Trennung: Kinder wollen wissen, wie es weitergeht
Prof. Dr. Sabine Walper
Der Nachwuchs leidet, wenn Eltern auseinander gehen. Wie Erwachsene es ihm leichter machen können.
Für Eltern mag die Trennung ein Befreiungsschlag sein, wenn ihre Beziehung am Ende ist. Für Kinder ist sie in aller Regel erstmal eine Katastrophe. Doch müssen nicht zwangsläufig auch schlechte Noten, Verhaltensauffälligkeiten und eigene Partnerschaftsprobleme folgen. Wie negative Auswirkungen von Trennung oder Scheidung abgemildert werden können, davon handelt das folgende Interview.
„Mehrere Jahre nach der Trennung der Eltern konnten wir bei Scheidungskindern im Vergleich zu ihren Altersgenossen, die in traditionellen Kernfamilien aufgewachsen sind, keine generellen Nachteile erkennen“, sagt Professorin Sabine Walper. Die Psychologin aus München hat über sechs Jahre eine Studie begleitet, für die Kinder aus ganz Deutschland in verschiedenen Familienkonstellationen befragt wurden. Darauf basierend entwickelte sie den Kurs „Kinder im Blick“. Er soll Eltern für die Bedürfnisse ihres Nachwuchses während einer Trennung sensibilisieren. Wir fragten die Expertin, worauf es ankommt.
Wäre es für Kinder nicht besser, wenn ihre Eltern zusammenblieben?
Es ist tatsächlich meistens so, dass Kinder unter der Trennung der Eltern (noch) mehr leiden als die Eltern selbst. Trotzdem wäre es für die Kinder nicht unter allen Bedingungen besser, wenn die Eltern zusammen blieben. Denn ein Familienleben, das nur noch Fassade ist, hinter der mit hoher Intensität gekämpft wird, belastet die Kleinen sehr. Was zum Leben hingegen dazugehört und auch für Kinder kein Problem darstellt, sind gelegentliche Streits. Sie müssen aber ein Ende und eine Versöhnung haben. Beständiges Nörgeln, Rumkritisieren und Streiten von Mama und Papa – damit können Kinder nicht umgehen.
Heißt das, Kinder kommen mit einem klaren Schnitt besser zurecht?
Ja, allerdings nur, wenn sie die Entscheidung der Eltern nicht völlig unvorbereitet trifft. Sie müssen schon gespürt haben, dass bei Mama und Papa nicht mehr alles harmonisch verläuft. Eine Langzeitstudie aus den USA hat gezeigt, dass eine Trennung für Kinder auch langfristig belastender ist, wenn sich diese nicht angekündigt hat.
Wann sagt man seinem Kind am besten, dass sich Mama und Papa trennen?
Erst dann, wenn die beiden das miteinander besprochen haben und sich einig sind. Nicht immer schätzen die beiden Partner nämlich die Situation identisch ein. Ein einseitiger Trennungsimpuls sollte nicht leichtfertig vor dem Kind ausgesprochen werden, bevor die Trennung ernsthaft entschieden ist. Ein Paar – erst recht mit Kind bzw. Kindern – sollte natürlich nie leichtfertig seine Beziehung aufs Spiel setzen, sondern sich immer fragen: Wo stehen wir? Können wir noch etwas zum Besseren ändern, oder haben wir keine Chance mehr? Erst wenn klar ist, dass die Trennung erfolgen wird, sollten auch die Kinder eingeweiht werden. Aber auch nicht in letzter Minute. Es sollte noch genug Zeit bleiben, in der das Kind im Gespräch mit den Eltern eine Vorstellung davon gewinnen können, wie seine Zukunft mit den getrennte Eltern aussehen wird. Für eine gute Verarbeitung ist es entscheidend, dass sich das Kind nicht gänzlich hilflos überrumpelt fühlt.
Ganz konkret: Wie bringe ich einem vierjährigen Kind bei, dass sich die Eltern trennen?
Das Wichtigste ist immer, dass man – wenn irgendwie möglich – gemeinsam mit dem Kleinen redet. Ihm sagt, wie alles weitergehen wird. Kinder benötigen während dieser schweren Zeit viel Zuwendung und Aufmerksamkeit. Sie brauchen jemanden, der den Mut hat, alles anzusprechen, was auf das Kind zukommt. Das fällt vielen Eltern schwer. Eine Trennung macht oft sprachlos. Die meisten Betroffenen schaffen es gerade mal, ihre eigenen Gefühle zu bändigen. Dabei ist für Kinder in dem Moment das Wichtigste, dass sich jemand mit ihnen hinsetzt und sagt: „Wir haben uns das so und so überlegt, du brauchst keine Angst zu haben.“ Denn eine Trennung löst bei Kindern immer Ängste aus. Sie fragen sich: „Was wird aus mir?“ Gerade bei Kindern kommen dazu noch Schuldgefühle und belastende Gedanken wie beispielsweise: „Bin ich meiner Mama nicht mehr wichtig, wenn sie uns verlässt?“ Auch wenn es schwer fällt und Überwindung kostet, darüber müssen Eltern jetzt mit ihrem Kind sprechen.
Was ist dabei zu beachten?
Eltern sollten auf keinen Fall einseitige Schuldzuweisungen vornehmen. Dies belastet nämlich nicht nur das Verhältnis des Kindes zu dem beschuldigten Elternteil. Oftmals kehrt sich der Spieß um, und die Vorwürfe wirken auf den zurück, der sie ursprünglich erhoben hat. Ein zweiter wichtiger Punkt: Machen Sie dem Kind deutlich, dass es nicht die Ursache für die Trennung ist. Gerade für kleine Kinder ist diese Botschaft sehr wichtig, da sie sich oft selbst als Problem für die Eltern sehen und die Schuld für die Trennung geben.
Sollte man seine Kinder in die Überlegungen mit einbeziehen, wie es weitergehen kann?
Auf jeden Fall. Schon mit Kleinkindern können Eltern gut besprechen, was deren Bedürfnisse sind. Allerdings brauchen sie klar formulierte Alternativen. Sie sollten es zum Beispiel fragen: „Möchtest du den Papa nur am Wochenende oder auch unter der Woche besuchen?“ oder „Willst Du deine Bastelsachen bei Mama oder Papa lassen?“ Ab dem Kindergartenalter sollten die Kleinen mitreden dürfen, wie sie den Kontakt zum anderen Elternteil gestalten wollen. Haben Kinder Widerstände und möchten sie die Mutter oder den Vater zuerst einmal gar nicht sehen, sollte man das akzeptieren. Dann ist es besser, keinen Druck auszuüben, sondern Geduld mitzubringen.
Wie schaffen es Eltern, trotz der Probleme ihr Kind nicht zu vernachlässigen?
Die meisten schaffen das nicht ohne Weiteres, denn man braucht in dieser anstrengenden Zeit viel seelische Kraft für sich. Wenn man merkt, dass man den Kopf nicht hinreichend frei hat für das Kind besteht vielleicht die Möglichkeit, eine andere Vertrauensperson des Kindes zu bitten, ein Auge auf dieses zu haben. So kann man für sich sorgen, um dann den Blick fürs Kind frei zu bekommen. Man sollte sich außerdem immer wieder Zeit nehmen, um etwas Schönes mit dem Nachwuchs zu erleben. Das tut dem Kind, dem Elternteil und dessen Beziehung zum Kind gut. Aber auch das ist nicht immer leicht, wenn der Kummer und die Enttäuschung noch zu frisch sind, denn Eltern müssen sich für das Wohlergehen des Kindes zurücknehmen und zum Beispiel auch mal den Ärger über den Ex-Partner hinunterschlucken.
Das heißt also auch, dass man als Eltern weiterhin zusammenarbeiten sollte?
Wenn das machbar ist, ohne neue Auseinandersetzungen und gegenseitige Verletzungen zu provozieren: ja. Ziel der Ex-Partner sollte es sein, eine tragfähige Kooperation aufzubauen, die es erleichtert, dass beide weiterhin ihre Aufgaben als Eltern erfüllen können. Dabei hilft es sehr, wenn sich die beiden als Eltern wertschätzen. Gerade zu Beginn der Trennungsphase ist dies meist sehr schwierig, denn in aller Regel hat es hat Verletzungen gegeben. Nur allzu leicht tendiert man dann dazu, den anderen nur negativ zu sehen. Wie Paare es schaffen, diese Zeit des Streits und schlimmstenfalls der Eskalationen hinter sich zu lassen, hängt von den Beteiligten selbst ab und von der Art der Verletzungen, die es (auf beiden Seiten) gegeben hat. Wichtig ist, dass die beiden wieder zu richtiger Kommunikation zurückfinden, denn die braucht man, um das Kind weiterhin gemeinsam erziehen zu können. Aber auch die Einstellung der Eltern zueinander ist für die Kinder wichtig. Ich wünsche allen Kindern, dass ihre Eltern ein möglichst unbelastetes Auskommen miteinander finden. Es sollte nicht so weit kommen, dass ein Kind sich später entscheiden muss, wen es zu seiner Hochzeit einlädt, die Mutter oder den Vater.
Welche Tipps geben Sie Eltern, damit die Kommunikation wieder funktionieren kann?
Respekt, Disziplin und Wohlwollen helfen. Wenn ein Elternteil ein Anliegen hat, sollte er oder sie im Gespräch bei diesem einen Anliegen bleiben statt alles „auf den Tisch zu packen“ und die Vorwürfe möglichst gering halten. Am besten spricht man über die eigenen Bedürfnisse und sendet sogenannte Ich-Botschaften, wie beispielsweise „Ich komme damit nicht klar …“ statt „Du hast schon wieder …“. Besonders hilfreich ist es, wenn man dem anderen seine Anerkennung zeigen kann, wenn er etwas Gutes getan hat – sie ist eine kostbare „Währung“ in Beziehungen, erst recht in dieser schwierigen Zeit des Übergangs.
Oft hat eine Trennung ja zur Folge, dass ein Elternteil wegzieht: Wie kann es gelingen, mit dem Kind in Kontakt zu bleiben?
Eine räumliche Trennung ist immer mit finanziellem und zeitlichem Aufwand verbunden. Die Ex-Partner müssen daher klären, welches Arrangement möglich ist. Ist das Kind zum Beispiel noch sehr klein, wäre die einfachste Lösung, dass der Elternteil, der weggezogen ist, zu Besuch kommt. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Ex-Partner so viel Kontakt ertragen können. Andernfalls muss geklärt werden, wie das Kind zum anderen Elternteil kommt. Sind Kinder älter, ist ihnen – je nach Distanz und Fahrmöglichkeiten – durchaus zumutbar, dass sie zwischen den Eltern pendeln. Die Eltern sollten sich vorher immer besprechen, was das Kind momentan braucht oder vielleicht auch erledigen muss, wie etwa Hausaufgaben. Ein solcher Aufenthalt beim anderen Elternteil sollte durchmischt sein mit Alltag und Verpflichtungen, das signalisiert dem Kind Normalität.
Wie lange brauchen Kinder, bis sie die Trennung der Eltern überwunden haben?
Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Die meisten haben aber nach circa zwei bis drei Jahren ein neues Gleichgewicht gefunden. Sie kommen dann damit klar, dass die Eltern sich getrennt haben – wenn auch die Eltern sich in der veränderten Situation eingerichtet haben und es ihnen gelungen ist, ihre Konflikte beizulegen.
Quelle
Überarbeitete Fassung eines Interviews von Barbara Weichs, Baby und Familie / GesundheitPro
Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Familienhandbuch
- Was Kinder über Lügen und Höflichkeit denken
- Darf man mamchmal lügen? - Ein alltägliches Dilemma aus Kindersicht
Autorin
Professor Dr. Sabine Walper forschte und lehrte bis 2012 an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Seitdem ist sie als Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e.V. in München aktiv. Sie hat gemeinsam mit dem Familiennotruf München e.V. den Kurs „Kinder im Blick“ entwickelt . Dieser wurde mit dem Präventionspreis 2007 der Deutschen Liga für das Kind ausgezeichnet.
Erstellt am 23. Juli 2008, zuletzt geändert am 8. Mai 2014