Kinder und Angst oder: „Mama, unter meinem Bett sitzt ein Krokodil“

Christina Zehetner
Foto Zehetner Ifp

Besonders im Kindergarten- und Grundschulalter haben Kinder mit unterschiedlichen realen und nicht realen Ängsten zu kämpfen. Das Erleben und Überwinden dieser Ängste gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu und ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Oft machen sich Eltern aber große Sorgen und wissen nicht wie sie ihren Kindern in den jeweiligen Angstsituationen helfen können. Der Artikel beschreibt daher einige mögliche Ängste die auftreten können und zeigt beispielhaft auf wie man Kindern in ihren Angstsituationen helfen kann.

1. „Mama unter meinem Bett sitzt ein Krokodil“ – Kinderängste verstehen und ernst nehmen

Die vierjährige Lara wacht nachts schreiend auf. Ihre Mama eilt sofort zu ihr. Lara sitzt aufrecht zitternd im Bett und wimmert: „Mama, ich habe geträumt, dass ein Krokodil unter meinem Bett sitzt“.
Die Angst von Lara ist real, das Krokodil natürlich nicht. Trotzdem ist es in jedem Fall wichtig, Lara mit ihrer Angst ernst zu nehmen. Kuscheln und umarmen helfen als erste Strategie, damit Lara sich beruhigen kann. Danach könnten Lara und ihre Mutter gemeinsam mit einer Taschenlampe unter dem Bett nach sehen und feststellen, dass kein Krokodil unter dem Bett ist und Lara nur geträumt hat. Oft hilft das schon.

Manchmal helfen in diesen oder anderen nächtlichen Angstsituationen ganz einfache Dinge, wie zum Beispiel das Licht im Flur oder Kinderzimmer anzulassen oder ein Nachtlicht zu installieren. Wenn Kinder sich gar nicht beruhigen können, hilft vielleicht auch eine Nacht bei Mama und Papa im Bett. Dann wird es dem Krokodil oder Monster vermutlich zu langweilig alleine im Kinderzimmer und es ist am nächsten Abend verschwunden. Nicht alle ExpertInnen empfehlen allerdings, Kinder in solch einem Fall mit in das Elternbett zu nehmen (1). Hier sind sicher auch das Alter der Kinder und die individuelle Situation entscheidend. Eltern dürfen hier in jedem Fall auch auf ihr „Bauchgefühl“ vertrauen.

In manchen Situationen sind Kinder allerdings mehr als überzeugt davon, dass sehr wohl ein Krokodil oder auch etwas anderes unter ihrem Bett ist. Auch die Angst vor Monstern im Zimmer kommt im Kindergartenalter häufiger vor und hält sich vielleicht hartnäckig. Logische Erwachsenenargumentation im Sinne von „Ich kann wirklich nirgends ein Monster in deinem Zimmer entdecken“ fallen bei Kindern oft gnadenlos durch.

„Man sieht das Monster nicht, weil es sich versteckt hat“, schluchzt Max.
Wichtig ist auch hier, Max mit seiner Angst ernst zu nehmen. Dazu dürfen Erwachsene ruhig genauso wie Kinder ihre Fantasie spielen lassen. Die Eltern könnten zum Beispiel erklären dass ein verstecktes Monster vermutlich selbst ängstlich ist und dadurch wahrscheinlich ganz harmlos. Eltern könnten auch versuchen, das vermeintliche Monster zu fangen oder mit einem Zauberspruch zu vertreiben. Vielleicht stellt man dem Monster auch ein erfundenes Monsteressen in eine Ecke des Zimmers, um es zu zähmen.

Kinder lieben es sehr, sich auf solche Gedankenspiele oder Aktionen einzulassen und unterstützen ihre Eltern dann oft tatkräftig. Darüber gerät die eigentliche Angst schon fast in den Hintergrund. Gerade im Kindergartenalter, in dem Kinder an das Christkind, den Nikolaus oder auch an Fabelwesen glauben, ist es wichtig sich als Erwachsener auf die fantastische Gedankenebene der Kinder zu begeben und sich darauf einzulassen (2). So ist es möglich, Brücken zu schlagen und mit den Kindern in Beziehung zu gehen. Dies stärkt die Kinder und hilft ihnen ihre entwicklungsbedingten Ängste nach und nach zu überwinden.

Das „magische Denken“, das ungefähr zwischen dem 3. und 6./7. Lebensjahr der Kinder auftritt, sollte man auf keinen Fall ins Lächerliche ziehen. Kinder glauben in dieser „magischen Phase“ fest daran, dass Fantasiewesen existieren und vieles was für Erwachsene unrealistisch erscheint, ist in Kinderfantasien möglich. Viele der alterstypischen Ängste treten gerade in dieser Phase auf (3).

Aber Kinder sind auch stark und ihre phantasievollen Gedankengänge machen ihnen selbst oft weniger Angst als den Erwachsenen. Kindern gelingt es daher auch gut, mit den „bösen Seiten“ in Märchen umzugehen und dort geht es ja oft wirklich grausam zu.

Jedes Kind ist allerdings anders. Bei manchen Kindern sind die Ängste stärker ausgeprägt als bei anderen. Manche Kinder verlieren ihre Ängste schneller, andere brauchen länger dazu und benötigen mehr Unterstützung. Eltern sollten dies immer beachten. Vergleiche mit anderen Kindern sind hier nicht ratsam und zielführend.

2. „Komm, wir fangen das Krokodil“ – Umgang mit Ängsten

Viele Ängste der Kinder sind entwicklungsbedingt und daher fast immer mit einem bestimmten Alter verknüpft. Sie haben ihren Ursprung darin, dass Kinder ihre Umwelt im Laufe der Zeit differenzierter wahrnehmen (4). Es gibt daher vielfältige Möglichkeiten Kindern mit ihren Ängsten ernst zu nehmen und ihnen zu helfen. Eltern kennen ihre Kinder am besten und dürfen hier ruhig kreativ sein! Kinder können ihre Ängste aber auch durchaus aushalten und damit „spielend“ umgehen. Sie brauchen dies um reifen zu können und um sich weiter zu entwickeln. Dazu ist es notwendig, dass sie von ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen unterstützt werden.

In jedem Fall können sich Eltern freuen, wenn Kinder ihnen ihre geheimsten Ängste mitteilen. Völlig egal ob es sich hierbei um die Angst vor Einbrechern handelt, die Angst vor Fremden oder um die Angst es könnte ein Feuer ausbrechen. Viele Eltern sind bestimmt schon einmal mit der ein oder anderen hier beschriebenen Angst ihrer Kinder konfrontiert worden. Es ist ein großer Vertrauensbeweis wenn Kinder über ihre Ängste sprechen und sie offen legen.

Daher sollte man Kinderängste auch nie abwerten oder klein reden mit Äußerungen wie zum Beispiel: „Jetzt stell dich doch nicht so an! Bei uns kann kein Feuer ausbrechen! Krokodile unter dem Bett gibt es nicht! Einbrecher kommen nicht durchs Fenster!“
Erwachsenen ist es möglich, die Unterscheidung zwischen realen und nichtrealen Ängsten zu treffen. Kindern meist noch nicht.

Echte Krokodile unter Betten gibt es in den seltensten Fällen. Aber Brände und Einbrüche können in der Realität vorkommen. Je nach Alter des Kindes ist es daher wichtig, einen Mittelweg zwischen beruhigenden Worten aber auch dem Einbezug der Realität zu gewährleisten. Kinder müssen im Laufe ihrer Entwicklung lernen, dass das Leben unter anderem auch aus möglichen Gefahren besteht. Oft kann man sich schützen, aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es leider meist nicht.

Eltern haben hier die Aufgabe selbst einzuschätzen, was sie ihren Kindern je nach Alter an Realität zumuten können. Kinder verkraften eine „wohldosierte“ Wahrheit auf jeden Fall meist besser als eine ausgedachte Lüge, auch wenn sie nur zu Beruhigungszwecken dient. So lernen Kinder im Laufe der Entwicklung immer mehr ihre Ängste der Realität anzupassen und sie richtig einzuordnen. Sie haben die reale Chance, ihre Ängste überwinden zu lernen und Sicherheit zu entwickeln. Kinder brauchen das für eine gesunde Entwicklung.

3. „Papa bleib da“ – Fremdeln und Verlust- und Trennungsangst

Ab einem bestimmten Alter gehören für Kinder erste Ablöseprozesse von den engsten Bezugspersonen zur gesunden Entwicklung dazu. So ist es für ein dreijähriges Kind, das in den ersten Lebensjahren eine gute Bindung zu seinen Bezugspersonen aufbauen konnte, meist kein Problem sich von Mutter und Vater zu trennen, wenn es in den Kindergarten geht. Die meisten Kinder freuen sich darauf.

Leichte Angst- und Ablöseprobleme können durch Ablenkungsstrategien und die Hilfe der Erzieherinnen meist in den ersten Wochen schnell aufgelöst werden. Den meisten Kindern bereitet es auch kein Problem, stundenweise bei den Großeltern oder bei Bekannten zu bleiben, wenn die Eltern anderweitig unterwegs sind. Viele Kinder, auch schon Kleinkinder, besuchen ohne größere Probleme eine Kita oder gehen in die Tagespflege. Eltern müssen in diesem Zusammenhang allerdings selbst für sich entscheiden, wie lange sie ihre Kinder in „fremde Hände“ geben möchten. Auch in diesem Fall gibt es kein Patentrezept. Kinder sind einfach zu unterschiedlich in ihren Charaktereigenschaften. Deshalb ist der individuelle Blick auf die Kinder sehr wichtig.

Je jünger die Kinder sind, sollte auf jeden Fall eine gute und begleitete Eingewöhnungszeit im harmonischen Zusammenspiel von Erzieherinnen und Eltern stattfinden. So kann den Kindern auch im neuen Umfeld von vorne herein Sicherheit gegeben werden. Die Entwicklung von Selbstständigkeit und Autonomie werden unterstützt, Ängste können abgebaut werden oder entstehen erst gar nicht. Kindern sollte man auf ihr jeweiliges Alter bezogen aber möglichst nur die Trennungen zumuten, die sie selbst oder mit Unterstützung gut bewältigen können.

Auch die in den entwicklungsbedingten „Fremdelphasen“ vorkommende Furcht der Kinder vor unbekannten, manchmal sogar vor bekannten aber weniger vertrauten Personen, ist normal und wichtig für die kindliche Entwicklung. Es ist völlig in Ordnung und auch gesund, wenn Kinder Respekt vor fremden Personen haben und nicht jeder noch so entfernten „Tante“ auf den Schoß hüpfen. Babys sollten in dieser Phase auch nicht unbedingt jedem Fremden in die Arme gedrückt werden. Eine gesunde Distanz zu nicht vertrauten Personen sollte von den Eltern nicht zwangsweise aufgelöst, sondern auf jeden Fall respektiert werden.

Dabei haben es Kinder sehr gut selbst im Gefühl was sie sich und ihrer kleinen Psyche gerade zumuten können und was nicht. Eltern und andere Bezugspersonen sollten hier offen und sensibel sein und ihr Kind als selbstständige Persönlichkeit mit eigenen Wesenszügen erkennen und annehmen. Auch wenn es schwer ist und die geplanten Ziele der Eltern nicht immer mit den Verhaltensweisen ihrer Kinder harmonisieren.

4. „Wir schaffen das nicht mehr“ - Wenn die Angst überhand nimmt

Unter bestimmten Voraussetzungen können Kinderängste allerdings auch so stark werden, dass sie von den betroffenen Kindern und Eltern nicht mehr alleine bewältigt werden können. Kinder haben ihre Ängste dann nicht mehr unter Kontrolle und fühlen sich ihnen hilflos ausgeliefert. Diese starken Ohnmachtsgefühle können bei Kindern auch zu mitunter sehr aggressiven Verhaltensweisen oder totalem Rückzug führen.

Ursachen für diese extremen Ängste können zum Beispiel in Vernachlässigung oder anderen traumatischen Erlebnissen in der frühen Kindheit liegen. Auch schwierige Familienkonstellationen oder belastende Lebensumstände sowie eine Überbehütung im extremen Maß können die Entstehung von starken Ängsten begünstigen. Darüber hinaus kann auch hoher Leistungsdruck und der Wunsch nach Perfektion bei älteren Kindern in Ängste münden. Oft ist es ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, die dann zum Ausbruch der Ängste führt. Von einer direkten Angststörung spricht man aber erst, wenn Ängste sehr intensiv auftreten, über einen längeren Zeitraum anhalten und sie die normale Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen beeinträchtigen (5).

Wenn der Familienalltag oder auch der Kindergarten- und Schulbesuch durch das Auftreten von Ängsten zu stark belastet ist, sollte man sich nicht scheuen und Unterstützung und Hilfe annehmen. Erste Anlaufstellen können hier die jeweiligen Erziehungsberatungsstellen in Stadt oder Landkreis sein. Bei starken Schul- oder Prüfungsängsten oder auch bei Schulverweigerung helfen auch die BeratungslehrerInnen und SchulpsychologInnen an den jeweiligen Schulen. Sie überweisen eventuell zur weiteren Abklärung an die nächstgelegenen Sozialpädiatrischen Zentren weiter. In extremeren Fällen macht auch der Kontakt zu Fachärztinnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Sinn. Spezielle Verhaltenstherapien erzielen oft auch schon bei Kindern gute und langfristige Erfolge bei der Überwindung von Ängsten (6). Eine Überweisung gibt es über die zuständigen Kinder- und JugendärztInnen.

Kinder können genauso wie Erwachsene grundsätzlich lernen mit ihren Ängsten umzugehen und diese überwinden. Ängste gehören zum Leben und sind oft wichtige Wegweiser und Schutzmechanismen. Eltern sollten bei ihren Kindern den Fokus nicht auf eine überbehütete und angstfreie Kindheit legen, da dies unrealistisch ist. Stattdessen sollten sie ihre Kinder bei der Bewältigung ihrer Ängste so gut es geht unterstützen und ihnen zur Seite stehen. Wenn dies von klein auf gut gelingt stärkt es die Kinder auch auf ihrem weiteren Lebensweg und unterstützt ein selbstbestimmtes Leben, sowie die Entwicklung einer positiven Lebenseinstellung.

Literaturverweise

(1) Frank, Daniela: „Ängste bei Kindern: Wie in den Griff kriegen?" (abgerufen am 21.01.2016)

(2) o. V.: „Angst vor Monstern: Je nach Alter sind unterschiedliche Bewältigungsstrategien vorteilhaft“ (abgerufen am 21.01.2016)

(3) Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): „Die magische Phase“ (abgerufen am 22.01.2016)

(4) Zentrum Bayern Familie und Soziales, Bayerisches Landesjugendamt (ZBFS): „Kindliche Ängste“  (abgerufen am 22.01.2016)

(5) o. V.: „Angststörungen bei Jugendlichen“  (abgerufen am 24.01.2016)

(6) Langosch, Nele: „Leidet mein Kind unter Trennungsangst?
(abgerufen am 24.01.2016)

Weiterführende Literatur

  • Bartram, Angelika/Rogge, Jan-Uwe (2006): „Kleine Helden – großer Mut“. Geschichten die stark machen. Rowohlt Taschenbuch Verlag. 9. Auflage. (Für Kinder zwischen 4 und 8 Jahren)
  • Rogge, Jan-Uwe (1999): „Ängste machen Kinder stark“. Rowohlt Taschenbuch Verlag. 12.Auflage.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Fanilienhandbuch

Autorin

Christina Zehetner (geb. Kursawe) ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Beraterin humorvolle Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte.

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eingestellt am 29. Januar 2016