Emotionale Entwicklung von Anfang an –

Wie können pädagogische Fachkräfte den kompetenten Umgang mit Gefühlen fördern? (Teil 3)

Dr. Monika Wertfein
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Dieser Artikel über die emotionale Entwicklung von Anfang an gliedert sich in drei Teile. Im dritten Teil wird erläutert, wie pädagogische Fachkräfte im Kita-Alltag den Ausdruck von Emotionen, das Sozialverhalten in der Gruppe und die Entwicklung der Kinder kompetent begleiten können.

Wertfein3turmbauMarc und Denis bauen gemeinsam einen hohen Turm aus Bauklötzen und setzen mit wachsender Spannung und Stolz Stein auf Stein. Matthias, der sich schnell aus dem Schrank ein Holzauto herausnehmen möchte, stolpert rücklings über eine Teppichwelle und streift mit seinem Rücken den Turm von Marc und Denis, der nach kurzem Schwanken Stein für Stein zusammen fällt.

Marc beginnt verzweifelt zu weinen. Denis fängt laut an schimpfen und geht mit zornigem Gesicht und geballten Fäusten auf Matthias zu, der gerade verblüfft bemerkt, was er angerichtet hat.

Eine Situation – drei verschiedene Perspektiven und Emotionen. Kinder machen z.B. im Kindergarten-Alltag vielfältige Erfahrungen mit derartigen Situationen, in welchen eine gute soziale Wahrnehmung, viel Einfühlungsvermögen und Selbstbeherrschung gefragt sind. Je nach Temperament, bisherigen Vorerfahrungen und kognitiven Fähigkeiten interpretieren die Kinder die Ereignisse verschieden und reagieren entsprechend auf unterschiedliche Weise. Die sozio-emotionale Kompetenz der Kinder, die sich aus ihrer Fähigkeit zu sprachlichem Ausdruck und Emotionsregulierung sowie ihrem Emotionswissen zusammensetzt, entscheidet über das jeweilige Strategierepertoire des Kindes mit emotionsauslösenden Situationen und unangenehmen Gefühlen umzugehen. Im beruflichen Alltag mit Kindern bedeuten emotionale Situationen eine große Chance für die emotionale Entwicklung und Förderung (vgl. die Beiträge von Monika Wertfein in diesem Handbuch). Emotionale Bildung stellt aber auch eine große Herausforderung dar, da sie damit beginnt, dass auch der Erwachsene seinen Umgang mit Gefühlen wahrnimmt und reflektiert.

Was können pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten tun, um die emotionale Entwicklung der Kinder zu fördern?

In der konkreten Situation geht es darum, einen angemessenen Ausdruck von Emotionen zu unterstützen. Gerade bei negativen Gefühlen, wie Enttäuschung, Wut oder Traurigkeit brauchen die Kinder zunächst Hilfestellung, um ihr Gefühlserleben einordnen und benennen zu können. „Gefühlsgespräche“ mit der Betreuungsperson in der akuten Situation oder in der Gruppe im Rückblick auf emotionale Erlebnisse können den sprachlichen Emotionsausdruck, das Sozialverhalten sowie die kognitive Entwicklung der Kinder fördern. In Studien mit Eltern und Kindern hat sich gezeigt, dass Gespräche über die jeweiligen Emotionsauslöser besonders dazu beitragen, dass emotionale und soziale Erfahrungen kognitiv eingeordnet werden (vgl. Eisenberg, Losoya et al., 2001). Dieses frei verfügbare und stetig wachsende Emotionswissen trägt dazu bei, dass sich die Kinder auch in künftigen und neuartigen emotionalen Situationen kompetent und angemessen verhalten sowie besser in andere Personen einfühlen können.

Zu einem angemessenen Gefühlsausdruck gehören neben Akzeptanz, Offenheit und Raum für die Mitteilung der Gefühle, klare Regeln und Grenzen für das kindliche Verhalten. Bei einem akuten Wutanfall wird dem Kind beispielsweise vermittelt: „Deine Wut ist wichtig und wird akzeptiert, aber es ist nicht in Ordnung, wenn Du aus Deiner Wut heraus ein anderes Kind schlägst“. Entscheidend auch für die künftige Selbstöffnungsbereitschaft des Kindes ist hier die Trennung zwischen Gefühl und Verhalten. Nun ist es gerade bei akuter Wut für die Beteiligten nicht immer einfach einen klaren Kopf zu bewahren und zuzuhören. Hier ermöglicht die Trennung zwischen Gefühl und Verhalten auch von Seiten der Betreuungsperson zeitlich versetzte Reaktionsweisen.

So kann sie ein wutentbranntes Kind zunächst „zum Abkühlen“ aus der Konfliktsituation herausnehmen – nicht als Strafe, sondern um dem Kind zuerst Raum für seine Wut zu geben. In einem zweiten Schritt kann dann mit einem „kühlen Kopf“ gemeinsam mit dem Konfliktpartner über die Ursachen der Emotionen sowie eine konstruktive Problemlösung nachgedacht werden. Bei dem oben skizzierten Beispiel ließe sich beispielsweise besprechen, was den beteiligten Kindern durch den Kopf ging kurz nachdem der Turm eingestürzt war. Auf diese Weise könnte Denis erfahren, dass er Matthias absichtliches und feindseliges Handeln unterstellt hatte, obwohl dieser den Turm versehentlich berührt hatte. Vor diesem Hintergrund wird es leichter, sich zu versöhnen und z.B. gemeinsam mit dem „Übeltäter“ den Turm wieder neu aufzubauen.

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Foto: Jochen Fiebig

Der konkrete Umgang mit den kindlichen Gefühlen wird ebenso wie jedes Erziehungsverhalten geprägt durch die Grundhaltung des Erziehenden (vgl. Graf, 2005). Daher ist wichtig, dass sich auch die Betreuungsperson immer wieder ihre Grundhaltung bewusst macht, z.B.:

  • Gefühle sind wichtig und nützlich und können akzeptiert werden.
  • Ich nehme Dein Problem ernst und lasse Dir Zeit, Deine Gedanken und Gefühle zu sortieren und mitzuteilen.
  • Ich traue Dir zu, dass Du Dein Problem selbst lösen kannst und unterstütze Dich dabei.

Diese Grundhaltung stellt die Basis dar für feinfühliges und entwicklungsförderliches Verhalten, das dem Kind Sicherheit und Vertrauen vermittelt. In Kindertagesstätten stellt die Beziehung zwischen Betreuungsperson und Kind eine Fortsetzung der ersten Bindungen eines Kindes in der Regel mit seinen Eltern dar. Interaktionen zwischen Betreuungsperson und Kind, die zeitlich stabil und wiederkehrend sind, können zu einer tragfähigen Beziehung führen. Diese ist vor allem in emotionalen Situationen von Bedeutung, in welchen das Kind Hilfe bei der Regulation seiner Gefühle braucht und zeigt sich z.B. darin, dass sich das erregte Kind durch den Kontakt mit seiner Bezugsbetreuerin beruhigen lässt (vgl. Ahnert, 2004).

Emotionale Bildung fördert Selbstbewusstsein

Emotionale Bildung („Herzensbildung“) im außerfamiliären Umfeld umfasst nicht nur die Beziehung zwischen Betreuungsperson und Kind sowie den Umgang mit konkreten emotionalen Ereignissen, sondern auch Ansätze aus dem Bereich der ästhetischen Bildung, die erst auf den zweiten Blick mit Gefühlen zu tun haben. Ziel dieser Förderansätze ist es, das Selbstbewusstsein und die kindliche Selbstöffnungsbereitschaft zu fördern (vgl. Schneewind & Landowsky, 2006a), die eine wichtige Basis für die emotionale Entwicklung darstellen. Denn ein Kind, das sich „seiner Selbst bewusst ist“ und auf sich achtet, fühlt sich sicher. Es weiß, wo es hin gehört, wo es sich geborgen fühlt und kann sich orientieren. Ein selbstbewusstes Kind, das sich sicher und geborgen fühlt, ist eher bereit, seine Gefühle anderen mitzuteilen und lernt, sich einen geschützten, vertrauensvollen Rahmen dafür zu suchen. Praktisch relevante Lern- und Förderbereiche, die zur Entwicklung von Sicherheit und Selbstbewusstsein von Kindern beitragen können, sind:

  • Körperwahrnehmung – Bewegungsförderung
    Hier geht es darum, sich über den eigenen Körper bewusst zu werden, seine Sinne zu schulen und Körpergrenzen zu erkennen. Ein Lernziel im Sinne der emotionalen Förderung kann sein, zu erfahren, dass Gefühle mit spezifischen körperlichen Reaktionen verbunden sind. So lernen die Kinder, dass sich die Angst etwa an schwitzenden Händen und Herzklopfen, Wut am hochroten Kopf (wieder-)erkennen lässt. Weitere wichtige (präventive) Lernziele sind die körperliche Abgrenzung und Selbstbestimmung („mein Körper gehört mir“). (siehe auch Schneewind und Landowsky, 2006b) (vgl. Artikel: Mein Körper, das bin ich über körperfreundliche Erziehung von Helga Gürtler)
  • Raumwahrnehmung – Förderung der räumlichen Orientierung
    Dieser Bereich befasst sich mit der Erschließung des eigenen Lebens- und Beziehungsraums: Wo wohne ich? Wer und was begegnen mir auf meinem Weg zum Kindergarten? Wer gehört zu meiner Familie? Außerdem kann auch die Verkehrserziehung einen Beitrag zur differenzierteren Raumwahrnehmung und zur Sicherheit der Kinder beitragen: Wie weit darf ich alleine gehen? Mit wem kann ich mitgehen oder wen um Hilfe bitten? Was mache ich, wenn ich mich verlaufe? (Schneewind & Landowsky, 2006a).
  • Ästhetische Bildung – Selbstöffnungsbereitschaft fördern
    Kinder lernen, sich und ihre Empfindungen durch künstlerischen oder musikalischen Ausdruck mitzuteilen. Durch einen bewertungsfreien Raum (ohne richtig-falsch-Urteile), in welchem die Kinder so akzeptiert werden, wie sie sind, werden Kreativität, Selbstwertgefühl und Selbstöffnungsbereitschaft der Kinder gefördert. Darüber hinaus lernen die Kinder nichtsprachliche Ausdrucksmittel für Gefühle kennen. So schulen sie nicht nur ihre sinnliche Wahrnehmung, sondern auch Emotionswissen und Begriffsbildung. Der ästhetische Ausdruck ermöglicht die Differenzierung zwischen dunklen und hellen, schnellen und langsamen, lauten und leisen Gefühlen.

Spiele und Aktivitäten in den genannten Lernbereichen unterstützen die Selbst- und Fremdwahrnehmung, stärken das Selbstwertgefühl (vgl. Artikel: „Erziehung zur Selbstachtung“ von Klaus Fischer) und fördern die Fähigkeit des Kindes sich einerseits zu öffnen (Selbstöffnung), andererseits in andere einzufühlen (Empathiefähigkeit). Selbstöffnungsbereitschaft und Empathiefähigkeit stellen wiederum entscheidende Fertigkeiten im Umgang mit Emotionen und für ein kompetentes Sozialverhalten dar.

Emotionale Bildung und Förderung können dazu beitragen, dass Kinder im Alltag auch außerhalb ihrer Familie möglichst vielfältige Erfahrungen mit emotionalen Ereignissen sammeln können. Ziel ist es, dass die Betreuungspersonen eine vertrauensvolle Basis für die Kinder darstellen und durch direkte Interaktion die Kinder darin unterstützen, vielfältige und flexibel einsetzbare Strategien zur Selbstregulation seiner Gefühle zu entwickeln. Auf diese Weise können die Kinder „emotionale und soziale Selbstwirksamkeit“ (vgl. Pfeffer, 2005) entwickeln, d.h. sie bekommen zunehmend Sicherheit im Umgang mit ihren eigenen und den Gefühlen anderer und trauen sich, ihre Gefühle offen auszudrücken und mitzuteilen.

Literatur

Autorin

Dr. Monika Wertfein ist Diplom-Psychologin und wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik

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Winzererstraße 9
D – 80797 München

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Hier finden Sie die anderen Beiträge von Monika Wertfein über die emotionale Entwicklung:

Emotionale Entwicklung von Anfang an – wie lernen Kinder den kompetenten Umgang mit Gefühlen? (Teil 1)

Emotionale Entwicklung von Anfang an – wie können Eltern den kompetenten Umgang mit Gefühlen fördern? (Teil 2)