Das Jugendamt heute – Zwischen Wächteramt und Kontrollinstanz

Christina Zehetner
Foto Zehetner Ifp

Viele Eltern und Jugendlichen stellen sich die Frage: „Was macht das Jugendamt überhaupt?“ Auch Fach- und Lehrkräfte sindt oft unsicher wie und ob sie mit dem Jugendamt Kontakt aufnehmen können. „Kann ich dort einfach anrufen wenn ein Kind durch extremes Verhalten auffällt oder wenn ich merke, dass in einer Familie etwas nicht in Ordnung ist?“

Nachfolgender Artikel möchte diese Fragen klären und die Arbeitsweise sowie die Aufgaben des Jugendamtes transparenter machen. Darüber hinaus zeigt der Artikel Wege auf, wie und mit welchen Belangen sich Bürgerinnen und Bürger, Fachkräfte oder Familien an das Jugendamt wenden können. Zudem wird beleuchtet welche Rolle das Jugendamt im Kinderschutz einnimmt und wie in Gefährdungsfällen gehandelt wird.

1. „Was macht das Jugendamt überhaupt?“

Einige Fernseh- oder auch Kinofilme nutzen für ihre Geschichten stark überzeichnende Charaktere. So werden JugendamtsmitarbeiterInnen in Familienfilmen oft in dunkle Kostüme und Anzüge gesteckt, sie bekommen strenge Frisuren und überquellende Aktentaschen. Noch dazu „regieren“ sie alleine in kleinen grauen Büroräumen an riesigen Schreibtischen. Die dicke Brille auf der Nase sowie der erhobene Zeigefinger vervollständigen dann das Bild des „allmächtigen“ Jugendamtsmitarbeiters, der allein über „richtig“ oder „falsch“ bzw. über „gut“ oder „böse“ in den Familien entscheidet.

Diese überzogenen Fantasiebilder werden den heutigen Jugendämtern in keiner Weise gerecht, befinden sich aber leider nach wie vor auch in den Köpfen vieler Menschen.
Hilfsbedürftige Familien reagieren immer noch häufig mit Ablehnung und Unsicherheit, wenn ihnen über Kindergärten oder Schulen der Kontakt zum Jugendamt geraten wird. „Die kommen dann doch einfach vorbei und nehmen uns die Kinder weg“. Dabei soll das Jugendamt eigentlich genau das verhindern.

Eine repräsentative Forsa-Umfrage hat herausgefunden, dass 37 Prozent der Befragten mit minderjährigen Kindern gar nicht wissen, welche Leistungen die Jugendämter anbieten (1). Dabei ist der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland breit gefächert. So stehen die Jugendämter in Landkreisen und Städten den Bürgerinnen und Bürgern als Beratungs- und Unterstützungsangebot zur Verfügung und beschäftigen sich mit allen Fragen und Anliegen rund um Familie, Erziehung und Bildung. Zentraler Bereich des Jugendamtes ist der Kinderschutz. Das Jugendamt steht daher nicht nur Erwachsenen, Familien oder Eltern zur Seite.

Die sozialpädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialen Dienste sind auch für Kinder und Jugendliche, die schwerwiegende Probleme zuhause oder in der Schule haben, Rat benötigen oder sich in sonstigen Notsituationen befinden eine wichtige Anlaufstelle.

2. „Bei welchen Problemen helfen die denn jetzt eigentlich?“ – Konkrete Unterstützungsmöglichkeiten des Jugendamtes

Natürlich haben Beschäftigte im Jugendamt als Grundlage ihrer Arbeit Gesetze zur Verfügung an denen sie sich im Leistungsfall orientieren. In den §§ 11 – 60 SGB VIII des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) sind die Leistungen bundesweit geregelt und detailliert aufgeschlüsselt (2). Zum besseren Überblick werden nachfolgend die Aufgaben- und Leistungsbereiche der Jugendämter mit Beispielen aufgezeigt:

  • Frühe Hilfen (Hilfen für werdende Eltern bzw. Familien mit Neugeborenen und Kindern von 0 – 3 Jahren z. B. bei Überforderung oder Krankheit)
  • Kinderbetreuung/Tagespflege (z. B. Übernahme von Kindergartengebühren, Suche von geeigneten Tagespflegeeltern)
  • Jugendarbeit (z. B. Anbieten von Ferienprogrammen- und aktionen)
  • Jugendsozialarbeit (z. B. Beratung und Unterstützung an Schulen)
  • Jugendschutz (z. B. Alterskontrollen auf Veranstaltungen)
  • Hilfe für Jugendliche im Strafverfahren (z. B. Unterstützung im Gerichtsverfahren und bei der Einhaltung von Auflagen)
  • Hilfen zur Erziehung (z. B. Erziehungsberatung oder ambulante Familienhilfe)
  • Familien-, Trennungs-, Scheidungsberatung (z. B. Beratung und Regelung von Besuchskontakten und Umgängen)
  • Pflegekinder- und Adoptionsvermittlung (z. B. Vermittlung von Kindern und Begleitung und Unterstützung der Pflegeeltern)
  • Vormundschaften (z. B. Übernahme der Aufgaben der elterlichen Sorge)/ Beistandschaften (freiwillige Übernahme der gesetzlichen Vertretung des Kindes)
  • Jugendhilfeplanung (z. B. Erstellen von Statistiken über Bedarfe in der Kinder- und Jugendhilfe)
  • Kinderschutz (z. B. Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen)

Um bei diesen vielfältigen Leistungen nicht den Überblick zu verlieren, unterteilt man die Jugendämter intern in einzelne Fachbereiche und Sachgebiete, deren SachbearbeiterInnen jeweils für die einzelnen Aufgabengebiete zuständig sind.

Einen ganz zentralen Teil der Arbeit in Jugendämtern nimmt der Kinderschutz ein. Dabei steht das Wohl von Kindern und Jugendlichen immer im Vordergrund. Die Jugendämter haben einen Schutzauftrag inne, nämlich Kinder und Jugendliche vor Vernachlässigung sowie vor physischer und psychischer Gewalt zu schützen (3).

Seit 1. Januar 2012 ist das neue Bundeskinderschutzgesetz in Kraft, welches den Kinderschutz in Deutschland stark verbessern will. So sollen alle Beteiligten die sich für das Wohlergehen von Kindern einsetzen und engagieren, in ihrem Tun gestärkt und unterstützt werden. An erster Stelle stehen hierbei die Eltern. Aber auch Hebammen, Kinderärzte, das Jugendamt und Familiengerichte sollen vom neuen Gesetz und dessen Umsetzung profitieren (4).

3. „Kann ich da einfach anrufen?“ – Kontakt zum Jugendamt

Durch die Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes und unterschiedliche Kampagnen zur Imageverbesserung wird die Arbeit an den Jugendämtern immer öffentlicher und transparenter. So haben eigentlich alle Jugendämter mittlerweile einen gut überschaubaren Internetauftritt, in dem alle wichtigen Fachbereiche mit AnsprechpartnerInnen und Telefonnummern sowie Emailadressen aufgelistet sind. Dies macht es leichter, trotz des dichten Dschungels an Angeboten und Leistungen, telefonisch oder persönlich Kontakt mit den Jugendämtern aufzunehmen.

Über die Vorzimmer der einzelnen Abteilungen können zudem auch Terminvereinbarungen für persönliche Beratungsgespräche mit den zuständigen MitarbeiterInnen getroffen werden. Zu den allgemeinen Öffnungszeiten der Jugendämter ist es auch möglich, bei allgemeinen Fragen oder auch im Krisenfall direkt ins Jugendamt zu gehen. Eingerichtete Bereitschaftsdienste vor Ort werden im Bedarfsfall sofort tätig und kümmern sich bei festgestellter Zuständigkeit in akuten Krisensituationen.

Die Jugendämter geben darüber hinaus zahlreiche Broschüren und Informationsblätter zu unterschiedlichsten Hilfs- und Unterstützungsangeboten heraus. Diese finden sich oft in den Eingangsbereichen der Jugendämter direkt oder sie liegen in Beratungsstellen oder Kinderarztpraxen aus.

Um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jugendamt gerecht zu werden, sollte man an dieser Stelle allerdings auch die noch immer sehr hohen Fallzahlen und die damit verbundene Arbeitsbelastung der Beschäftigten vor Ort erwähnen. Zudem sind der Aufbau und die Organisation der fast 600 deutschen Jugendämter zwar ähnlich, die Ausgestaltung der Sozialen Dienste kann aber trotzdem sehr unterschiedlich organisiert sein (5).

Wenn Sie daher nicht sofort den richtigen Ansprechpartner finden oder die Telefone der Jugendämter überlastet sind, geben sie auf keinen Fall vorzeitig auf. Es gibt immer einen Weg sich Hilfe zu holen und es lohnt sich in jedem Fall!

4. „Wenn es in der Familie gar nicht mehr geht“ – Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen“

Das Jugendamt bietet, wie oben auch schon beschrieben, natürlich nicht nur freiwillige Leistungen an, sondern ist darüber hinaus auch Wächteramt und Kontrollinstanz. Gerade dieser Bereich wird von der Gesellschaft und den Betroffenen selbst verständlicherweise erst einmal sehr negativ und oft mit vehementem Widerstand wahrgenommen.

Es geht im Ernstfall immer und ausdrücklich um das Wohl der Kinder. Sobald dieses Wohl akut und dauerhaft gefährdet ist, muss das Jugendamt aktiv werden und dann in schwerwiegenden Fällen auch gegen den Willen und gegen die Interessen der Eltern entscheiden und handeln.

Dabei haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamts auf jeden Fall die Pflicht, allen Hinweisen nachzugehen, wenn ein Kind oder Jugendlicher in Gefahr sein könnte. Hierbei wird zwischen Elternrecht und Kinderrecht abgewogen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter suchen im Krisenfall den Kontakt zu den betroffenen Familien um gemeinsam mit ihnen Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dies findet meist über persönliche Gespräche im Jugendamt sowie über Hausbesuche in der Familie statt.

Die Jugendämter arbeiten auch eng mit anderen Institutionen zusammen, zum Beispiel mit Kindertagesstätten, Schulen, Ärzten, Therapeuten und der Polizei. Ziel ist dabei, allen Hinweisen nachzugehen um sich ein umfassendes Bild über die vorherrschende Situation machen zu können.

Kann das Wohl der einzelnen Kinder durch ambulante Maßnahmen nicht ausreichend geschützt werden, zum Beispiel wenn Eltern zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt nicht bereit oder nicht in der Lage sind, müssen betroffene Kinder im äußersten Fall in Obhut genommen werden, bis die Eltern wieder bereit oder in der Lage sind, Hilfe anzunehmen. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes betroffene Kinder aus ihren Familien herausnehmen und in Pflegefamilien oder Heimen unterbringen.
Gelingt es nicht, die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen ausreichend zu stärken und ist das Wohl der Kinder auf Dauer gefährdet, muss das Familiengericht
über das Sorgerecht und den Lebensort der Kinder entscheiden (6).
Die Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus ihren Familien ist ein Thema, weswegen das Jugendamt in der Öffentlichkeit immer wieder in die Kritik gerät. Pressemitteilungen verurteilen Vorgehensweisen der Jugendämter oder stellen Entscheidungen in Frage. Daher ist es wichtig zu wissen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter bei ihrem Handeln immer das Wohl und den gesetzlich verankerten Schutz der betroffenen Kinder im Blick haben. Zudem entscheiden die Fachkräfte im Jugendamt im Rahmen der Gefährdungseinschätzung nie alleine oder willkürlich. Sie müssen sich in ihrer Vorgehensweise an die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien des Kinderschutzes, sowie an die Entscheidungen der zuständigen Familiengerichte halten.

5. „Ich mache mir Sorgen, was kann ich tun?“ – Umgang mit Gefährdungsmeldungen

Viele Menschen scheuen sich nach wie vor, Kontakt mit dem Jugendamt aufzunehmen, wenn ihnen zum Beispiel in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis auffällt, dass Kinder nicht gut behandelt werden. Manchmal sind es auch Vermutungen oder Verdachtsmomente und man ist unsicher, wie man sich verhalten soll und ob man etwas weitergeben soll. „Soll ich was sagen, wenn das Nachbarskind auch bei kaltem Wetter ständig barfuß und ohne Jacke herumläuft?“ „Wem vertraue ich mich an, wenn ein dreijähriges Mädchen in der Kindergartengruppe öfters blaue Flecken am Oberarm hat?“ „Kann ich wirklich wegschauen, wenn die Mutter aus dem Nachbarhaus ihre kleinen Kinder über Stunden alleine in der Wohnung lässt?“
In solchen Fällen ist es sehr wichtig, sich in jedem Fall Unterstützung im Jugendamt zu holen und das Gesehene oder Erlebte zu melden. Es ist jederzeit möglich, telefonisch und darüber hinaus anonym mit dem Jugendamt Kontakt aufzunehmen. Die Sekretariate oder Vorzimmer der Jugendämter leiten Anruferinnen und Anrufer an die zuständigen Fachkräfte der Sozialen Dienste weiter.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter sind im Bereich der Gefährdungseinschätzungen speziell geschult und unterliegen darüber hinaus der Schweigepflicht. Sie nehmen jede einzelne Meldung detailliert auf und prüfen, dokumentieren und bearbeiten diese im Rahmen des Kinderschutzes weiter.
Im akuten Gefährdungsfall wird das Jugendamt sofort tätig und nimmt Kontakt mit den betroffenen Familien, Kindern oder Jugendlichen auf. Diese Kontaktaufnahme kann zum Beispiel auch über Betreuungseinrichtungen oder Schulen erfolgen sowie über angemeldete oder unangemeldete Hausbesuche in den jeweiligen Familien.
Mittlerweile bilden die Koordinierenden Kinderschutzstellen (KoKi), die oft an die Jugendämter angegliedert sind, Schulungen für Fach- und Lehrkräfte zu genau diesen Themen an.
Obwohl die Jugendämter heutzutage sehr vernetzt arbeiten und viele interdisziplinäre Kontakte zu Schulen, Kindergärten, Ärzten und Therapeuten pflegen, sind sie nach wie vor im Bereich des Kinderschutzes auch auf Gefährdungsmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern angewiesen, um Kindern und Jugendlichen in Notsituationen helfen zu können.

Literaturverweise
(1) https://www.unterstuetzung-die-ankommt.de/de/das-sind-wir/unsere-aufgaben/ (2013)
(2) http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/1.html (2012)
(3) http://www.lwl.org/lja-download/unterstuetzung-die-ankommt/extern/pocketbroschuere/Jugendamt_Kinderschutz_Broschuere_Deutsch.pdf (2013)
(4) http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/kinder-und-jugend (2013)
(5) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 14. Kinder- und Jugendbericht (2013)
(6) https://www.unterstuetzung-die-ankommt.de/de/das-machen-wir/fuer-alle/kinderschutz/ (2012)

Weiterführende Literatur

Ausführliche Informationen zur Arbeitsweise der Jugendämter finden sich unter www.unterstuetzung-die-ankommt.de, einer bundesweiten Kampagne der Jugendämter, die zur Imageverbesserung beitragen möchte.

Weitere Beiträge der Autorin hier in unserem Fanilienhandbuch

Autorin

Christina Zehetner (geb. Kursawe) ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie hat langjährige praktische Erfahrungen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und arbeitete selbst mehrere Jahre im Jugendamt. Die Autorin ist aktuell als Freie Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München tätig. Zudem hält sie als Beraterin humorvolle Seminare und Vorträge für Familien und Fachkräfte.

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erstellt am 20.Oktober 2015, zuletzt aktualisiert am 10. März 2021