Der Eintritt in den Kindergarten – ein bedeutsames Ereignis für die Familie

Wilfried Griebel & Renate Niesel

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Der Eintritt in den Kindergarten ist nicht nur Kinder, sondern auch für Eltern ein einmaliges Ereignis, das lange im Gedächtnis bleibt. Erzieherinnen und Erzieher erleben diesen Beginn am Anfang jeden Kindergartenjahres erneut. So ist zu verstehen, dass sich die Perspektiven von Kindern, Eltern und pädagogischen Fachkräften unterscheiden. Diesen Beitrag haben wir für Eltern und pädagogische Fachkräfte geschrieben. Wir möchten dazu beitragen, einander besser zu verstehen und einen konstruktiven Dialog von Anfang an zu pflegen.

Einführung: Zwei innere Monologe

Erzieherin: “Morgen kommen die ersten neuen Kinder…. Es sind wieder sehr viele in diesem Jahr, fast die Hälfte in der Gruppe werden Neulinge sein, und davon sind viele erst gerade drei Jahre alt. Für die Kinder aus der alten Gruppe ist das auch nicht einfach. Einige werden ihre besten Freunde oder Freundinnen vermissen, die jetzt zur Schule gehen, und die, die jetzt die Großen in der Gruppe sind, müssen auch erst mal ihre neue Rolle finden. Gar nicht so einfach, am Anfang eines neues Kindergartenjahres die Bedürfnisse der “alten” und der neuen Kinder unter einen Hut zu kriegen. Aber nach all den Jahren weiß ich ja, was auf mich zukommt und wie ich am besten darauf reagiere. Hoffentlich klappt es wieder so gut im wie letzten Jahr, als die Großen sich wirklich sehr lieb und verlässlich mit um die Kleinen gekümmert haben: Zeigen, wo alles ist, mit aufs Klo gehen, die Tagesroutine einüben …. richtig stolz waren sie….. Und hoffentlich gibt es morgens nicht zu viele Tränen. Manchmal weiß man echt nicht, ob sich das Kind nicht von der Mutter oder die Mutter sich nicht von dem Kind lösen kann. Sehr viel weiß ich noch nicht über die Kinder. Manche werden wieder fast ununterbrochen meine Zuwendung fordern und – wenn ich an die Schnuppervormittage denke – einige echte Rabauken sind auch wieder dabei. Wahrscheinlich erwarten die Eltern, dass sie hier Disziplin lernen. Es wird ein paar anstrengende Wochen dauern und oft hektisch werden, bis die Kleinen wirklich Kindergartenkinder geworden sind und alle zusammen wieder eine Gruppe ….” (vgl. die Zitierung dieses Monologs als Einstieg in das Thema bei Püttmann & Wortmann, 2015, S.16).

Mutter: “Morgen ist unser erster Kindergartentag …Jetzt ist es also soweit. Unser Kleiner: ein Kindergartenkind. Und ich: eine stolze Kindergartenmutter! Obwohl, irgendwie bin ich auch ein bisschen wehmütig, es geht etwas zu Ende und das Loslassen ist gar nicht so einfach. Hoffentlich weint er morgen nicht… Wenn ich zurückdenke, wie viel Gedanken wir uns um den Kindergarten gemacht haben …. Mit meinem Wunschkindergarten hat es ja nicht geklappt, aber dieser ist in der Nähe und die Kinder aus der Nachbarschaft gehen auch hin. Die Leiterin scheint ganz in Ordnung zu sein, bei der einen Erzieherin bin ich mir nicht so sicher, hoffentlich kriegt er die andere. Hoffentlich packt er ́s. Am Schnuppervormittag kam er mir auf einmal so winzig und verloren vor, zwischen den Fünf- und Sechsjährigen. Irgendwie fand ich’s da etwas chaotisch. Jeder machte, was er wollte, und die Erzieherin saß dabei. Ich dachte, die machen mehr zusammen, in der Gruppe … unter der Anleitung der Erzieherin, basteln oder singen. In der Schule müssen sie ja später auch stillsitzen. Hoffentlich hält er durch, den ganzen Vormittag ohne mich. Andererseits braucht er jetzt den Kindergarten. Zuhause wird’s ihm oft schon langweilig. Er braucht jetzt die anderen Kinder und neue Anregungen, die ich ihm nicht mehr geben kann…. Er ist ja eher schüchtern, hoffentlich übersieht ihn die Erzieherin nicht, er braucht einfach noch sehr viel Zuwendung…“

Die einführenden Monologe wurden aus Aussagen von Erzieherinnen und Eltern zusammengestellt, die im Rahmen einer empirischen Studie zum Übergang von der Familie in den Kindergarten (1995-1997) gewonnen wurden (Griebel & Niesel, 1998; Niesel & Griebel, 2000). Seitdem hat sich die Kindergartenlandschaft verändert. Der Ausbau der Plätze für Kinder, die ihr drittes Lebensjahr noch nicht vollendet haben, hat zum Bau vieler Kinderkrippen und der Öffnung von Kindergärten für die jüngste Altersgruppe geführt. Auch das Augenmerk beim Eintritt in einer erste Einrichtung außerhalb der Familie, in der sie einen Teil ihres Alltages verbringen werden, hat sich zunehmen auf die jüngste Altersgruppe konzentriert (Niesel & Griebel, 2015). In vielen Kindertageseinrichtungen hat sich dadurch das Altersspektrum erweitert (Nied u.a., 2011) Nach wie vor sind die meisten Kindern drei Jahre alt, wenn sie den Übergang von der Familie in eine Kindertagesstätte bewältigen. Sie finden unter Umständen eine neue Umgebung vor, in der nicht nur ältere, sondern auch jüngere Kinder als sie selber bereits dazugehören. Wie sich Kinder in einer Kindertagesstätte neu einleben, bleibt für etwa Dreijährige eine tiefgreifende Erfahrung.

Was ist ein Übergang?

Auf der Basis entwicklungspsychologischen und der sozialpsychologischen Forschung wurde am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) in München ein Modell entwickelt, mit dem sich markante Veränderungen, die den Einzelnen, die ganze Familie und ihr Lebensumfeld betreffen, beschreiben lassen (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Frauen und Jugend & Staatsinstitut für Frühpädagogik, 2012; Griebel & Niesel, 2015). Solche Lebensereignisse sind der Übergang von der Partnerschaft zur Elternschaft, wenn das erste Kind geboren wird (2004) der Eintritt des Kindes in das Jugendlichenalter, wenn es sich kritisch mit seinen Eltern auseinandersetzt und zunehmende Selbständigkeit auslebt (Niesel & Griebel, 2014), Trennung/Scheidung der Eltern, neue Partnerschaft und die Bildung einer Stieffamilie (Griebel & Niesel, 2004). Auch Übergänge im Bildungswesen, wie der Eintritt in den Kindergarten, der Wechsel von einer Krippe in den Kindergarten, die Einschulung des ersten Kindes und der Wechsel in eine weiterführende Schule gehören dazu (Griebel & Niesel, 2015). Eine erfolgreiche Bewältigung stärkt die Kompetenzen der Beteiligten, Vorteile für die Bewältigung weiterer Übergänge werden erwartet. Bei einem Nichtgelingen sind Probleme bei der Bewältigung nachfolgender Übergänge zu befürchten. Wenn mehrere Übergänge gleichzeitig bewältigt werden müssen, steigt das Risiko der Überforderung. Beim Eintritt in den Kindergarten kann dies geschehen, wenn in engem zeitlichem Zusammenhang z.B. ein Geschwisterkind geboren wird oder wenn ein Elternteil eine Erwerbstätigkeit aufnimmt oder wenn der Arbeitsplatz verloren wird.

Wesentliche Aspekte des Übergangs sind Veränderungen der Identität, der Rollen, der Beziehungen, das Auftreten starker Emotionen und das Erleben von Stress. Alles zusammen ergibt ein Bild von “verdichteten Entwicklungsanforderungen”.

Hinzu kommt das Wechseln zwischen verschiedenen Lebensumwelten. Die innerpsychischen und die zwischenmenschlichen Aspekte der Neuorganisation sowie die Anpassung an die Unterschiedlichkeit der Lebensumwelten passieren nicht gleichzeitig. Für die Betroffenen kann das Gefühl von Desorganisation oder Unordnung, aber auch des Kontrollverlustes entstehen; nach einer Zeit der Anpassung setzt eine Reorganisation ein, bis ein neues Gleichgewicht entsteht.

Die Betrachtung des Eintritts des ersten Kindes in den Kindergarten im Rahmen des Übergangskonzeptes ist hilfreich, um Entwicklungen (erwünschte wie unerwünschte) während der Eingewöhnungszeit besser zu verstehen und angemessen pädagogisch reagieren zu können.

Das Kind und seine Eltern befinden sich in einer Übergangssituation, die eine Viel-zahl von Veränderungen mit sich bringen wird, während die Erzieherin die berufliche Begleiterin des Übergangs von der Familie in den Kindergarten ist. Für das Bewältigungsstreben von Kindern und Familien kommt ihr eine Schlüsselrolle zu.

Aus dem IFP-Transitionsmodell, das Entwicklungsaufgaben auf verschiedenen Ebenen systematisch darstellt, werden im Folgenden einige zentrale Aspekte des Übergangs herausgegriffen, die in den Gesprächen mit den Kindern besonders prägnant zum Ausdruck kamen. Daraus leiten wir Anregungen zur pädagogischen Unterstützung ab.

Ein Übergang ist ein prozesshaftes Geschehen

Bei einem Übergang handelt es sich nicht um ein zeitlich eng umgrenztes Ereignis, sondern um einen längerfristigen Prozess. Der Kindergarteneintritt findet mithin nicht nur am ersten Tag statt, sondern beginnt mit den Vorbereitungen der Familie und endet mit der abgeschlossenen Eingewöhnung des Kindes. Kritisch ist zu überlegen, ob hier die herkömmliche Bezeichnung als „Eingewöhnung“ der beste Begriff ist – weil er eher ein passives Bild des jungen Kindes impliziert. Das passt nicht zu seinem aktiven Zugehen auf die Welt und seiner lebhaften Auseinandersetzung mit ihr und seinem eigenen Lernen und Erfahren, wie es inzwischen im Vordergrund des Bildes vom jungen, kompetenten Kind steht. Der Prozess dauert manchmal länger, als Eltern und Erzieherinnen erwarten. Kenntlich wird das an Reaktionen der Kinder, die als Schwierigkeiten mit dem Einleben in die Einrichtung wahrgenommen werden. Meistens sind dies jedoch keine Verhaltensauffälligkeiten, sondern Reaktionen auf die Veränderungen, deren Bewältigung individuell unterschiedlich lange dauert.

“Also, ich bin jetzt schon eine kleine Zeit hier. So halt noch nicht solang. Zuerst wollte ich nicht, aber die Mama hat mir alles gezeigt und ich durfte die hier besuchen. Besuch ist besser, weil ich dann heim durfte, wenn ich wollte. Jetzt ist es aus mit dem Besuch.” (Denise, 3;3)

“Als ich neu war, war ich traurig. Bei der Mama war es so kuschelig und hier war es so viiiel!!” (Maxi, 4;8)

“Also zuerst war hier alles neu. Aber nach ein paar Tagen war es alt. Also nichtrichtig alt, nur für mich- verstehst?” (Toni, 4;1)

Für die Eltern beginnen die Überlegungen, welche Einrichtung und ab wann ihr Kind aufnehmen soll, lange vor der eigentlichen Anmeldung und vor der Vorbereitung des Kindes. Sie machen sich Gedanken um das Wohlergehen des Kindes in der Einrichtung, seine “Kindergartenreife” und um die Planung einer optimalen Förderung. Eltern erhoffen sich für ihr Kind einen möglichst problemlosen Eintritt in den Kindergarten. Sie vergleichen ihr Kind mit anderen, bei denen die Eingewöhnung schneller zu klappen scheint. Erwartungen können manchmal als Druck an das Kind weitergegeben werden und für das Kind zu einem Belastungsfaktor werden. Tatsächlich betrifft der Übergang nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern.

Pädagogische Unterstützung: Genügend Zeit einräumen

Die Zeit zwischen Anmeldung des Kindes und Kindergarteneintritt könnte intensiver für die Vorbereitung dessen genutzt werden, wie Kinder und Eltern sich einleben. Probebesuche sind allgemein üblich, eine gestaffelte Aufnahme von Kindern etwa bei der Hälfte der bayerischen Kindergärten, Eltern dürfen zumeist in der ersten Zeit eine Weile bei ihrem Kind bleiben.

Die Eltern über Ziele des Kindergartenbesuchs und über Grundzüge der Pädagogik dort zu informieren, ist wichtig, wenn sie ihr Kind realistisch vorbereiten sollen und nicht vor dem Hintergrund eigener verblasster oder problematischer Erfahrungen das Kind beeinflussen.

Viele Eltern fühlen sich vom ersten Elternabend überfordert. Wenn der erste Elternabend von einer Überfrachtung mit Information entlastet wird, wäre mehr Gelegenheit zu Fragen und Dialog gegeben. Vor allem Informationen, die sich auf die Organisation der Einrichtung beziehen, können schriftlich vorab vermittelt werden. Wenn das Kind in das Aufnahmeverfahren direkt einbezogen wird, ergeben sich Möglichkeiten, es (und seine Eltern) näher und persönlicher kennen zu lernen. Viele Erzieherinnen beklagen nämlich, dass sie über das einzelne Kind und sein Wesen sowie auch über seine Familie zu wenig wüssten, wenn es neu in die Gruppe komme. Dies erschwere die Arbeit mit ihm in der Anfangsphase.

Erzieherinnen müssen sich mit ihren eigenen Erwartungen bezüglich des Zeitraums für das Einleben auseinandersetzen und sie sollten auch wissen, welche Erwartungen die Eltern haben. Den Eltern sollte ebenfalls Zeit für diesen Prozess eingeräumt werden. Verlaufsbeobachtungen sind die Grundlage für die Beschreibung des Verlaufes dieser Anfangsphase des Besuchs einer Kindertagesstätte. Eltern brauchen Rückmeldungen hierüber und die klare Botschaft, dass auch längere Zeiten des Einlebens “normal” sein können. Dies entlastet die Eltern, und wenn Erzieherin und Eltern sich gemeinsam auf das Kind einstellen, wird auch das Kind entlastet.

Wandel der Identität

Ein Übergang beeinflusst, wie ein Mensch sich selbst versteht und empfindet. Das Kind fühlt sich “älter” und “größer” und erlebt einen höheren Status gegenüber Kindern, die noch nicht den Kindergarten besuchen. Es entwickelt mit der Zeit ein “Wir-Gefühl” für seinen Kindergarten. Wichtig für das Kind ist es, dass es Anforderungen erkennt und sich ihnen gewachsen fühlt und, dass es die Erfahrungsmöglichkeiten im Kindergarten für sich nutzen kann. Es gewinnt das Selbstbild, ein “kompetentes Kindergartenkind” zu sein.

Der Beginn neuer Lebensabschnitte wird häufig von in einer Gesellschaft üblichen Ritualen begleitet. Beim Kindergartenanfang ist das weniger ausgeprägt als z.B. beim Schulanfang (Schultüte), aber die Neuanschaffungen für den Kindergarten (Brotzeittasche, Hausschuhe, etc.) werden besonders gewürdigt.

“Ich habe viel geweint, als ich noch neu hier war. Aber heimlich. Das sollte niemand sehen. Weil – ich wollte ja ein Kindergartenkind werden, und ich wollte es auch nicht. Mein Kopf wusste es nicht so genau. So war das.” (Petra, 4;1)

“Ich bin gerne gekommen. Ich hatte ein neues Kleid an und neue Schuhe und eine neue Kindergartentasche. Das hat sich gelohnt.” (Steffi, 5;1)

“Ein Kindergartenkind wie ich ist schon ziemlich erwachsen. Nicht mehr so babyisch. Die kleinen Neuen sind so entsetzlich verweint. Die schreien immer Mama Mama. Ich mache das nicht mehr. Ich will in die Schule.” (Laronne, 5;4)

Der Wandel der Identität gilt nicht nur für die einzelne Person, sondern auch für die Eltern. Sie werden “Kindergarteneltern”, wenn sie ihr Kind bewusst mit seinen sich nun verändernden Bedürfnissen in der Gruppe der Kindergartenkinder wahrnehmen und es bei der Bewältigung seiner neuen Anforderungen unterstützen. Dazu gehört auch, dass sie ihre Mitgliedschaft in der Gruppe der “Mit-Eltern” akzeptieren und, sich auf neue Erfahrungen in dieser Eigenschaft einlassen.

Ein gewisser Wandel in ihrer Identität der Eltern drückt sich darin aus, dass sie sich in der Elternschaft nicht wie sonst unter Erwachsenen üblich mit eigenem Namen vorstellen, sondern über das Kind definieren: “Ich bin die Mutter von Sonja.” Was der Übergang für die Eltern selbst bedeutete, konnten sie häufig erst in der Rückschau beschreiben. Es stellt sich die Frage, was die Eltern selber brauchen bzw. was sie selber tun müssen, um Kindergarteneltern zu werden.

Pädagogische Unterstützung

Um den Wandel der Identität erleben zu lassen, haben viele Einrichtungen kleine Rituale eingeführt, die für die neu aufgenommenen Kinder die besondere Bedeutung dieses Tages unterstreichen, und bei denen die älteren Kindergartenkinder einen Part übernehmen. Beispiel: Ein „großes“ Kindergartenkind hängt einem neuen Mitglied seiner Gruppe an einem bunten Band eine Breze um sowie ein Kärtchen mit dem Symbol, welches das neue Kind an seinem Garderobenplatz und seiner Schublade wiederfindet.

Vielleicht könnten auch die Eltern mit einem Begrüßungsritual eingeführt werden, bei dem sich “ältere” Kindergarteneltern als Gesprächspartner anbieten. So würden das Vertrauen und das Wir-Gefühl der Elternschaft gefördert.

Starke Emotionen/Stress

Die Begegnung mit dem Unbekannten und das Bewusstsein, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt, bringen für die Familienmitglieder starke Gefühle mit sich. Bei aller Vorfreude und Neugier auf das Kommende ist der Übergang in den Kindergarten auch mit Verlust und Abschied verbunden. Für das Kind ist das die Erfahrung von regelmäßiger befristeter Abwesenheit der Eltern, die für es die “sichere Basis” darstellen, in einer neuen Umgebung und ohne, dass bereits zur Erzieherin eine Vertrauensbeziehung aufgebaut worden ist. Unsicherheiten, Ängste und Belastungen für die neu eintretenden Kinder sind in der Forschung beschrieben worden(Griebel & Niesel, 2004, 2015). Der Grad, in dem sie Kummer, Anspannung und Ängstlichkeit oder aber Zuversicht und Gelassenheit ausdrücken, dürfte von Wesenseigenschaften wie seinem Temperament mitbestimmt sein. Nicht alle heftigen Reaktionen von Kindern sind unmittelbar mit der Art und Weise vom Einleben in den Kindergarten in Zusammenhang zu bringen. Vorsichtig sein sollte man auch mit Zuschreibungen wie “übermäßige Mutter-Kind-Bindung”, “überbehütendes Erziehungsverhalten”, weil sie die Wahrnehmung von Zusammenhängen verzerren und eine Belastung für die Beziehung der Erzieherin zur Familie des Kindes werden können. Starke emotionale Reaktionen beim Übergang in den Kindergarten sind in gewissem Umfang als normal anzusehen.

“Ich war sehr traurig. Ich wollte weinen, aber ich hab mich nicht getraut. So viele Kinder und viele Tische und viele Stühle. Ich wollte wieder nach Hause, aber die Mama hat es nicht erlaubt. Ich komme gerne. Noch besser wären nur Mädchen.” (Sandra, 4;2)

“Als ich hier noch klein war, war ich so aufgeregt. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich hatte Freude und Angst. Alles war so groß und ich bin immer hinter der Mama gegangen. Aber sie hat mich dann reingestellt und – ja so war’s”. (Tino, 3;8)

“Also ich war auch traurig am Anfang. Ich konnte mir das gar nicht so vorstellen. Ich mag lieber, wenn ich was schon kenne. Ich hab die ganze Nacht Angst gehabt vor hier. Hätte ich aber nicht müssen. Hier ist es toll. Ich hab gemerkt, es wird toller mit mir!” (Desiree, 3;1)

Eltern berichteten ihrerseits von Unsicherheit dabei, wie ihr Kind mit den neuen Anforderungen fertig werden würde. Sie empfanden Gefühle des Abschieds von einem Lebensabschnitt, in dem die Eltern-Kind-Beziehung besonders eng erlebt wurde (“Nest-Gefühl”). Das Kind für eine bestimmte Zeit des Tages jemandem anderen anzuvertrauen, bedeutet auch einen Verlust an Kontrolle über das Kind. Dem Unbehagen, das dabei empfunden wird, versuchen manche Eltern zu begegnen, indem sie das Kind nach der Zeit in der Gruppe ausfragen oder die Erzieherin nach dem Kind ausfragen und sie in starker Weise für das eigene Kind einzuspannen versuchen.

Pädagogische Unterstützung: Keine Angst vor Abschieden

Wenn das Kind morgens beim Bringen weint und protestiert, wird dies häufig auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind alleine zurückgeführt. Obwohl verhältnismäßig wenige Kinder in der Eingewöhnungszeit morgens weinen, wurde in unserer Befragung von Erzieherinnen häufiger als Kriterium für erfolgte Eingewöhnung angegeben, dass das Kind morgens nicht mehr weine. Möglicherweise ist die emotionale Betroffenheit der Erzieherin, die die Reaktionen von Kindern und Eltern miterlebt, dafür verantwortlich, dass sie diese Reaktionen qualitativ sehr starkbewertet, während sie quantitativ eher Einzelfälle betrifft. Als Aufgaben für die Eltern wurden u.a. genannt “Loslassen des Kindes”, “Abnabelung vom Kind”, „Abtrennung”, “das Kind hergeben”, es “in fremde Hände geben”. Diese Begriffe erscheinen fast dramatisierend, denn gemeint ist, dass das Kind fachlich ausgebildeten Betreuern in einer für einen vorhersehbaren Zeitraum in einer dafür geeigneten Umgebung anvertraut wird. Diese Bezeichnungen und Etikettierungen mütterlichen Verhaltens erscheinen z.T. problematisch. Möglicherweise sind diese Bewertungen “Sanktionen” für nicht erfüllte Rollenerwartungen seitens der Erzieherinnen. Darin steckt die Gefahr, dass eine Rivalität zwischen “schlechten” Müttern, die sich “nicht lösen können”, und Erzieherinnen als “besseren” Ersatzmüttern, die dem Kind den Weg aus der einengenden Familie heraus erleichtern, konstruiert wird. Wenn man Trennungsreaktionen zulässt, wird man auch selbst stärker betroffen. Eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen kann Klärung bringen.

“Keine Angst vor Abschieden” könnte man eine Unterstützung bei der Bewältigung starker Gefühle bei Kindern und Eltern überschreiben. Ein besseres Verständnis als Übergangsreaktionen lässt einen gelasseneren pädagogischen Umgang damit zu.

Es sollte nicht von Kindern und Eltern erwartet werden, ihre Gefühle zu unterdrücken. Das Erlebnis, dass Unsicherheit und Traurigkeit nachlassen und die Freude am Neuen die Oberhand gewinnt, dass Handlungsmöglichkeiten sich eröffnen – das ist der Vorgang, der pädagogisch aufmerksam begleitet werden sollte.

Schluss

Der Eintritt in den Kindergarten gelingt besser, wenn er vom Kind (und von den Eltern!) verstanden, gewollt, von der Umgebung unterstützt wird. Dann können Kinder sich als Mitbestimmer ihres Lebenslaufes, als aktive Übergänger zum Kindergartenkind erleben und eher erfolgreich sein, als wenn sie sich unfreiwillig und wenig unterstützt einer unsicheren unbekannten Umgebung ausgesetzt sehen, in der sie irgendwie zurechtkommen sollen. Wichtig ist, dass Erzieherinnen – auch die, die schon lange in ihrem Beruf aktiv sind – sich dieser Unterschiedlichkeit von Einmaligkeit/Erstmaligkeit einerseits und beruflichem Abstand und Routine andererseits bewusst sind. Erzieherinnen, mit denen wir über die Aufnahme und Eingewöhnung von Kindern gesprochen haben, sagten spontan, dass jedes neue Kindergartenjahr auch für sie ein Übergang sei. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Wechsel zum neuen Kindergartenjahr für Erzieherinnen nicht nur mit besonderen Arbeitsanforderungen, sondern auch mit Emotionen verbunden ist: Der Abschied von Kindern, die in die Schule gekommen sind, vielleicht auch von Eltern, mit denen die Zusammenarbeit zum Wohle der Einrichtung besonders gut geklappt hat. Aber auch Freude und Neugier auf die neuen Kinder und Familien schwingen mit.

Wir wollen Erzieherinnen anregen, ihr umfangreiches pädagogisches Handlungsrepertoire im Hinblick auf ihre Rolle als pädagogische Begleiterin des Übergangs zu reflektieren. Dazu wollen wir sie ermutigen, den Dialog über den Übergang mit den Eltern und mit den Kindern früh aufzunehmen und aufrechtzuerhalten. Diese Empfehlungen stehen im Einklang mit einem Leitfaden zur Qualität der Zusammenarbeit mit Eltern (Kobelt Neuhaus u.a., 2014). Er vermittelt nicht nur Fachkräften, sondern auch Eltern, worauf es in der Zusammenarbeit ankommt: Eltern als Experten für ihre Kinder wahrnehmen, ihre Lebensumstände kennen zu lernen und Rollenerwartungen zu klären bedeutet nicht nur für die Pädagoginnen und Pädagogen, sondern auch für die Eltern Dialogbereitschaft von Anfang an. Für den Eintritt und das Einleben in der Kindertagesstätte ist die Kenntnis des Konzepts für diese Phase für die Eltern wichtig und schließlich auch die gemeinsame Gestaltung von Übergängen von einem Bildungsort zum nächsten. Informierte Eltern sind kompetentere Gesprächspartner im Dialog mit den Fachkräften über die bestmögliche Bildung der Kinder.

Literatur

  • Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik (2012). Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. 5. erw. Aufl. Berlin: CornelsenScriptor.
  • Griebel, W. & Niesel, R. (1998). Das Kind wird ein Kindergartenkind: Ein Übergang für die ganze Familie. In Schüttler-Janikulla, K. (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort, 28. Lieferung (S. 1 – 14). München: mvg-verlag.
  • Griebel, W. & Niesel, R. (2004). Transitionen. Fähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern, Veränderungen erfolgreich zu bewältigen. Weinheim: Beltz.
  • Griebel, W. & Niesel, R. (2015). Übergänge verstehen und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern. Berlin: Cornelsen Schulverlage. 3. akt. und erw. Aufl.
  • Kobelt Neuhaus, D., Haug-Schnabel, G. & Bensel, J. (o.J., 2014). Qualität der Zusammenarbeit mit Eltern. Ein Leitfaden für den pädagogischen Bereich. Hrsg. von der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie und der Vodaphone Stiftung Deutschland. Korschenbroich: das Druckhaus
  • Nied, F., Niesel, R., Haug-Schnabel, G. u.a. (2011). Kinder in den ersten drei Lebensjahren in altersgemischten Gruppen. Expertise im Rahmen der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). München: Deutsches Jugendinstitut e.V.
  • Niesel, R. & Griebel, W. (2000). Start in den Kindergarten. München: Don Bosco.
  • Niesel, R. & Griebel, W. (2014). Transitionen. In R. Pousset (Hrsg.). Handwörterbuch Frühpädagogik. Mit Schlüsselbegriffen der Sozialen Arbeit (4. überarb. Aufl.) (S.472 – 475). Berlin: Cornelsen Schulverlage.
  • Niesel, R. & Griebel, W. (2015). KinderStärken für den ersten Übergang: Von der Familie in die KiTa. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Püttmann, C. & Wortmann, E. (Hrsg.) (2015). Frühkindliche Bildung – und Professionalisierung. Eine Lernaufgabe für den Pädagogikunterricht. PROPÄDIX – Unterrichtsmaterial für den Pädagogikunterricht Bd. 15 (Schülerband) hrsg. v. E. Knöpfel. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

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Autoren

Wilfried Griebel, geb. 1951, Diplom-Psychologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Familienforschung und der Frühpädagogik; zahlreiche Veröffentlichungen und Fortbildungstätigkeit

Renate Niesel, geb. 1948, Diplom-Psychologin, bis 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Forschungsschwerpunkt: Kinder in Übergangssituationen; zahlreiche Veröffentlichungen und Fortbildungstätigkeit für pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung

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E-Mail Renate Niesel

Erstellt am 2. Juni 2015, zuletzt geändert am 2. Juni 2015