Vertrauen – Wie Kinder erste Glaubenserfahrungen machen
Dr. Angela M. T. Reinders
Kinder sind von Beginn ihres Lebens an darauf angewiesen, dass jemand für sie da ist. Sie lernen, wie und wem sie vertrauen können. Vertrauen lernen verläuft nach ähnlichen Strukturen wie glauben lernen. Eltern begleiten diese Lernprozesse, indem sie ihre Erfahrung teilen, das Vertrauen ihres Kindes stärken, aber auch zu ihren eigenen Grenzen stehen.
Ein Elefant, der zur Welt kommt, kann trompeten, stehen und laufen. Sehr viel mehr muss er in seinem weiteren Leben nicht mehr lernen. Ein Elefant ist damit im wahrsten Sinne des Wortes schon bald nach der Geburt auf sich selbst gestellt.
Im biologischen Sinn gelten Menschenbabys als „Frühgeburt”: Weil das Becken der Mutter keinen größeren Embryo beherbergen kann, werden Babys schon nach neun Monaten im Mutterleib geboren, obwohl sie so vieles noch nicht können. Das neu geborene Kind muss also die Geborgenheit anders erfahren. Dies geschieht in der schützenden Liebe von Mutter und Vater. Das Kind ist diesem Schutz hilflos ausgeliefert. Ohne liebende Zuwendung hat es keine Überlebenschance.
Das Neugeborene vermisst den Halt durch den Mutterleib. Junge Säuglinge werden deshalb so gern in enge Tücher gewickelt und liegen so behaglich in Wiegen, weil sie ihnen das Gefühl von der schützenden Enge im Mutterleib schenken. Das Neugeborene friert, hat Hunger, liegt ungemütlich nass, ist einsam ohne die Nähe eines anderen Körpers. Aber es weiß noch nicht, dass Mutter oder Vater diesen Zustand verändern wird und das zuverlässig, mehrmals am Tag, jeden Tag wieder, immer dann, wenn es durch sein Schreien signalisiert: „Mir fehlt etwas, du fehlst mir.“ – „Schreienlassen stärkt nicht die Lungen, sondern die Angst” , schreibt Barbara Sichtermann in ihrem Buch „Leben mit einem Neugeborenen” . Darum reagieren Eltern richtig, die sich bedingungslos kümmern. Sie bringen dem Kind das lebenswichtige Vertrauen bei.
Die Entwicklung des kindlichen Vertrauens
Lebensalter des Kindes | Vertrauen des Kindes | Reaktion der Eltern |
Erstes Lebenshalbjahr |
|
Mutter und Vater antworten zuverlässig und liebevoll auf die Bedürfnisse ihres Kindes. |
Siebter bis neunter Lebensmonat |
In der Fremdelphase signalisiert das Kind: Ich erkenne die Vertrauenswürdigkeit meiner Vertrauensperson und nur dieser Person. Fremden gegenüber empfindet es Angst. |
Trotz der Erfahrung von Überforderung in dieser Zeit gehen die Eltern auf den Wunsch des Kindes nach Nähe ein. Das stärkt sein Vertrauen. |
Ende des ersten Lebensjahres und Beginn des zweiten |
Das Kind, das zuverlässige Betreuung und Antwort auf seine Bedürfnisse erfahren hat, konnte das Urvertrauen erwerben: Ich kann und darf vertrauen. |
Die Eltern beginnen dem Kind deutlicher zu zeigen, dass sie auch ihm vertrauen, sein Leben zutrauen. Sie kennen ihr Kind schon gut und können einschätzen, welcher „Vertrauenstyp” es ist: ob es genau kalkuliert, welche Erfahrungen es in heiklen Situationen schon gemacht hat, oder ob es sich draufgängerisch ins Leben wirft. |
Kleinkindphase |
Das Kind wird sich bewusst, dass das Leben bedroht ist – und zwar so, dass auch Mutter und Vater es nicht vor allen Widrigkeiten schützen können. Es setzt sein Grundvertrauen gezielt gegen solche Erfahrungen ein: Mein Leben ist behütet, auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint. |
Die Eltern geben ein Vorbild: Wir vertrauen dem Leben auch gegen Widersprüche. Unser Vertrauen gründet sich auf den Glauben an Gott |
.
Vertrauen und glauben lernen
Das Wichtigste, was das Kind in den ersten Lebenswochen nach und nach erlernt, ist, dass es einfach vertrauen muss. Wenn Sie als Mutter oder Vater zuverlässig für das Kind sorgen, dann hat es eine Chance, ein ausgeprägtes Vertrauen zu entwickeln. Es hat die Kraft, sein Vertrauen gegen seine Angst zu stemmen.
Sein Vertrauen stärken Sie, wenn Sie als Eltern in der Versorgung des Kindes nicht einfach „funktionieren”, sondern mit ihm auch außerhalb des Mutterleibes das fortsetzen, was es schon aus dem Bauch kennt: Sie sprechen, singen, bewegen sich, wiegen ihr Kind und teilen mit ihm Ihre Empfindungen. Wenn Sie auch während der Schwangerschaft gebetet und beim Besuch des Gottesdienstes gesungen und sich bewegt haben, dann nehmen Sie Ihr Kind in Ihr Gebet mit und in die Kirche als einen Ort, der ihm vertraut ist und in dem Vertrautes geschieht.
In der Fremdelphase um den siebten bis neunten Lebensmonat wird deutlich erfahrbar, was Ihr Kind schon gelernt hat. Was so lästig für die Eltern ist, das ist ein notwendiger großer Entwicklungsschritt für das Kind: Es erkennt die Vertrauenswürdigkeit seiner Vertrauensperson. Sie ist sein Ein und Alles, anderen traut es – noch – nicht. Wenn sich im Anschluss daran das Vertrauen-Müssen verwandelt und das Kind spürt: Ich darf vertrauen, dann ist das Schwierigste geschafft. Das Kind hat dann das so genannte „Urvertrauen” erlernt: Mein Leben ist behütet, auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint. Mit gut einem Jahr kommt dieses Vertrauen dann sogar in Hochstimmung: Das Kind hat die Kraft, Vertrauen zu wagen auch über einen aktuellen Missstand hinaus.
Etwas Wunderschönes in dieser Phase ist das „Kuckuck-Spiel”, das die Kinder entdecken. Sie lernen dabei: Auch wenn Mama oder Papa für kurze Zeit hinter einem Tuch oder Tisch verschwindet, ist sie oder er nicht wirklich weg. Übrigens erfahren Kinder dabei auch die Grundlagen für ihr Vertrauen auf Gott: Er ist da, auch wenn er nicht sichtbar ist.
Vertrauenspersonen sind nicht allmächtig
Die Schauspielerin Hannelore Elsner sagt (in Ute Karen Seggelke, „Freundinnen”) über sich selbst als kleinem Mädchen: „Ich sehe die ganze Angst und ich sehe dieses Nicht-bei-sich-Sein und dieses Angewiesensein auf die Zuwendung und Kritik der anderen“, und sie zieht daraus die Konsequenz: „Ich [?] habe gemerkt, dass ich immer wieder zu mir zurückkommen muss.”
Doch wer immer wieder nur zu sich selbst zurückkommen muss, misstraut allen übrigen. Wer nur sich selbst vertraut, überfordert sich ständig. Ein Kind muss und darf doch vertrauen. Sie werden alles tun, das Vertrauen Ihres Kindes nicht zu enttäuschen. Und manchmal sagen Sie auch beruhigend: „Mama ist ja da”, um auch sich selbst zu bestärken, dass Sie das Sicherheitsbedürfnis des Kindes beantworten können. Sie sagen es wohl kaum, um das Kind glauben zu machen, Sie könnten wirklich alle Schwierigkeiten in den Griff bekommen. Sie sagen es, weil Sie selbst anderen und auch Gott als starkem Partner an Ihrer Seite vertrauen, nicht aber, weil Sie allmächtig sein möchten.
Das Kind behält dennoch bis zur Pubertät das Vertrauen in Papa und Mama, das sagen kann: Die werden schon richten, was ich nicht schaffe. Darum kommen Kinder gerne Schutz suchend zu ihren Eltern zurück. Doch schon das Kleinkind hat eine Ahnung davon, dass Erziehende keine absolute Sicherheit geben können. Damit kann es leichter umgehen, wenn Sie ihm vermitteln, dass auch Sie sich jemandem anvertrauen. So lernt es Gott als Ihr Gegenüber und Miteinander kennen.
„Sich so geliebt und anerkannt zu fühlen, wie man ist, gibt Kindern das Vertrauen, auch dann geborgen und aufgehoben zu sein, wenn mal etwas schief läuft oder es zu Streit und Ärger kommt“, betont die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ in ihrer Kampagne „Kinder stark machen“. – Kinder zeigen z.B. durch Fragen, dass sie sich der Brüchigkeit ihrer Lebenswelt bewusst sind. Ein Kin d, das vertrauen gelernt hat, hält es aus, sich damit auseinanderzusetzen. Das Gespräch schon mit dem Kleinkind ist wichtig – es soll ja nicht blind vertrauen, sondern ein Grundvertrauen in das Leben durchtragen können, während es heranwächst.
Wie Sie das Vertrauen Ihres Kindes stärken
- Kinder lieben Wiederholungen. Kleine Kinder wollen keine abwechslungsreiche Unterhaltung, Kinder wollen immer das Gleiche, eben das Vertraute, damit sie selbst ihrem Tag trauen können. Darum brauchen Kinder Rituale zum Aufstehen, bei Tisch, im Spiel, beim Aufräumen und beim Schlafengehen.
- Fassen Sie Vertrauen in Worte. Auch Sie werden, wenn Sie es nicht schon längst getan haben, Ihr Kind in der Nacht trösten mit den Worten „Alles ist gut”. Der Liedermacher Reinhard Mey hat unter diesem Titel ein Lied getextet und komponiert: „Für ein paar Stunden neigt sich Frieden über uns ren Meridian. Alles ist gut. Was heut’ gescheh’n sollte, geschah, und was zu tun war, ist getan.” Mit Recht könnte Ihnen jemand da in der Nacht den Vorwurf machen: Es ist nicht alles gut und Sie wissen das genau. Darum aber geht es gar nicht. Sie müssen Ihrem Kind zur Nacht nicht das Weltgeschehen kommentieren, sondern einen Sinnhorizont aufspannen. Davor haben Krankheit, Krieg, Kummer, alle Ängste und bangen Fragen ihre Berechtigung. Vor diesem Horizont geben Sie und suchen Sie gemeinsam mit dem Kind Halt und Trost. Mit dem Satz „Alles ist gut” vermitteln Sie eine Botschaft, die davon erzählt, dass Sie täglich neu „Ja” zum Leben sagen. Zu diesem Vertrauen haben Sie Grund, weil Ihr Leben auch mit all dem Schlechten, das darin geschieht, von Gott getragen wissen. Darum dürfen Sie dieses Grundvertrauen auch Ihrem Kind zusagen: „Alles ist gut.”
- Fassen Sie die wiederholenden Rituale und das Wort vom Vertrauen in ein Gebet. Das geht besonders gut beim Gute-Nacht-Gebet. Beim Neugeborenen kann dies das kleine Kreuz auf der Stirn sein, begleitet von den Worten: „Gott segne dich.“ Wenn man das Kind ein bisschen besser kennt, wird man schnell Lieblingsgebete aus der eigenen Kindheit hervorkramen. Eine Auswahl: http://www.kindergebete.de/index.html.
- Nennen Sie Ihr Kind beim Namen. Das werden Sie ohnehin häufig und liebevoll tun. Das Kind erfährt, wie sehr es erwünscht und ins Leben gewollt ist. Besonders, wenn in Ihrer Stimme Ihr Vertrauen an Gott mitschwingt, der dem Menschen zusagt: „Fürchte dich nicht. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst mir.”
- Feiern Sie gemeinsam Ihr Vertrauen. Scheuen Sie sich nicht, Ihr Kind von Anfang an mit in den Gottesdienst zu nehmen: Es hat dort seinen Platz genau wie Sie. Raum und Form der Feier bleiben gleich. Diese Wiederholungen bestärken Ihr Kind im religiösen Vertrauen.
Glauben vertraut der Erfahrung
Absolute Sicherheit geben kann niemand. Auch der Religion gelingt dies nicht. Gläubiges Vertrauen lehnen manche Menschen als „Vertröstung” ab. Noch angesichts des Untergangs ein wackeres Lächeln einzufordern hat mit vertrauendem Glauben nichts zu tun. Die Ermutigung, auch angesichts akuter Hindernisse Vertrauen zu wagen, spricht dagegen die Sprache der christlich-jüdischen Religion. In der Bibel gibt es davon Erzählungen zuhauf: Auf Gottes Wort hin klopft Mose in der Dürre der Wüste auf einen Felsen und Wasser fließt heraus. David nimmt als Kleiner den Kampf gegen den kräftigen Goliat auf und gewinnt. Auf Jesu Anruf hin geht Petrus über das Wasser. Die Jüngerinnen und Jünger spüren nach Jesu Tod ein Brausen, das ihr Haus erfüllt; sie deuten es als Zeichen Jesu Christi und wagen sich mit ihrer doch so abwegig scheinenden Botschaft auf die Straße. Und mit allem Schlechten, was passiert, vertrauen sich die Gläubigen immer noch vertrauend Gott an: Davon erzählt das ganze Buch der Psalmen.
Glauben, also das Vertrauen im religiösen Sinne, ist eine Vertrauensfrage. Der Glaube baut auf die Erfahrungszeugnisse der Glaubenden, die vorher geglaubt haben. Auf Menschen, die noch als Erwachsene sagen können: Mein Leben ist behütet, auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint.
Lassen Sie das Ihr Kind spüren: Du darfst mir vertrauen. Ich vertraue auch dir, weil ich dir das Leben zutraue. Wenn es schwer wird, mir und der Welt zu trauen, dann mache ich dir ein Angebot. Ich zeige dir, wie ich Gott vertraue.
Literatur
- Barbara Sichtermann (2001): Leben mit einem Neugeborenen. Ein Buch über das erste halbe Jahr, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main.
- Bernhard Grom (2000): Religionspädagogische Psychologie, Patmos Verlag, Düsseldorf.
- Angela Reinders (2001): Kinder brauchen Gott. Wie man Kindern Vertrauen in das Leben schenkt, Pattloch Verlag.
Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch
- Wie soll unser Kind heißen?
- Warum sollen Eltern ihre Kinder religiös erziehen?
- Kleiner Glaubensleitfaden der geöffneten Arme
- Kinder auf religiösen Abwegen
- Stillen - ein Ratgeber für Väter
- Verantwortungsvoll mit dem Mobiltelefon umgehen
- Wird unser Kind eingeschult?
- Wenn mein Kind Läuse hat …
- Wie entwickeln Kinder Wertvorstellungen?
Autorin
Dr. Angela M. T. Reinders, Jahrgang 1965, Dipl.-Theologin, Redakteurin beim Bergmoser + Höller Verlag AG, Aachen
Anschrift
Dr. Angela M. T. Reinders
Purweider Winkel 10
52070 Aachen
Erstellt am 7. Mai 2002, zuletzt geändert am 11. Dezember 2014