HipHop, House und Pop: Wie Kinder ihren Musikgeschmack entwickeln

Ingrid Leifgen
Leifgen Ingrid
 

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich der Bezug von Kindern zur Musik positiv auf die Entwicklung auswirkt. Das Beschäftigen mit Noten, das Erlernen eines Instrumentes, oder auch das gemeinsame Singen in der Familie fördern die Intelligenz und Kreativität der Kinder.
Eltern sollten dies möglichst unterstützen, ohne ihren Kindern den eigenen Musikgeschmack aufzuzwingen. Gerade in der Pubertät ist dieser wichtig für die eigene Identitätsfindung.

Es kommt der Tag, an dem Sie im Kinderzimmer zwischen Postern von Pferden oder Formel-1-Wagen plötzlich solche von Popstars entdecken, die sich anschicken, die Herrschaft über die Wände zu erobern. Auf der Wunschliste des Sohnes oder der Tochter steht jetzt ein “anständiges” Abspielgerät und immer häufiger müssen Sie sich laute, fremde Klänge anhören, die Ihren Ohren nicht unbedingt wohl tun.

“Jedes Kind ist musikalisch”, heißt es in der pädagogischen Fachliteratur, und “Musik macht klug”. Wenn sich Ihr Dreizehnjähriger jetzt von Heavy Metal oder Techno bedröhnen läst, dann kommen Ihnen manchmal Zweifel, sowohl was die Musikalität als auch die Klugheit Ihres Sprösslings betrifft. Tatsächlich hat jedes Kind von Anfang an Bezug zur Musik. Schon als Embryo reagiert es auf Geräusche und es gilt heute als sicher, dass es seine Mutter nach der Geburt an ihrer Stimme erkennt. Durch leises Summen lässt sich ein Baby beruhigen, von sanften Liedern in den Schlaf begleiten. Beides zeigt, wie stark schon die Verbindung eines Neugeborenen zur Musik ist. Bald wird es anfangen, selbst mit Klängen zu experimentieren. Es produziert Töne mit dem Mund, trommelt mit einem Löffel auf den Tisch und klatscht in die Hände. Die meisten Zweijährigen tanzen spontan zur Musik, ein Zeichen dafür, dass nicht nur Gehör und Gefühl, sondern der ganze Körper auf Klänge reagiert. “Musikalität ist zunächst nichts anderes als die Fähigkeit, von Musik berührt zu werden”, erklärt die Musikpädagogin Dorothée Kreusch-Jacob. Und die hält sie für angeboren, wie die Fähigkeit, Sprache zu erlernen. “Jedes Kind ist offen und bereit, die Welt des Klanges in sich aufzunehmen und sich auf musikalische Weise auszudrücken”, meint sie deshalb. Wird diese Bereitschaft allerdings nicht gefördert, so verkümmert sie. Jammerschade, meint die Musikpädagogin, zumal seit ein paar Jahren vermutetet wird, dass das Musizieren die Intelligenz fördert. Ob das tatsächlich der Fall ist, konnte noch nicht nachgewiesen werden und ist im Grunde auch nicht so wichtig. Musik weckt Gefühle und hilft, sie auszudrücken, sie macht Freude, verbindet Menschen miteinander und hilft, die eigene Identität zu entwickeln.

Sicher ist auch, dass beim Notenlernen abstraktes und räumliches Denken gefördert wird. Verschiedene deutsche und österreichische Studien zeigen außerdem: Kinder, die ein Instrument spielen lernen, sind nicht nur durchweg intelligenter, motivierter und damit besser in der Schule als andere. Sie sind auch ausgeglichener und kommunikativer.

All das sind gute Gründe, Mädchen und Jungen früh mit Musik in Kontakt zu bringen. Gemeinsam singen, tanzen, klatschen, Platten hören, diese einfachen Möglichkeiten haben alle Eltern. Wenn kein Instrument im Haus ist, an dem Kinder experimentieren können, bieten Musikschulen guten Ersatz, auch schon für die Kleinen. Aber, Vorsicht vor falschem Ehrgeiz, warnt die Musikpädagogin Dorothée Kreusch-Jacob. Es soll nicht darum gehen, aus Ihrem Kind eine gefeierte Konzertpianistin oder einen Stargeiger zu machen. Vielmehr soll es die Möglichkeit erhalten, sich die Welt der Musik in ihrer Vielfalt zu erschließen. Freudig wird es annehmen, was Sie ihm ohne Zwang anbieten. Ihre Vorlieben wird es ohne weiteres teilen, gleich ob sie sich auf Klassik, Blues oder deutschen Schlager beziehen – bis zur Pubertät.

Abgrenzung und Clique

Mit Beginn dieses aufregenden Lebensabschnittes ändert sich Vieles. Die Freude am eigenen Instrument lässt oft nach, der Eifer beim Üben erst recht. Während Mädchen jetzt eher für den Pop-Mainstream schwärmen, wenden sich Jungen häufiger “härteren” Musikstilen zu. Was Mutter und Vater hören, wird plötzlich “langweiliges Gedudel”. Als “grauenvollen Lärm” bezeichnen die Eltern das, was sie aus dem Zimmer des Nachwuchses mithören müssen. “Du hast keine Ahnung von Musik”, lautet die trotzige Gegenwehr. Auf einmal liegen die Musikwelten der Familie weit auseinander. Schimpfen, Streiten oder der Hinweis, dass die Kinderohren unter der Lautstärke leiden, nützen wenig. Und was die “Ahnung von Musik” betrifft, so haben die Jugendlichen meist recht. Welche Mutter, welcher Vater kriegt schon mit, was gerade bei den Kids angesagt ist? Und wie viele Erwachsene können neue Musikstile voneinander unterscheiden?

Das muss auch nicht sein. Sinn und Zweck musikalischer Jugendkultur ist unter anderem die Abgrenzung von den Alten. Zwischen dreizehn und siebzehn spielt Musik für die meisten jungen Leute eine bedeutende Rolle, weil sie sich besonders gut eignet, die eigene Identität zu finden. Zum einen spricht sie Gefühle an, die in diesem Alter dominieren: Euphorie, Trauer, Einsamkeit, erste Liebe, all das kann in Klängen gelebt werden. Zudem hilft sie sich zurückzuziehen, wenn man mit der Welt nichts zu schaffen haben will: Zimmertür zu und Lautstärkeregler auf Maximum stellen. Außerdem kann sie ein Merkmal der Gruppenzugehörigkeit sein. Fans verschiedener Musikrichtungen geben sich durch spezielle Kleidung zu erkennen. Wer zudem noch in bestimmter Weise geht und spricht, der gehört dazu. Der Musikstil fördert den Cliquenzusammenhalt und hilft so außerhalb der Erwachsenenwelt ein eigenes Selbstverständnis zu entwickeln.

Warum fühlt sich aber Ihr Kind gerade zu dieser Richtung hingezogen und nicht zu jener? Das kann verschiedene Gründe haben. Es kann sein, dass es sich an seine Gruppe anpasst, sprich den dort angesagten Stil übernimmt, weil ihm die Freunde wichtig sind. Möglich ist aber auch, dass es sich aus “ideologischen” Gründen für eine Richtung entscheidet und sich seine Clique danach aussucht. Die verschiedenen Musikstile stehen nämlich durchaus auch für bestimmte Gesinnungen und Lebensstile. Punker zum Beispiel identifizieren sich mit der schrillen Rebellion, die in dieser Bewegung steckt. Sie entstand aus Protest gegen soziale Missstände in den englischen Großstädten. Rap und HipHop stammen aus den schwarzen Ghettos Amerikas. Ihren Anhängern ist die Auseinandersetzung mit problematischen Themen wie Kriminalität und Rassismus durchaus wichtig. Für Techno-Fans hingegen steht das Gemeinschaftsgefühl beim nächtelangen “Abtanzen” im Vordergrund. Manche Jugendliche bewegen sich aber auch in mehreren Szenen gleichzeitig oder wechseln im Laufe der Pubertät von einer in die andere.

Interessieren Sie sich für die Musik Ihres Kindes und für die dazugehörige Clique. Versuchen Sie aber nicht, sich an seinen Geschmack anzupassen, weil Sie hoffen darüber im Kontakt zu bleiben. Die meisten Jugendlichen sind keineswegs dankbar, wenn Eltern ihre Vorlieben übernehmen. Schließlich verlieren sie dadurch die Chance sich abzugrenzen. Lassen Sie Ihre Tochter, Ihren Sohn deshalb ruhig gewähren, denn über Geschmack sollte man bekanntlich nicht streiten. Einzige Ausnahme: Wenn Sie den Eindruck gewinnen, dass beim Musikkonsum Drogen im Spiel sind oder problematische Inhalte (etwa rechtsextreme Parolen), dann müssen Sie selbstverständlich einschreiten. Nehmen Sie die Sache ansonsten mit Humor und seien Sie sicher: früher oder später werden sich die jungen Leute auf ihre solide musikalische Grunderfahrung besinnen. Sind die Stürme des Erwachsenwerdens erst abgeflaut, dann haben auch Klassik, Blues oder Schlager wieder eine Chance. Warten Sie also in Ruhe ab. Und wenn Sie den Lärm aus dem Kinderzimmer satt haben, dann setzen Sie durch, dass Ihr Rap- oder Rock-Fan Kopfhörer aufsetzt.

Literatur

Dorothée Kreusch-Jacob: Jedes Kind braucht Musik. Kösel 2006

Weitere Informationen hier.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch

Autorin

Ingrid Leifgen ist freie Journalistin und Autorin mit dem Schwerpunkt Familie unbd Erziehung. Sie hat drei Kinder.

Website

Erstellt am 15. März 2004, zuletzt geändert am 25. Juli 2013