakt
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D – 80797 München
Erstellt am 2. Juli 2001, zuletzt geändert am 24. November 2014