Zeitmanagement: Wie Kinder lernen, mit Zeit umzugehen

Elke Leger
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Kinder müssen lernen, mit Zeit umzugehen, damit neben den Pflichten genug Raum zum Spielen bleibt. Dabei brauchen sie unsere Unterstützung.

“Kinder und Uhren dürfen nicht ständig aufgezogen werden, man muss sie auch gehen lassen!” Dieser Satz klingt, als hätte der Dichter und Pädagoge Jean Paul vor über 200 Jahren den Trend unserer Zeit vorausgesehen. Heutige Kinder sind eingebunden in Termine und Verpflichtungen. Private Musikstunden am Nachmittag sollen die mangelnden musischen Angebote des öffentlichen Schulsystems auffangen, die Teilnahme am Ballett- oder Turnunterricht das Defizit durch die ständig ausfallenden Sportstunden ausbügeln. Nachhilfestunden, Kreativitätsförderung, tanzen, singen, Yoga üben, Flöte spielen … Bei einigen Kindern ist der Terminkalender gut gefüllt.

Doch bei aller Förderung, die Kindern in Maßen sicher gut gefällt und ihnen wichtige Erfahrungen vermittelt: Jedes Kind braucht auch unverplante Zeit zum Träumen, Trödeln und Spielen.

Amerikanische Trendforscher haben vor einigen Jahren den Begriff des “Down Shifting” geprägt, was so viel bedeutet wie “Sich herunterfahren” . Denn sie erkannten: Ein Mensch, der ständig gefordert wird, leistet letztlich weniger als jener, der seine Ressourcen schont und mit seiner Kraft haushält. Das Bewusstsein hat sich gewandelt: Zum Image des Erfolgreichen gehört heute nicht mehr das Burn-out-Syndrom und der ständige Stress samt Magengeschwür. Sondern, im Gegenteil, die Fähigkeit, mit seinen eigenen Kräften sorgsam umzugehen.

Was für Erwachsene gilt, das gilt erst recht für Kinder. Nicht grundlos klagen immer mehr Kinder über Stress-Symptome wie Migräne oder Magenschmerzen. Solche Symptome können ein Hilferuf des Körpers und der Seele sein: Ich brauche mehr Ruhe! Uns Eltern fällt die Aufgabe zu, für die nötige Ruhe und Entspannung unserer Kinder zu sorgen. Und ihnen entsprechende Techniken für ihr Leben mitzugeben. Ein geschicktes Zeitmanagement kann Phasen der Muße und Entspannung in den Tagesablauf einfügen, auch wenn die Wellen der Anforderungen manchmal hoch schlagen. .

Wo liegen die Prioritäten?

Wie bei Erwachsenen so gilt es auch bei Kindern herauszufinden, wo die Prioritäten liegen. Was ist neben der Schule am wichtigsten? Der Geigenunterricht? Der Besuch bei der Oma? Der Fußballverein? Das Treffen mit Freunden? Setzen Sie sich in einer ruhigen Minute hin und schreiben Sie auf ein Blatt Papier alle Aktivitäten, mit denen Ihr Kind seine Zeit verbringt. Sortieren Sie die Liste dann nach Wichtigkeit: Das Wichtigste kommt ganz nach vorn, das Unwichtige an den Schluss. Bei der Rangfolge sollten Sie nicht nur Ihre eigene Einschätzung gelten lassen, sondern auch die Sicht Ihres Kindes berücksichtigen. Was ist ihm besonders wichtig, was tut es gern? Das kann schon mal zu Differenzen führen: Aus Ihrer Sicht ist der Turnunterricht wichtig, aus der Sicht Ihres Kindes dagegen der Besuch beim besten Freund? In diesem Fall haben zwei Aktivitäten den gleichen Stellenwert.

Die Aktivitäten, die oben auf der Liste stehen, brauchen Raum im Alltag Ihres Kindes. Hierfür müssen Sie Zeit einplanen. Andere Aktivitäten, die erst gegen Ende der Liste auftauchen, sollten Sie kritisch begutachten. Was könnte reduziert werden? Was ganz wegfallen? Seien Sie mutig! Streichen Sie alles Unwichtige von der Liste. Natürlich ist dabei entscheidend, ob Ihr Kind ein Wirbelwind ist, der viele Anregungen von außen braucht, um sich wohl zu fühlen, oder eher ein ruhiges, in sich gekehrtes Kind. Ist es ein wirbeliges Wesen, voller Neugier und Tatendrang, kann es sicher mehr Anregungen von außen vertragen als ein Kind, das eher ruhebedürftig und verträumt ist. Sie kennen Ihr Kind am besten und werden einschätzen können, was es braucht und was ihm schadet.

Können Sie nun schon mehr Freiräume im Terminkalender Ihres Kindes entdecken? Prima! Damit haben Sie Ihrem Kind ein großes Geschenk gemacht: Zeit für sich selbst.

Den Alltag managen

Ist Ihr Kind eine Trödelsuse oder ein Bummelhannes? Solche Kinder können ihre Eltern zur Weißglut treiben, denn sie schaffen es einfach nicht, eine Aufgabe zügig zu erledigen. Sie beginnen etwas und träumen dann ein bisschen. Beginnen etwas Neues und wenden sich dann etwas anderem zu. Im Kindergarten verlegen sie Mütze, Handschuhe, Hausschuhe und sind stundenlang damit beschäftigt, sie zu suchen. Wenn sie abgeholt werden, schauen ihre Eltern neidisch auf die anderen, deren Kinder fix und fertig und mit gepacktem Täschchen auf den Heimweg warten. Nur das eigene Kind, das läuft wieder mal durch die Gruppenräume und sucht seine Siebensachen zusammen. Kinder sind unterschiedlich, und der zerstreute Professor im Kindergarten ist vielleicht ein reizendes, lebendiges Wesen, das von allen ins Herz geschlossen wird. Aber was im Kindergarten vielleicht noch konfliktlos blieb, kann in der Schule zum Problem werden.

Zeitmanagement fürs Schulkind

Bummelhannesse und Trödelsusen kommen mit ihrem Zeitkontingent nicht klar. Die Hausaufgaben dehnen sich endlos aus, weil ständig etwas dazwischen kommt. Der Stift muss angespitzt werden. Dann klingelt das Telefon, und natürlich muss das Kind hinrennen und wissen, wer anruft. Die Seiten im Schreibheft wollen sich einfach nicht füllen, denn eigentlich ist es jetzt viel schöner, am Lego-Häuschen weiter zu bauen oder in einem Buch zu blättern. Nach zwei Stunden sind die Aufgaben immer noch nicht bewältigt und das Kind ist verständlicherweise entnervt, weil es die meiste Arbeit noch vor sich hat. Die notwendige Frei-Zeit zum Spielen ist durch all die Nebenbei-Beschäftigungen aufgebraucht. Ein solches Kind braucht die Hilfe seiner Eltern.

  • Nehmen Sie die Hausaufgaben Ihres Kindes ernst. Geben Sie ihm das Gefühl, dass es etwas Wichtiges tut und dass Sie ihm zutrauen, die Aufgaben zu bewältigen. Wenn Sie ihm vermitteln, dass Hausaufgaben eher lästige Nebenbei-Beschäftigungen sind – wie sollte es da mit dem nötigen Ernst an seine Arbeit herangehen? Nur wer sich in seiner Arbeit wichtig genommen fühlt, setzt dafür gern seine Kraft ein. Das ist bei Kindern genau so wie bei Erwachsenen.
  • Bereiten Sie Hausaufgaben vor. Die Hefte sollen bereit liegen, die Stifte gespitzt sein, und vor Beginn der Arbeit sollte das Kind genau wissen, was es tun soll. Ein Kind, das seine Aufgaben nicht verstanden hat, wird immer wieder zu Mutter oder Vater laufen und nachfragen. Das kostet Kinder und Eltern Zeit und Kraft.
  • Helfen Sie Ihrem Kind, sich zu konzentrieren. Sorgen Sie für eine Arbeitsatmosphäre, die möglichst wenig Raum für Ablenkungen lässt. So viele Reize strömen von morgens bis abends auf Ihr Kind ein, da ist Ruhe wenigstens bei den Hausaufgaben ein wichtiger Schonraum. Das jüngere Geschwisterchen hat zur Hausaufgabenzeit keinen Zutritt zum Kinderzimmer des Größeren, die Oma kann in dieser Zeit nur die Mutter sprechen, nicht aber das arbeitende Kind. Der Fernseher bleibt aus, die Freunde werden am Telefon auf später vertröstet. Wenn das Kind merkt, dass die Außenkontakte auf später verschoben werden, hat es nicht das Gefühl, etwas zu verpassen.
  • Bleiben Sie, wenn nötig, in der ersten Zeit bei Ihrem Kind, wenn es die Hausaufgaben erledigt. Diese soziale Kontrolle wirkt manchmal Wunder. Selbst wenn Sie nur im Hintergrund auf dem Sofa sitzen und Strümpfe stricken oder in einer Zeitschrift blättern ist allein Ihre Anwesenheit ein Rahmen, der Konzentration schenkt. Gehen Sie dabei auf Ablenkungsmanöver nicht ein. “Mama, jetzt kommt gerade ein ganz toller Film im Fernsehen!” Bleiben Sie hart. Nachdem die Aufgaben erledigt sind, ist das Fernsehprogramm wieder ein Thema. Wenn Sie merken, dass Ihr Kind das Stück Selbstdisziplin, das zum Arbeiten gehört, verinnerlicht hat, können Sie sich aus dem Hausaufgaben-Geschehen zurückziehen.
  • Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, Ordnung im Ranzen zu halten. Die vielen kopierten Arbeitsblätter, die Bücher und Hefte und Stifte und dazwischen die zerquetschte Banane … Kein Kind bringt Ordnungsliebe mit auf die Welt, und oft ist es noch überfordert vom Wust der Notwendigkeiten. Nehmen Sie sich am Abend Zeit zum Ranzen-Packen, möglichst zu immer der gleichen Zeit, denn Kinder sind Gewohnheitstiere. Was wird morgen benötigt? Was kann zu Hause bleiben? Was kann in den Papierkorb wandern? Wer erst morgens darüber nachdenkt, was er an diesem Tag braucht, opfert unnötig Zeit und Nerven.
  • Halten Sie das Kinderzimmer übersichtlich. Klare äußere Strukturen bilden sich im Innern ab. Wenn Ihr Kind genau weiß, welches Spiel und welches Buch wo zu finden ist, hat es alles griffbereit und muss es nicht lange suchen. Üben Sie mit ihm zusammen das Aufräumen, spielerisch und ohne Leistungsdruck. Abends gehen die Puppen in ihrem Bettchen schlafen, die Autos fahren in die Garage, und die Bücher finden ihren Platz im Regal oder auf dem Nachttisch.
  • Sorgen Sie für morgendliche Rituale. Ein Kind, das sich in immer gleicher Form morgens auf den Schulgang vorbereitet, wird nach einer Weile die nötige Routine entwickeln: aufstehen, ins Bad gehen, frühstücken, zur Schule gehen. Kinder brauchen solche festen Rituale, um sich im Leben einzurichten.

Was “Freizeit” für Kinder bedeutet

Jedes Kind, auch das aktivste und munterste, braucht Zeit für sich. Zeit, um allein im Zimmer zu sitzen und in Comics oder einem Buch zu blättern. Zeit, um sich vor dem Fernseher zu räkeln und bei Zeichentrickserien zu entspannen. Zeit um zu träumen oder seine Gedanken in Linien und Farben auf einem Stück Papier festzuhalten. Es muss Zeit haben nachzudenken oder in den Mustern der Gardine Figuren zu erkennen. Wahre Kreativität entspringt nicht der Überschüttung mit Anregungen, sondern der Muße, der Verarbeitung des Erlebten.

Ein noch sehr junges Kind zeigt, wie diese Verarbeitung vor sich geht. Es erlebt etwas, lernt, übt das Gelernte, bis es das beherrscht. Immer wieder versucht es, sich hochzuziehen und auf seinen Beinen zu stehen, auch wenn es zum zehnten Mal auf den Po geplumpst ist. Die Natur schreibt ihm vor, so lange zu üben, bis es das kann, was für seine Entwicklung notwendig ist. Warum sollte es mit größeren Kindern anders sein? Nur wer Zeit hat, seine Eindrücke in Ruhe zu verarbeiten, kann sie festigen und daraus lernen.

Eine der eindrucksvollsten Erlebnisse der Ärztin Maria Montessori am Anfang ihrer pädagogischen Arbeit war die Beobachtung eines Mädchens, das mit kleinen Zylindern spielte und dabei eine Tätigkeit immer wiederholte, wohl an die fünfzig Mal, bis die erwünschte Geschicklichkeit erreicht war. Maria Montessori erkannte nach dieser Beobachtung: Kinder eignen sich die Fertigkeiten, die sie brauchen, selbst an. Und sie lernen besonders intensiv, wenn sie sich aus ihrem eigenen Interesse heraus beschäftigen können.

Dazu aber braucht es frei verfügbare Zeit an Stelle eines voll gestopften Terminkalenders. Zeit, die am Stück verfügbar ist und sich nicht in Zehn-Minuten-Phasen zerfleddert zwischen all den Termin-Verpflichtungen. Nehmen Sie das Bedürfnis Ihrer Kinder nach unverplanter und unkontrollierter Beschäftigung ernst! Es ist keine vertane Zeit, sondern notwendiger Freiraum.

“Mama, mir ist so langweilig!”

Und was ist, wenn das Kind mit seiner freien Zeit gar nichts anfangen kann? Wenn es gewohnt ist, nach Plan zu agieren und ständig auf Anregungen von außen wartet? Dann springt die besorgte Mama herbei, schlägt diese oder jene Aktivität vor, schleppt Stifte und Papier heran, telefoniert die Freunde herbei. Wie soll ein Kind, dem jederzeit ein solches Unterhaltungsprogramm zur Verfügung steht, jemals lernen, mit sich selbst allein zurechtzukommen, seine Zeit selbst bestimmt zu nutzen?

Langeweile darf sein, jedes Kind ist in der Lage, sie auszuhalten. Und schon bald wird aus der Langeweile heraus eine Idee entstehen und aus dieser Idee eine Beschäftigung, in der das Kind Raum und Zeit vergisst. In diesem Moment hat es die Erfahrung gemacht, dass unverplante Zeit glücklich machen kann.

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Autorin

Elke Leger, Psychologin, Journalistin, Buchautorin, Mutter von zwei Kindern, viele Jahre Redakteurin einer Familienzeitschrift

Kontakt

Elke Leger
Journalistin – Autorin – Psychologin
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Erstellt am 29. Januar 2003, zuletzt geändert am 6. August 2014