Familienarbeit ist für behinderte Eltern eine tägliche Herausforderung – Unterstützungsmöglichkeiten

Kerstin Blochberger
Blochberger

Eltern mit Behinderungen leben ihren Familienalltag oft unter erschwerten Bedingungen. Neben der eigenen Beeinträchtigung ist es oft die fehlende Barrierefreiheit in der unmittelbaren Umgebung, die den Alltag anstrengender werden lassen. Müttern und Vätern mit Behinderung wird oftmals weniger Elternkompetenz zugetraut, deshalb strengen sie sich oftmals besonders an, um allein zurecht zu kommen. Das kann die Situation zusätzlich erschweren.

Elternassistenz kann helfen, die Kinder selbstbestimmt zu erziehen. Die Hilfen für den Alltag sind aber meist einkommens- und vermögensabhängig und müssen beantragt erst werden. Bei der Beantragung helfen erfahrene Eltern mit Behinderung, die ein Modellprojekt für Elternassistenz ins Leben gerufen haben. Die Beraterinnen bieten auch Erfahrungsaustausch, Familienseminare und Fortbildungen an.

Familienalltag unter erschwerten Bedingungen

In Deutschland gibt es ca. 900.000 Eltern mit anerkannter Behinderung, die mit Kindern unter 18 Jahren zusammen leben. Noch einmal so viele Mütter und Väter haben chronische Erkrankungen und sind im Alltag dadurch eingeschränkt. Manche davon benötigen zur Ausübung ihrer Elternrolle zeitweise Assistenz.

Wenn behinderte Menschen Eltern werden oder bei Eintritt der Behinderung schon Kinder haben, müssen sie den Familienalltag meist unter schwierigeren Voraussetzungen bewältigen, als dies bei nichtbehinderten Eltern die Regel ist.

Für Frauen mit Geburtsbehinderungen gibt es noch immer zu wenig Ansprechpartner/innen, die eine Elternschaft unterstützen. So werden behinderte und chronisch kranke Frauen mit ihren Fragen zu Schwangerschaft und Geburt des Kindes von Fachkräften oft allein gelassen und fühlen sich nicht selten missverstanden. Zum Beispiel sind gehörlose Frauen aufgrund der Kommunikationsprobleme (Kinderarzt, Elternabende) häufig völlig auf sich gestellt. Für gelähmte Frauen kann schon die Zeugung eines Kindes mit Fragen nach alternativen Methoden beginnen. Das Wickeln und Transportieren des Kindes kann Schwierigkeiten bereiten, wenn die Hände oder Arme nicht so gut beweglich sind. Im Erziehungsalltag scheitern sie noch immer an baulichen Barrieren – so ist ein Besuch einer Eltern-Kind-Spielgruppe oftmals mit intensiver Suche nach einem rollstuhlzugänglichen Anbieter verbunden. Spielplätze sind ebenfalls selten berollbar.

Das schaffe ich alles allein! – Umgang mit eigenen Grenzen

Haben sich behinderte Menschen entgegen “wohlmeinender” Ratschläge dann doch für eigene Kinder entschieden, fällt es einigen später schwer, Hilfe bei der Familienarbeit in Anspruch zu nehmen. Überforderungssituationen kennen alle Eltern – auch nichtbehinderte. Was bei nichtbehinderten Eltern zum Alltag gehört (Babysitter, Großeltern, Nachbarn… oder auch professionelle Hilfe durch Erziehungsberatungsstellen), ist für behinderte Eltern manchmal ein schwieriger Schritt. Die Erfahrungen durch jahrelange Abhängigkeit von Hilfepersonen bei der eigenen Körperpflege haben ebenso Spuren hinterlassen wie die ausschließliche Erziehung zur Selbständigkeit in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die oftmals schlechte finanzielle Situation kommt noch dazu. Negative Reaktionen von Mitmenschen oder Mitarbeiter/innen in Jugendämtern und Beratungsstellen auf Fragen nach Hilfsangeboten sind nicht selten und können die Situation wesentlich verschlechtern. Manchmal setzt sich dann bei behinderten Eltern die Meinung fest: “Ich muss alles allein schaffen, ich werde es den anderen beweisen, dass ich das kann.”

Die erschwerten Bedingungen für behinderte Eltern führen nicht selten zu einer Verschärfung der Situation. Der Erfolgsdruck, eine besonders gute Mutter/ ein besonders guter Vater sein zu wollen, kann im Erziehungsalltag dazu führen, eigene Grenzen permanent zu überschreiten. Dass dies nicht der geeignete Weg ist, merken die Eltern spätestens dann, wenn sich der Gesundheitszustand verschlechtert.

Behinderte Eltern brauchen Unterstützung

Ob und wieviel Unterstützung behinderte Eltern bei der Familienarbeit benötigen, hängt von vielen Faktoren ab. Je besser die Wohnung und die Hilfsmittel auf die persönliche Situation abgestimmt sind, desto weniger Assistenz (personelle Hilfe) ist im Familienalltag nötig. Das schließt den Assistenzbedarf allerdings nicht ganz aus. So benötigt manche werdende behinderte Mutter eine Haushaltshilfe in der Schwangerschaft, weil sie z.B. mit dicker werdendem Bauch nicht mehr aus dem Rollstuhl heraus die Wohnung putzen kann, was zuvor kein Problem dargestellt hatte. Nach der Geburt ist oft ebenfalls Haushaltshilfe nötig, manchmal auch Hilfe beim Wickeln und Baden des Kindes.

Wenn die Eltern häufig Krankengymnastik oder auch Krankenhausaufenthalte haben, kann eine Kinderbetreuung in dieser Zeit wichtig werden, die die Kinder auch allein versorgen kann. Manche brauchen eine Assistenz für die Begleitung der Kinder zum Spazierengehen, auf dem Spielplatz oder zu Freizeitangeboten (Schwimmen, Musikunterricht, Sportverein etc.). Assistenz zur Begleitung des Kindes in die Kindertageseinrichtung oder Schule kann nur eine Notlösung sein, da die direkte Kontaktpflege der Eltern mit Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen und zu anderen Eltern eine wichtige Funktion für alle Beteiligten darstellt.

Im Anhang des Ratgebers “Assistenz bei der Familienarbeit für behinderte und chronisch kranke Eltern”, der Anfang 2002 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht wurde (Bestellung per Email: behinderte-eltern@gmx.de), gibt es eine Checkliste der eventuell benötigten Assistenzleistungen. Dort finden sich auch Hinweise für die Beantragung der finanziellen Unterstützung für die Assistenz. Das Sozialamt ist hier erster Ansprechpartner.

Was wird unter Elternassistenz verstanden

  • Elternassistenz unterstützt körper– und sinnesbehinderte Eltern den Alltag mit Kind selbstbestimmt zu gestalten und für dessen Wohl zu sorgen.
  • Die Eltern entscheiden selbst, wann, wo, wie und durch wen die Hilfen erfolgen. Erzieherische Belange bleiben in der Entscheidung der Eltern.
  • Die benötigten Leistungen der Elternassistenz unterscheiden sich je nach Lebenslage, familiärer Situation und Art der Behinderung oder chronischen Erkrankung.
  • Elternassistenz ersetzt nicht die persönliche Assistenz des behinderten Elternteils, die in anderen Lebensbereichen erforderlich sein kann.
  • Arbeitsfelder der Elternassistenz sind z. B.: Pflege und Versorgung des Kindes, Assistenz bei altersgerechter Entwicklung des Kindes, Haushalt, Begleitung außerhalb der Wohnung, Betreuung des Kindes während der Therapiezeiten des behinderten Elternteils

In einem 3-jährigen Modellprojekt erprobt der bbe e. V. mit Unterstützung von Aktion Mensch von 2013 bis 2016 in Erfurt und Hannover die Elternassistenz. In beiden Städten gibt es Beratungsstellen zur Unterstützung behinderter Eltern bei der Antragstellung und Vermittlung von Elternassistenten/innen.

Eltern mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Behinderungen stehen andere Hilfen wie Begleitete Elternschaft oder Patenschaften zur Verfügung, die meist über das Jugendamt mitfinanziert werden.

Assistenzmodell – welche Möglichkeiten und Risiken hat Assistenz bei der Familienarbeit?

Die notwendigen Tätigkeiten können verschiedenen Helfern übertragen werden. Wichtig ist, zuvor die Rolle zu klären: Wirkt die Helferin als Assistentin, hat sie die Funktion, die behinderungsbedingten Einschränkungen des behinderten Elternteiles auszugleichen. Dabei darf sie nicht die Elternrolle in Frage stellen. Das kann besonders schwierig sein, wenn Großeltern, Verwandte oder Partner/in in die Rolle der Assistent/innen schlüpfen. Das kann das Gefühl der Abhängigkeit vom guten Willen der Verwandten verstärken. Eigene Bedürfnisse werden dann schnell zurückgestellt.

Natürlich sollen Großeltern auch eine eigene Beziehung zu den Enkeln aufbauen können. Die Trennung zur Übernahme der Assistenz für die Eltern ist hier schwierig, aber dennoch oftmals notwendig. Hier liegt ein Konfliktpotential, was nur durch offene Gespräche und klare Vereinbarungen vermieden werden kann.

Bezahlte Assistent/innen sind eine Alternative, weil die Verhältnisse klarer abgegrenzt sind und die behinderten Eltern als Arbeitgeber wirken, d.h. ein Weisungsrecht haben. Wichtig ist hierbei nicht die Ausbildung der Assistentin. Die behinderten Eltern müssen ihren Bedarf genau formulieren, Aufgaben klar regeln und mit den Assistent/innen im Gespräch bleiben – besonders, wenn diese zeitweise die Kinder allein betreuen sollen. Gut ist es, wenn Assistent/innen flexibel einsetzbar sind, denn der Alltag mit Kindern lässt sich nicht bis ins Detail vorausplanen. Ist ein zu häufiger Wechsel der Assistent/innen nötig, können sich manche Familienmitglieder irritiert oder in ihrer Intimsphäre verletzt fühlen. Auch dieses sollten behinderte Elternteile ernst nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen, die für alle Mitglieder der Familie langfristig tragbar sind.

Selbsthilfe behinderter Eltern – was bietet sie?

Viele behinderte und chronisch kranke Eltern glaubten lange Zeit, sie seien die einzigen mit diesen erschwerten Lebensbedingungen. Deshalb gründeten behinderte Eltern 1999 den Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern (bbe e.V.). Ziel des Vereins ist es, behinderten und chronisch kranken Menschen, die Eltern sind, Eltern werden oder Eltern werden wollen, eine selbstbestimmte Elternschaft zu ermöglichen.

Die Vereinsmitglieder bauen ein bundesweites Informationsnetz auf, bei dem Ratsuchende Antworten auf ihre Fragen abrufen können. Nach dem Prinzip des Peer-Counseling (Betroffene beraten Betroffene) geben behinderte Eltern ihre bereits gesammelten Erfahrungen zu Themen wie Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft an andere weiter, damit diesen z.B. der lange Weg durch die Instanzen erspart bleibt. Die Eltern können viel mehr Kraft und Zeit in die Beziehung zu ihren Kindern investieren.

Informationen werden auch an interessierte Mitarbeiter/innen sozialer oder medizinischer Berufsgruppen wie Hebammen, Frauenärzt/innen oder Berater/innen in Familienbildungsstätten weitergegeben.

Unser bisheriges Angebot:

  • Telefonische oder persönliche Beratung (Peer-Counseling) zu den Themen Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft bei behinderten und chronisch kranken Menschen für Betroffene und Mitarbeiter;
  • Vermittlung von Kontakten zu behinderten Eltern und zu regionalen Angeboten (z.B. Gesprächskreisen);
  • Durchführung von Elternseminaren und Fachtagungen (Assistenz, Hilfsmittel), deren Ergebnisse dann in Form von Ratgebern/Dokumentationen veröffentlicht werden;eigene Homepage mit Seminarankündigungen, Veröffentlichungen und Gästebuch;
  • Präsenz in den Medien.

Weitere Informationen

Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern – bbe e.V
Beratungsstelle Elternassistenz Hannover
Kerstin Blochberger
Am Mittelfelde 80
30519 Hannover
Tel.: 0511/6963256
Fax: 0511/6963257
E-Mail
Website

Beratungsstelle Elternassistenz Erfurt
Susanne Schnabel und Peggy Steinecke
99084 Erfurt
Tel.: 0361/75 25 228
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Autorin

Kerstin Blochberger ist Projektleiterin des Modellprojekts „Elternassistenz erproben – Umsetzung des Artikels 23 UN-BRK“ beim bbe e.V.. Sie ist selbst behindert (Polandsyndrom) und Mutter von zwei Kindern.

Adresse

Kerstin Blochberger
Beratungsstelle Elternassistenz Hannover
Am Mittelfelde 80
30519 Hannover

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Erstellt am 3. April 2003, zuletzt geändert am 9. Januar 2014

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